Kolumbien | Nummer 367 - Januar 2005

Uribe 2010?

Durch eine Änderung der Verfassung will der kolumbianische Präsident seine Amtszeit verlängern

Nach Menem, Fujimori und Chávez hat es nun ein weiterer südamerikanischer Regierungschef – beinahe – geschafft, die in vielen lateinamerikanischen Ländern geltende konstitutionelle Beschränkung der direkten Wiederwahl des Präsidenten aufzuheben. Im Kongress wurde die dazu notwendige Verfassungsänderung am 30. November 2004 mit 113 zu 16 Stimmen bewilligt. Dieser Parlamentsbeschluss muss nun noch vom Verfassungsgericht geprüft werden.

Daniel von Delhaes

Für die KolumbianerInnen, die sich an der Verfassung von 1991 und nicht am Medienspektakel orientieren, ist ein candidato-presidente ein verfassungsrechtliches Paradox, das undemokratische politische Praktiken verstärkt. Wie kann die Chancengleichheit der KandidatInnen gewährleistet werden? Wie kann verhindert werden, dass der Wahlkampf des amtierenden Präsidenten nicht aus der Staatskasse bezahlt wird? Letzteres ist mit der Wiederwahldebatte bereits geschehen.
Abgesehen von der Position, dass man die Institutionen zu respektieren habe, ist das Hauptargument der GegnerInnen des Wiederwahlprojekts, man dürfe die Regeln „nicht auf halbem Wege“ ändern. Die BefürworterInnen der Initiative des Präsidenten hingegen rechtfertigen unter Verweis auf die notwendige „Kontinuität“ eines politischen Projekts die Änderung der Verfassung. Das geplante Reformprojekt zur Wiederwahl beruht allerdings auch auf einer alten Tradition, nämlich der Bestechung. Ihre Bekämpfung war eigentlich einer der Punkte, mit dem Uribe bei den Wahlen 2002 53 Prozent (5,8 Millionen) der Stimmen auf sich vereinigte. Das könnte nun zum Problem werden. Trotz des zweifachen Nachweises von Stimmenkauf im Vorfeld des Beschlusses, scheint nun allenfalls noch zur Diskussion zu stehen, in wie vielen weiteren Fällen man sich nach allen Regeln des clientelismo der Zustimmung einzelner Abgeordneter versichert hat. Die öffentliche Meinung stellt dafür hauptsächlich die ParlamentarierInnen an den Pranger.

Justiz als letzte Hürde
Seit mehr als einem Jahr sind Debatten über Verfassungsänderungen praktisch an der Tagesordnung. Darüber scheint, zumindest im Spiegel der Mainstream-Presse, eine Spaltung oder Zersetzung innerhalb der beiden großen traditionellen Parteien vor sich zu gehen. Ausschlussdrohungen bei den Liberalen oder Identitätszweifel, die das „programmatische Abkommen“ der Konservativen mit dem parteilosen Präsidenten hervorbringt, sind bestenfalls noch kleine Hindernisse für das uribistische Projekt. Darüber hinaus beweist das „Phänomen Uribe“ einmal mehr den administrativen Filz, der seit dem 1957 geschlossenen Frieden zwischen Liberalen und Konservativen im exklusiven Herrschaftsprojekt existiert..
Was nun die Entscheidung des Gerichts betrifft, so geht es darum, zu beurteilen, ob das Verfahren der Abänderung „dem Geist der Verfassung“ entspreche. Dazu haben die RichterInnen sechs Monate Zeit und nach der Ratifizierung der Entscheidung im Parlament noch einmal drei Monate zu deren Überprüfung. Eigentlich schien sich das Verfassungsgericht bisher nicht völlig dem uribismo verschrieben zu haben. Die umstrittenen Anti-Terror-Statuten wurden Ende August auf Grund der in ihnen vorgesehenen erheblichen Befugniserweiterungen der Exekutive für antikonstitutionell erklärt. Doch inzwischen geht nicht nur der Präsident von einer Legitimierung seiner Kandidatur für die Wahlen 2006 aus. Er hatte zuvor versucht, sie den WählerInnen in einem Reformenpaket unterzujubeln, das eigentlich als umfangreiche Antikorruptionsinitiative konzipiert war.
Sie selbst sollten über die Kernpunkt in einem Referendum abstimmen können. Die Mehrheit der 15 schwer verständlichen Fragen, über die die BürgerInnen entscheiden sollten, zielte dann allerdings vor allem auf die Unterminierung öffentlicher Einrichtungen und weitere Privatisierungen ab. Das Referendum scheiterte Ende 2003 an der 25-Prozent-Hürde, als Uribe außerdem den historischen Erfolg einer vereinten politischen Linken bei den gleichzeitig stattfindenden Gouverneurs- und Bürgermeisterwahlen in den drei größten Städten des Landes hinnehmen musste.
Die aktuelle Reforminitiative Uribes beinhaltet auch, dass die großen Gewinner dieser Wahlen, Luis Eduardo Garzón als Bürgermeister von Bogotá und Angelino Garzón als Gouverneur der Provinz Valle del Cauca, jetzt schon de facto nicht mehr als Kandidaten für die nächste Präsidentschaft in Frage kommen. Zwar ist eine Regelung, die verbietet amtierende Bürgermeister oder Gouverneure für die nächsten Präsidentschaftswahlen aufzustellen, für ein lateinamerikanisches Land nichts Ungewöhnliches. Allerdings ist deren Einführung genau die „Änderung der Regeln auf halbem Wege“, die die GegnerInnen der neuen Verfassungsänderung kritisieren. Solche Bedenken bezüglich des allgemeinen Vorgehens des Präsidenten können die BefürworterInnen von Uribes Politik allerdings kaum beeindrucken.

