„und plötzlich sahen wir den Himmel…“
Ein Dokumentarfilm von und über Frauen, die Widerstand leisten
„Der Tag meiner Verhaftung war grau, grau, grau. Als ich aufwachte war er grau, er blieb den ganzen Tag über grau und am Abend war er immer noch grau. Auf der Polizeistation gab es dann auch keinen Tag und keine Nacht, keine Zeit mehr, nur elektrisches Licht.“ Gefühlvoll, poetisch erzählt Graciela Jorge von ihrer Vergangenheit als Revolutionärin. Um gegen die Militärdiktatur in Uruguay zu kämpfen, schloß sie sich Ende der 60er Jahre der Bewegung zur nationalen Befreiung (MLN) Tupamaros an, ging in den Untergrund, wurde verhaftet und zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt.
18 Jahre Gefängnis hatte Monika Berberich aus Deutschland zu verbüßen. Als Mitglied der RAF ging auch sie in den Untergrund und gab ihre bürgerliche Identität auf, war Teil einer Stadtguerilla und kämpfte gegen den Staat. Sie schildert die Geschehnisse von damals rational, analytisch versucht sie, ihre Vergangenheit zu begreifen.
So unterschiedlich die beiden Frauen auch sind, und so unterschiedlich die Situation war, in der sie sich für einen bewaffneten Kampf entschlossen, etwas haben sie doch gemein:
Sie sind Frauen. Frauen, die Widerstand leisteten und Frauen, die von der offiziellen Geschichtsschreibung vergessen werden.
Der deutsch-uruguayische Dokumentarfilm „und plötzlich sahen wir den Himmel …“ erinnert an genau diese Frauen, setzt der offiziellen Geschichte, die sich zumeist auf männliche Protagonisten bezieht, etwas entgegen. Fünf Frauen aus Uruguay, die den Tupamaros angehören, und fünf Frauen aus Deutschland, die im Widerstand aktiv waren, befragen sich gegenseitig, erzählen, manchmal sehr intim, was sie damals bewegt hat, was sie heute bewegt. Themen wie Liebe im Untergrund, Schwangerschaft und die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern während der Haft werden aufgegriffen. „Für mich war das normal. Ich habe ihnen gesagt, daß sie im Gefängnis sind, weil sie Brot an arme Kinder verteilen wollten – aber klar habe ich mich gefragt, warum sie sich soviel um andere Kinder kümmerten und nicht um mich“, antwortet Gabriela, die Tochter von Graciela, auf die Frage, wie sie ihren Freunden damals erklärt hat, daß ihre Eltern im Gefängnis sind.
Widerstand damals und heute
Aber auch die Bedeutung der Vergangenheit für heute beschäftigt all diese Frauen: Während die einen mit offenen Armen und voller Herzlichkeit nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis aufgenommen wurden (Uruguay), kämpfen andere noch heute mit der Einsamkeit, die sie damals empfangen hat (Deutschland).
Die Form des Widerstandes der Frauen ist vielfältig. Nicht alle der interviewten Frauen sind wie Graciela und Monika in den Untergrund gegangen, nicht für alle bestand die einzige Hoffnung im bewaffneten Kampf. Widersprüche und ganz unterschiedliche Auffassungen von Widerstand greift dieser Film auf, stellt sie gegenüber und wägt ab, ohne zu bewerten. Einig sind sich alle darin, daß Widerstand geleistet werden mußte und muß.
Drei Jahre, von 1994 bis 1997, hat die Fertigstellung dieser Videoproduktion von interoceana video Montevideo /München gedauert, in denen die Beteiligten Unfälle, Überfälle, etc. überstehen mußten. Die Vielfalt der angesprochenen Themen ist enorm, beinahe zuviel wird an- und ausgesprochen. Überladen scheint die Verbindung der Bilder von brennenden Häusern in Rostock, Naziprozessen in den 60er Jahren, Asylpolitik in Deutschland und Militärs in Uruguay und einem Internationalismus der zwischen all dem eine Brücke schlagen soll. Etwas weniger wäre mehr gewesen.
Obwohl die Frauen sehr persönliche Erlebnisse schildern, sorgt eine statische, eintönige Kameraführung für Distanz. Der verschmitzte Humor, der den Dokumentarfilm „Tupamaros“ kennzeichnet, der auf der diesjährigen Berlinale zu sehen war und ebenfalls die Geschichte der Tupamaros thematisiert, ist hier, vor lauter Frauen-Vertraulichkeit kaum wiederzufinden. Metaphern kommen allzu oft plakativ daher, etwa wenn eine davon spricht, in „der Blüte des Lebens“ gestanden zu haben, und wir tatsächlich auf der Leinwand eine bunte Blüte präsentiert bekommen. Gullis symbolisieren das Abtauchen in den Untergrund, Bilder von reichen Villen verdeutlichen die Notwendigkeit eines antiimperialistischen Kampfes und zwischendrin immer wieder Einstellungen vom Meer. Ja, ja die Freiheit.
Erinnerungen an die Zukunft
Aber, und das ist ja auch das Schöne an dem Film, wie die Frauen selbst sagen, sind sie keine Profis, sondern einfach Frauen, die Lust hatten, über Frauen im Widerstand einen Film zu machen. Der Spaß an der Sache und eine Unbeschwertheit, die im professionellen Film kaum möglich ist, sind bei dieser Produktion bestimmt entscheidend gewesen, genauso wie Intuition und Zufall die ständigen Begleiter der Frauen waren.
„und plötzlich sahen wir den Himmel…“ ist, trotz aller technischer und filmsprachlicher Mängel, ein sehr informativer Film. Er verleiht denen eine Stimme, die sonst nicht gehört werden, stellt gängige Klischees der lateinamerikanischen Linken infrage, und er versucht, eine Brücke zu bauen zwischen Menschen, die hier, genauso wie in Uruguay, ihre Vergangenheit bewältigen müssen – die gegen das Vergessen kämpfen und dabei ähnlich skeptisch in die Zukunft blicken.
JedeR, die/der sich für die Geschichte von Frauen, für Geschichten von Widerstand und Untergrund, Liebe und Poesie, Vergangenheit und Gegenwart in Deutschland und Lateinamerika interessiert, sei dieser Film empfohlen. „und plötzlich sahen wir den Himmel … “ ist ein Dokument, das die Vergangenheit am Leben erhält und Perspektiven für die Zukunft aufzeigt; und die Realisierung dieses Projektes hat Vorbildcharakter für all jene, die davon träumen, ein großes Projekt mit kleinen Mitteln zu verwirklichen.