Kolumbien | Nummer 402 - Dezember 2007

Uribe vor dem aus?

Die Regionalwahlen in Kolumbien enden mit einer Schlappe für den Präsidenten

Bei den Gouverneurs- und Kommunalwahlen errang der Kandidat der Linken, Samuel Moreno, einen spektakulären Sieg in der Hauptstadt Bogotá. Nun stellt sich die Frage, ob damit auch die neoliberale Politik des Präsidenten Álvaro Uribe vor dem Aus steht.

Sven Schuster

Am Ende sahen sich alle als GewinnerInnen. Als am Sonntag, den 28. Oktober, die ersten Hochrechnungen für die wichtigsten Städte und Provinzen vorlagen, wollte keineR der KandidatInnen von einer Niederlage sprechen. Tatsächlich machten es die unterschiedlichen Ergebnisse in den einzelnen Regionen des gewaltgeplagten Andenstaates nicht eben leicht, klare Tendenzen zu erkennen, oder gar einen „großen Verlierer“ auszumachen.
In der öffentlichen Meinung bestand zu diesem Zeitpunkt jedoch kein Zweifel mehr, dass der „große Gewinner“ der Wahlen Samuel Moreno hieß. Dessen Partei, das linke oppositionelle Bündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA), hat einmal mehr einen überwältigenden Sieg in Bogotá errungen. Nach dem spektakulären Coup von Lucho Garzón im Jahre 2003 ist es nun auch seinem Parteigenossen gelungen, gegen eine diffamierende Medienkampagne und trotz der direkten Einflussnahme des rechtsgerichteten Präsidenten Álvaro Uribe, das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt zu erobern. Dieses gilt traditionell als Sprungbrett zur Präsidentschaft und somit als zweitwichtigste politische Position. Geht damit jedoch wirklich ein „Linksruck“ durch das Land, oder sind gar „Uribes Konservative abgeschafft“, wie hierzulande etwa die taz titelte?
Diese These ist mehr als fraglich. Eine genaue Analyse der Ergebnisse zeigt vielmehr, dass der PDA zwar mit einer komfortablen Mehrheit von 43,7 Prozent die Wahlen in Bogotá gewonnen hat. Dennoch ist es der Linken nicht geglückt, diesen Trend auch auf andere Landesteile zu übertragen. Einzige Ausnahme war die Provinz Nariño, wo der ehemalige Guerillero und PDA-Mitbegründer Antonio Navarro mit 49,8 Prozent der Stimmen zum Gouverneur gewählt wurde. Weitere Überraschungen gab es in Medellín, wo der bekannte Buchautor Alonso Salazar von der Bewegung Soziale Indigene Allianz das Amt des Bürgermeisters übernahm, sowie in der Provinz César, deren neuer Gouverneur nun der Grüne Cristian Moreno ist. Nur dort und in der Hauptstadt unterlagen die KandidatInnen des Establishments deutlich. Wie selten zuvor hatten sie sich durch eine arrogante Haltung ausgezeichnet.
Aus diesem Grunde fiel Uribes Kandidat in Bogotá, der ungeliebte „Technokrat“ Enrique Peñalosa, in der Gunst der WählerInnen immer weiter zurück. Am Ende straften ihn diese mit mageren 28,2 Prozent ab – bei einer Wahlbeteiligung von knapp 48 Prozent. Dieses schlechte Abschneiden eines linientreuen Mitstreiters ist insofern verwunderlich, als die überwiegend regierungstreuen Medien ganz ungeniert für die KandidatInnen von Uribes Gnaden warben. Die schmutzige Kampagne gegen den PDA erreichte schließlich ihren Höhepunkt, als der Präsident gleich mehrfach verkündete, die Kolumbianer sollten „niemanden wählen, für den auf der Website einer illegalen bewaffneten Gruppierung geworben wird“.
Wie sich herausstellte, hatte die der linksgerichteten FARC-Guerilla nahestehende Nachrichtenagentur ANNCOL im Internet dazu aufgerufen, die KandidatInnen des PDA zu unterstützen. Für Uribe und Konsorten stand somit fest, dass die zivile Linke mit der bewaffneten Linken unter einer Decke stecken müsse. In der dualistischen Sichtweise des Präsidenten konnte es sich bei Moreno, Navarro und dem PDA-Vorsitzenden Carlos Gaviria folglich nur um „die willfährigen Handlanger von Narco-Terroristen“ handeln. Dass er mit seinen im Fernsehen übertragenen Kommentaren klar die Normen der Verfassung verletzte, hat ihn bislang wenig beeindruckt.
Den meisten WahlanalystInnen zufolge ist es nicht zuletzt Uribes unbedachten Äußerungen zu verdanken, dass Moreno überhaupt einen derart hohen Sieg einfahren konnte. Den Erfolg jedoch nur auf dieses „Missgeschick“ zurückzuführen, würde zu kurz greifen. Alle verfügbaren Daten zeigen, dass der PDA bereits im Vorfeld sehr gut aufgestellt war und sich nach einer schwierigen Phase zu Beginn des Jahrtausends mittlerweile konsolidiert hat. Unglücklicherweise gilt diese Feststellung auch für eine Reihe weniger ehrenwerter Gruppen.
