Nummer 201 - März 1991 | Ökologie

Unverschämtes zur Umwelt

Rezension

Dirk Hoffmann

Es ist schon eine gewaltige Zumutung, was der Frankfurter ISP-Verlag (Internationale Sozialistische Publikationen) uns da als “neu” präsentiert Ein Ende der 70er Jahre geschriebenes und 1981 überarbeitetes Buch mit dem deutschen Titel ‚Umwelt in Lateinamerika. Die Geschichte einer Zerstörung’ des lateinamerikanischen Marxisten Luis Vitale. W wird das Erscheinungsdatum der Originalausgabe (1983) bewußt verschwiegen und durch vorsätzliche Manipulation der Biographie des Autors sowie des Textes der LeserIn vorgeschwindelt, er hätte es mit einem aktuellen Beitrag zur lateinamerikanischen Ökologie-Diskussion zu tun. Zukunftsprognosen wie “…die Prozentzahl wird sich 1985 auf 66.88% erhöhen (se elevará) (United Nations 1970)” werden einfach rückblickend zu Fakten wuchs die städtische Bevölkerung auf 66,88% 1985”. Die zugehörige Fußnote verweist dann aber als Quelle für diese Angaben auf einen Text der United Nations von 1969! Dies geschieht an mehreren Stellen…
Auch in der Bibliographie wurde der Autor “nachgebessert“ ihm wurden einfach ein paar weitere Bücher untergeschoben, die er wegen ihres Erscheinungsdatums gar nicht konsultiert haben kann, zum Beispiel Siegfried Paters Buch über José Lutzenberger, erschienen 1989.
Es sollte eigentlich unnötig sein, darauf hinzuweisen, daß ein Großteil der Diskussion über Umweltfragen eben in genau diesen zehn seit der Entstehung des Buches vergangenen Jahren stattgefunden hat … Aber genau das scheinen die jetzigen Herausgeber nicht gemerkt zu haben, bringen sie doch in unglaublicher Ignoranz die von der Umweltforschung seit Jahren (!) widerlegte Behauptung, der Amazonas-Urwald sei „der Hauptlieferant von Sauerstoff auf der Welt“ auf das rückseitige Buch-Cover. Ebenfalls wird dort die Ansicht des Direktors des Amazonas-Forschungsinstituts zitiert, der Amazonasurwald werde “in den nächsten 20 Jahren im wesentlichen zerstört werden” – leider ohne jeden Hinweis, daß diese Äußerung etwa 15 Jahre zurückliegt.
Doch all dies hat ja nicht Vitale verbrochen. Deshalb sei noch einiges zu seinem ursprünglichen Anliegen gesagt. Von der “Kritik der heutigen [also damaligen] Wissenschaft” ausgehend fordert der Autor eine ‘Wissenschaft, die dazu in der Lage ist, die Umwelt als eine dynamische Gesamtheit in ständiger Veränderung zu analysieren” (S.11). Basierend auf dem Marx’schen Naturbegriff macht er sich dann daran, die Grundzüge einer Geschichte der Umwelt für Lateinamerika zu entwerfen. Der Grad der Umweltzerstörung wird direkt mit der jeweils herrschenden Produktionsweise gekoppelt. Jeder “Periode” wird ein Kapitel gewidmet: I. vor dem Auftauchen der ersten Menschen, die Zeit der Jäger und Sammler, III. von der neolithischen Revolution (Ackerbau, Herstellung von Tonwaren, Metallverarbeitung) bis zu den Hochkulturen, IV. von der Ankunft der ersten Europäer bis 1930 und V. von der importsubstituierenden Industrialisierung bis heute [also bis damals].
Der real existierende Sozialismus aber wird fast nicht erwähnt. Läßt sich über Cuba tatsächlich gar nichts sagen? – Luis Vitale bleibt weitestgehend den Denkkategorien des orthodoxen Marxismus verhaftet, und so verwundert es auch nicht allzu sehr, wenn er feststellt, „daß die Umweltkrise, die vom kapitalistischen System beschleunigt wird, nur durch den Prozeß des Klassenkampfes überwunden werden kann“ (S.124).
Die von ihm angeführten Beispiele der Umweltprobleme (Pestizide, Erosion, Wasser- und Luftverschmutzung, Abholzung, etc …) stammen überwiegend aus den 60er und 70er Jahren, vereinzelt sind sie auch noch älter. Ebenso fehlt die Schuldenproblematik (notwendigerweise) vollständig, die in den 80er Jahren zentraler Punkt der entwicklungspolitischen und auch der Ökologie-Diskussion in Lateinamerika war -und immer noch ist. Statt dessen läßt sich die (aus marxistischer und ökologischer Sicht betriebene) Auseinandersetzung mit dem in den 70er Jahren von der CEPAL UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika) propagierten Entwicklungsmodell nachlesen. Doch wer will das heute schon noch – zudem in einem Buch mit dem Titel „Umwelt in Lateinamerika“?
Der Versuch jedenfalls, mit dem Modethema Ökologie Geld zu machen und gleichzeitig noch einen alten marxistischen Käse unters Publikum zu bringen, betreibt der ISP-Verlag ähnlich skrupellos wie die Zerstörung der Umwelt in Lateinamerika betrieben wird.

Luis Vitale: „Umwelt in Lateinamerika. Die Geschichte einer Zerstörung“’, Frankfurt a.M.: ISP- Verlag, November 1990
Luis Vitale: ‘Hacia una historia del ambiente en America Latina. De las culturas aborígenes a la crisis ecológica actual’, Mexiko: Nueva Imagen. 1983

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