Uribe gilt als
Garant für Stabilität
Ein Großteil der Medien befindet sich in den Händen von Uribes UnterstützerInnen – oder wie im Falle des Vizepräsidenten Santos, von Familienangehörigen. Mit dem Versprechen sowohl die Drogenökonomie als auch die bewaffnete Opposition „zu beseitigen“, sicherte er sich die Zustimmung des Establishments. Dieses hält sich an ein in erster Linie durch das Fernsehen vermitteltes Bild starker Entschlossenheit und ein neu gewonnenes Gefühl von Sicherheit.
Zufrieden mit dem Erfolg der Wiederwahlinitiative dürften die nordamerikanischen Freunde der Regierung sein, für die Uribe ein Garant der Kontinuität sicherheitspolitischer Kooperation und laufender Freihandelsgespräche ist. „Die US-Verfassung erlaubt die Wiederwahl eines Präsidenten“, erläuterte der US-amerikanische Botschafter in Kolumbien William Wood den Standpunkt seiner Regierung,„deswegen betrachten wir den Vorschlag nicht als anti-demokratisch.“ Auch eine große deutsche Tageszeitung titelte drei Tage später in ihrer Anleihen-Rubrik für Investoren „Kolumbien-Anleihen profitieren von Uribe als Stabilitätsgarant“. Dort wird dann auch auf die Würdigung des Landes durch den Entwicklungsbericht der Weltbank für 2005 „A Better Investment Climate for Everyone“ hingewiesen, wonach Kolumbien 2004 weltweit die zweitgrößten Fortschritte bei der Verbesserung des Investitionsklimas erzielt habe. Der damalige IWF-Vorsitzende Horst Köhler war bei seinem letzten Besuch in Kolumbien vor zwei Jahren dann auch voll des Lobes für Uribes Politik.

Auf neoliberalem Kurs
Und auch heute dürfte Köhler mit Uribe zufrieden sein – verschärft dieser doch zurzeit die Strukturanpassungsmaßnahmen nach dem neoliberalen Credo. Privatisierungen, Haushaltskürzungen und Steuerreform verstärken eine Umverteilung von unten nach oben. Trotz des konjunkturellen Aufschwungs steigen weiterhin die Schuldendienstquote und die absolute Armut, in der inzwischen fast zwei Drittel der Bevölkerung lebt. Die Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen wird auf dem Kontinent dabei nur noch von Brasilien übertroffen.
Uribe befindet sich im Wahlkampf, seit er sein Amt angetreten hat. Symptomatisch dafür ist der Rücktritt des Chefs der staatlichen Datenerhebungsbehörde (DANE). Er hatte sich geweigert, sich die Unterschlagung von weniger gefälligen Umfrageergebnissen zur Sicherheit in den Städten vorschreiben zu lassen.
Der nun beginnende Prozess der Prüfung, ob die Gesetzesnovelle verfassungsgemäß ist, wird nicht vor Oktober 2005 abgeschlossen sein. Dadurch könnte Uribe mit seinem Anliegen auf eine erneute Kandidatur zeitlich in die Bredouille geraten.
Sicher ist hingegen, dass sich die politische Landschaft Kolumbiens nach vier Jahren Uribe deutlich gewandelt hat. Davon könnte gerade die Linke profitieren. Die beiden größten linken parlamentarischen Kräfte haben kürzlich beide die Nominierung jeweils eines Vorab-Kandidaten bekannt gegeben. Es kandidieren der ehemalige Verfassungsrichter Carlos Gaviria von der Alternativa Democrática (AD) und Carlos Navarro Wolf für den Polo Democrático Independiente (PDI), der wie die meisten der parlamentarischen Protagonisten dieses Mitte-Links Bündnisses ein Mitglied der ehemaligen Guerilla M-19 war (s.LN 360). Das könnte sie in Zukunft zu Zielscheiben des Terrors werden lassen, mit dem die parlamentarische Linke seit jeher unterdrückt wurde. Bei den Wahlen 2006 werden die linken Parteien mit einer gemeinsamen Liste antreten und einen einzigen Kandidaten unterstützen, um die Chance auf eine politische Wende zu erhöhen. Diese wäre für Kolumbien von ähnlich historischer Einmaligkeit wie die Beendigung des zwei Parteien-Regimes durch die „Frente Amplio“ in Uruguay.

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