…und wieder herrscht Krieg
Eine unvollständige Chronik zu den neuesten Vorkommnissen in Chiapas
4./5. Februar 1995:
Treffen von ca. 2500 VertreterInnen linksgerichteter Bewegungen zum “Dritten Nationalen Demokratischen Konvent” in Querétaro/ Mittelmexiko. Es wurde der Beschluß gefaßt, die Organisationsstrukturen der PRD zu nutzen, um durch deren Parteibasis eine “Nationale Befreiungsbewegung” zu bilden, die einer politischen Oppositionsbewegung gleichkommt, aber nicht den Status einer Partei hat. Die Forderungen nach einer Übergangsregierung und der Abschaffung der PRI als Staatspartei wurden nochmals bekräftigt.
8. Februar:
Razzien der Polizei in Mexiko-Stadt und Veracruz. Dabei wurden zwei Waffenarsenale entdeckt, die laut offiziellen Angaben Granatwaffen, Maschinengewehre, Handgranaten und Sprengstoff beinhalteten, laut inoffiziellen nur fünfzehn Waffen verschiedenen Kalibers und zwei Pistolen.
Verhaftungen mehrerer vermeintlicher Guerilla-FührerInnen, darunter Subcommandante Elisa, welche das Geheimnis des Subkommandante Marcos und anderer FührerInnen preisgegeben hätte. Elisa erklärte später, sie sei unter Drohungen gezwungen worden, ein vorgefertigtes Geständnis zu unterschreiben.
9. Februar:
Fernsehansprache Zedillos, in der die Polizei angewiesen wurde, fünf führende Personen der EZLN festzunehmen, unter ihnen Marcos, dessen Name Rafael Sebastian Guillén Vicente sein soll.
Beginnende Offensive des Militärs gegen die Zapatisten; in einem Kommunique wiederholen die Zapatisten ihr Dialogangebot.
10. Februar:
Etwa 2500 Soldaten der mexikanischen Armee marschieren in die von Zapatisten kontrollierten Gebiete ein, unterstützt durch hunderte Militärfahrzeuge und Lufteinheiten. Ungefähr zwölf Orte werden durch Panzereinheiten besetzt.
Die Zapatisten zogen sich erstmal in unzugängliches Gebiet zurück, hunderte von Indígenas flohen aus Angst vor den Regierungstruppen.
11. Februar:
Massendemonstrationen in Mexiko-Stadt. An der größten, auf dem Zócalo, nahmen über 100 000 Personen teil. Unter der Parole: “Wir sind alle Marcos”, forderten sie ein sofortiges Ende des Krieges, die Freilassung aller bisherigen Gefangenen und eine friedliche Lösung des chiapanekischen Konfliktes.
Bisherige Opfer seien offiziell ein getöteter ranghoher Soldat und ein Offizier des Regierungsheeres.
12. Februar:
Nach Angaben der EZLN wurden zwei Dörfer, Morelia und Las Guarrachas von vier Kampfhubschraubern bombardiert. Die mexikanischen Behörden bestritten dies, gaben aber trotzdem durch das Innenministerium bekannt, daß alle wichtigen Positionen in Chiapas wiedererobert seien. Militärsprecher sprachen von schweren Gefechten und einigen Toten auf beiden Seiten.
Währenddessen fanden Gouverneurs- und Kommunalwahlen im Bundesstaat Jalisco statt, bei denen die konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) die meisten Stimmen verbuchen konnte.
13. Februar:
Subcommandante Marcos meldet sich zurück und bestreitet die Enttarnung seiner Person durch die Regierung. Er behauptet, nicht Rafael Sebastian Guillén Vicente zu sein.
Inzwischen sind Tausende von Indígenas auf der Flucht: Nationale Menschenrechtskommissionen klagen schwere Verstöße gegen die Menschenrechte von seiten der Militärs an, es ist von Folterungen, Vergewaltigungen und Erschießungen die Rede.
Die guatemaltekische Armee verstärkt ihre Truppen auf 8000 Soldaten an der Grenze zu Chiapas, um Flüchtlingen die Einreise zu versperren.
14. Februar:
Der chiapanekische Gouverneur Eduardo Robledo tritt zurück, formal bat er den Kongress um zeitweilige “Freistellung”. Zur selben Zeit verkündet Präsident Zedillo vor Vertretern von Indígena-Organisationen, daß es keine weiteren Offensiven gegen die zapatistischen Gebiete mehr geben würde, sondern das Militär nur noch mit Patrouillen gegen Gewalttaten eingesetzt würde.
16. Februar:
Amnesty international veröffentlicht eine Erklärung, in der der mexikanischen Armee schwere Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen gemacht werden. Mehrere dutzend Menschen seien willkürlich verhaftet und gefoltert worden, einige wären vermißt.
19. Februar:
Die dritte Großkundgebung in einer Woche findet diesmal vor dem Nationalpalast in Mexiko-Stadt statt. Wieder nehmen mehr als 100 000 Menschen daran teil. Verhandlungslösungen und der Rückzug der Bundesarmee werden gefordert.
Während der vergangenen Tage befinden sich immer mehr Menschen aus chiapanekischen Dörfern auf der Flucht (siehe ausführlichen Artikel in dieser Ausgabe), die zurückgelassenen Dörfer gleichen Geisterorten.
Die Zapatisten fordern ebenfalls den Rückzug der Bundesarmee, als Grundvoraussetzung für den Dialog.