Nummer 366 - Dezember 2004 | Venezuela

Untergang der Hardliner

Venezuelas Opposition verliert bei Regionalwahlen auf breiter Front

Bei den Gouverneurs- und Kommunalwahlen in Venezuela haben sich die Kandidaten des Regierungslagers weitestgehend durchsetzen können. Die Opposition erhebt jedoch Betrugsvorwürfe, vor allem in den Bundesstaaten Miranda, Carabobo und Yaracuy, wo sie nur hauchdünn verloren hat.

Markus Plate

Enrique Mendoza und Henrique Salas Feo sind die wohl prominentesten Verlierer der Regionalwahlen am letzten Oktobersonntag. Mit Mendoza hat einer der radikalsten Gegner von Präsident Hugo Chávez Frías seinen Gouverneursposten im Bundesstaat Miranda verloren. Diosdado Cabello, der als Kandidat der Bewegung 5. Republik (MVR) von Chávez diesen wichtigen Bundesstaat gewonnen hat, befindet sich in guter Gesellschaft. Die Chavisten gewannen insgesamt 20 der 22 Bundesstaaten.
Miranda ist mit zweieinhalb Millionen EinwohnerInnen der zweitgrößte Bundesstaat Venezuelas und außerdem einer der wohlhabendsten. Gouverneur Mendoza, schon seit zehn Jahren im Amt, galt lange Zeit als aussichtsreichster Kandidat der Opposition im Falle vorzeitiger Neuwahlen – während des Popularitätstiefs von Chávez im Jahr 2003 ebenso wie während der Kampagne zur Absetzung des Präsidenten in diesem Sommer. Nun könnte Mendozas Politikerkarriere abrupt enden. Mit seiner Niederlage ist er mehr als nur sein Amt los, denn der Regierungsapparat in Miranda wurde bisher auch intensiv für die politische Auseinandersetzung mit Chávez genutzt. In der Person Diosdado Cabellos säße in Zukunft ein loyaler Chávez-Anhänger auf dem Gouverneursposten. Der ehemalige Offizier leistete Chávez bereits mehrfach gute Dienste: während des Putsches 2002, sowie während des Referendums in diesem Jahr.

Duell verloren
Auch das zweite bedeutende Duell dieser Wahlen hat die Opposition verloren. Zum zweiten Mal in Folge gewann mit Juan Barreto ein chavistischer Kandidat das wichtige Bürgermeisteramt von Groß-Caracas. Was für die AnhängerInnen des Präsidenten eine besondere Genugtuung ist: Der vor fünf Jahren gewählte Bürgermeister Alfredo Peña muss seinen Posten räumen. Dieser hatte nämlich kurz nach seiner Wahl die Seiten gewechselt und sich als einer der aggressivsten Gegner der „bolivarianischen Revolution“ entpuppt.
Peña spielte beim Putschversuch im April 2002 eine der Hauptrollen. Die von ihm befehligte Policía Metropolitana war in das Komplott von UnternehmerInnen, rechten Gewerkschaften, Medien und einigen Militärs verstrickt. Der Anfang dieses Jahres veröffentlichte Dokumentarfilm Schlüsselszenen eines Massakers des Regisseurs Angel Palacios beweist, wie die Polizeikräfte Peñas aus gepanzerten Fahrzeugen auf RegierungsanhängerInnen schossen, um ein Klima aus Chaos und Gewalt zu schaffen, das den Putsch rechtfertigen sollte. Auch die Hexenjagd, zu der Peña während der am Ende nur zweitägigen Amtszeit von Putsch-Präsidenten Pedro Carmonas blies, ist dem wendehälsigen Ex-Bürgermeister nie verziehen worden.
Alfredo Peña selbst hatte seine neuerliche Kandidatur kurz vor den Wahlen zurückgezogen, angeblich „aus Protest gegen die Betrugsversuche des Regierungslagers“. Tatsächlich jedoch hatte Peña nicht genügend Rückhalt in der Opposition. Über Monate war der Bürgermeister dazu gedrängt worden, seine Kandidatur zu Gunsten Claudio Fermíns aufzugeben.
Peñas Rückzug hatte den „Kampf um Caracas“ noch einmal spannend gemacht. Meinungsumfragen sagten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Fermín und Barreto voraus. So knapp wurde es am Ende jedoch nicht: Etwas mehr als 60 Prozent stimmten für Barreto. Damit ist der Opposition eine weitere Waffe in ihrem Kampf gegen Chávez abhanden gekommen.

Geraubter Sieg?
Alfredo Peña droht nun weiteres Ungemach. Dem scheidenden Bürgermeister wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft die gerichtliche Auflage erteilt, das Land nicht zu verlassen, da gegen ihn wegen Veruntreuung ermittelt wird. Und auch seine Rolle während des Putschversuches könnte noch einmal die Staatsanwaltschaft beschäftigen.
Auf bundesstaatlicher Ebene sorgte neben der Abwahl Mendozas vor allem das Wahlergebis in Carabobo für Verwirrung. Auch hier wurde mit Henrique Salas Feo ein Gouverneur aus den Reihen der Opposition abgewählt. Die Niederlage des Parteichefs der Gruppierung Proyecto Venezuela gegen den chavistischen Kandidaten Luis Felipe Acosta Carlez war nicht nur hauchdünn (48 gegen 51 Prozent), vor allem die Ergebnisse der Abgeordnetenwahlen nährten bei Proyecto Venezuela (Projekt Venezuela) den Verdacht, dass bei den Gouverneurswahlen betrogen worden sein könnte. Mit dem entsprechenden Betrugsvorwurf trat wenige Tage nach den Wahlen ein Sprecher von Proyecto Venezuela vor die Kameras: „Sämtliche neun Abgeordnete, die in Carabobo gewählt wurden, waren Kandidaten für Proyecto Venezuela und gewannen jeweils deutlich. Niemand versteht, dass ausgerechnet Salas Feo nicht eimal die Hälfte der Stimmen bekommen haben soll, obwohl er der Amtsinhaber ist.“ Das jedoch ist nur die Hälfte der Wahrheit, denn auf lokaler Ebene erlitt Proyecto Venezuela Schiffbruch. Und handfeste Beweise für einen Betrug konnte auch Salas Feo bislang nicht vorlegen.
Doch auch wenn Mendoza, Salas Feo und Co. fast verzweifelt versuchten, die Welt, das Land oder zumindest die eigene Anhängerschaft davon zu überzeugen, dass ihnen der Sieg geraubt worden sei: Der Niedergang der Fundamentalopposition gegen Chávez’ MVR und deren Verbündete ist überdeutlich. Die Mitgliedsparteien des klinisch toten Oppositionsbündnisses Coordinadora Democrática (Demokratische Koordination) verloren auf dem Land ebenso wie in den Städten, auf Gouverneurs- wie Bürgermeisterebene. Die sozialdemokratische, ehemalige Regierungspartei Acción Democrática (Demokratische Aktion) konnte von ihren zuvor 90 Bürgermeisterposten nur 30 halten. Die Christsozialen, die bis 1999 abwechselnd mit Acción Democrática den Präsidenten stellten, regieren noch in 25 Rathäusern und sind in weiten Teilen des Landes von der politischen Landkarte verschwunden.
Venezuelas Vizepräsident Vincente Rangel von Chávez Koalitionspartner Podemos (Wir Können) hofft nun, dass die ebenso heftige wie schädliche Polarisierung der Parteienlandschaft ein Ende nehmen werde. Ansatzpunkte dafür sind da: Der neue Gouverneur von Nueva Esparta, Morel Rodríguez, feierte zwar seinen Triumph über „die desaströse Politik“ des bisherigen, chavistischen Mandatsträgers Alexis Navarro Rojas. Er offerierte aber zugleich eine Politik des Ausgleichs. Ähnliche Töne schlug Manuel Rosales an, der im Bundesstaat Zulia als einziger oppositionsnaher Politiker einen Gouverneursposten halten konnte.

Opposition vor
dem Neuanfang
Die politische Landkarte Venezuelas verfärbt sich nach den Regionalwahlen also chavistisch rot. Doch der Sieg des Regierungslagers ist nur bedingt aus eigener Kraft erzielt worden. Die Wahlbeteiligung war gering, und wie es aussieht blieben mehrheitlich die AnhängerInnen der Opposition zu Hause. Das Wahlergebnis spiegelt daher vor allem den desatrösen Zustand der Opposition und das Scheitern ihrer Konfrontationspolitik wider. Die oppositionelle Coordinadora Democrática existiert faktisch nicht mehr, nachdem ein Teil des Bündnisses zum Boykott der Wahlen aufgerufen hatte und traditionelle Parteien wie Sozialdemokraten und Christsoziale trotzdem teilnahmen, um zumindest die Bürgermeisterämter in wohlhabenden Bezirken zu retten. Dies geschah nur mit begrenztem Erfolg.
Bereits in den letzten Monaten hatten einige Unternehmerverbände Bereitschaft angedeutet, mit Hugo Chávez zu kooperieren. Und die privaten Medien Venezuelas gaben sich nach dem Referendum und vor den Regionalwahlen erstaunlich gemäßigt. Die Opposition steht vor einem Scherbenhaufen. Will sie sich in Zukunft nicht gänzlich auf einige wenige Bürgermeisterposten beschränken, muss sie die veränderten politischen Bedingungen in Venezuela anerkennen und versuchen, als konstruktive, demokratische Kraft wählbare Alternativen zu Chávez zu entwickeln. Ob man sich dabei noch auf Enrique Mendoza verlassen will, ist seit den Regionalwahlen mehr als fraglich.

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