Die Rede ist von den zahlreichen Ad-hoc-Allianzen, die nach dem Zusammenbruch der traditionellen Zwei-Parteien-Herrschaft der Liberalen und Konservativen das politische Ruder übernommen haben. Dabei handelt es sich um Wahlplattformen, die sich aus DissidentInnen der beiden Traditionsparteien zusammensetzen und dem parteilosen Uribe eine Mehrheit im Parlament verschaffen. Diese Bündnisse als „Parteien“ zu bezeichnen, ist im Grunde ein Euphemismus. Denn weder handelt es sich um Gruppierungen, die entlang sozialer Konfliktlinien entstanden sind, noch verfügen sie über ein kohärentes politisches Programm. Was die so genannten uribista-Parteien hingegen eint, ist ihr Wille zur Macht. Ohne jede Fraktionsdisziplin und völlig inhaltsleer, geht es ihren FührerInnen hauptsächlich darum, Partikularinteressen im Kongress durchzusetzen und sich möglichst schnell zu bereichern.
Als übelste Form des weit verbreiteten Klientelismus hat sich in letzter Zeit die so genannte parapolítica entpuppt. Nach harter internationaler Kritik musste Uribe zugeben, dass der Kongress massiv von VertreterInnen der rechtsgerichteten Paramilitärs unterwandert war. Mehr als 30 Prozent der Abgeordneten unterhielten demnach Verbindungen zu diesen illegalen Gruppen, denen zahllose Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Trotz einer oberflächlichen Zurückdrängung der Paramilitärs, deren Auftrag lautete, die Wählerschaft durch Einschüchterung und Gewalt „zu mobilisieren“, ist ihre Macht längst nicht gebrochen. Zwar betonte Uribe in der Öffentlichkeit stets, die Demobilisierung der paramilitärischen Verbände anzustreben. In Wirklichkeit wird aber immer offensichtlicher, dass die dem Drogenhandel nahestehenden paras nunmehr in die „offizielle“ Politik gewechselt sind. Dies ist das andere, weniger erfreuliche Ergebnis der Wahlen.
So konnten die gemeinhin als para-Plattformen bekannten Bündnisse, wie etwa die Partei Demokratisches Kolumbien (Colombia Democrática), sowie bis zu einem gewissen Grad die Soziale Partei der Nationalen Einheit (Partido de la U) und die Mitte-Rechts-Partei Radikaler Wandel (Cambio Radical) in mehreren Regionen die Zahl ihrer Bürgermeister, Stadträte und Gouverneure noch steigern. Lediglich die Partei Alas Equipo Colombia musste leichte Verluste hinnehmen und die Bewegung Colombia Viva fuhr eine deutliche Niederlage ein. Grund hierfür war allerdings, dass deren Chef, der bekennende parapolítico Dieb Maloof, mittlerweile inhaftiert ist.
Gegenüber diesen Zahlen nimmt sich der Sieg des PDA auf nationaler Ebene bescheidener aus, wenngleich die Zahl seiner Abgeordneten in den Provinz-Parlamenten von 14 auf 22 anstieg. Dieses Ergebnis kann durchaus als Denkzettel für den autoritären Regierungsstil Álvaro Uribes angesehen werden, obwohl dieser weiterhin große Popularität genießt. Dass die ihm nahestehenden Allianzen ebenfalls Zugewinne verzeichneten, hängt vor allem mit der andauernden Schwäche der Traditionsparteien zusammen. Zwar konnten sich die Konservativen im Vergleich zu den letzten Wahlen leicht erholen. Die Liberale Partei, der Uribe ursprünglich angehörte, musste jedoch starke Verluste hinnehmen. Da sich der Präsident in erster Linie auf die uribista-Parteien sowie Teile der Traditionsparteien stützt, stellt der Wahlausgang für ihn also kein großes Handicap dar, wie häufig in der internationalen Presse behauptet. Auch wenn der Sieg des PDA bei den Regionalwahlen gezeigt hat, dass der traditionelle Klientelismus zumindest in den Großstädten an Bedeutung verloren hat, ist die Zukunft der Linken in Kolumbien noch nicht gesichert. Nach wie vor stellen die informellen Strukturen politischer Herrschaft ein Hindernis für freie und faire Wahlen dar. In einem von Gewalt geprägten Klima ist es beileibe kein ungefährliches Unterfangen an die Urnen zu treten. So kamen auch in den diesjährigen Wahlen 29 Kandidaten im Kreuzfeuer der bewaffneten Akteure um. Ob es dem PDA gelingt, im Jahre 2008 tatsächlich den nächsten Präsidenten zu stellen, hängt ganz wesentlich von den politischen Fähigkeiten der neuen Führungsfigur Samuel Moreno ab. Dieser gibt jedoch bereits jetzt Anlass zu Zweifeln.
Als Enkel des ehemaligen Militärdiktators Gustavo Rojas Pinilla (Amtszeit 1953 – 57) spielte er während des Wahlkampfs mehrfach auf das „große Erbe“ seines Großvaters an. Dessen spätere Partei, die legendäre Nationale Volksallianz ANAPO, habe sich in den 60er und 70er Jahren für politische Veränderungen und soziale Reformen eingesetzt. Dass der gelobte Exdiktator jedoch ein ausgesprochener Populist vom Schlage Peróns war und außerdem von vielen Kolumbianern als Mitschuldiger am Bürgerkrieg der 50er Jahre betrachtet wird, sparte er hingegen aus. Nicht ganz zu Unrecht wird Moreno daher vorgeworfen, den populistischen Diskurs der ANAPO fortzusetzen und den BewohnerInnen der Hauptstadt unhaltbare Versprechen zu unterbreiten. Neben dem geplanten Ausbau des Sozial- und Bildungswesens stößt vor allem sein Projekt, in Bogotá eine Metro nach dem Vorbild der Stadt Medellín zu bauen, auf die Skepsis vieler Experten. Aufgrund der grassierenden Korruption sowie diverser technischer Schwierigkeiten halten nicht wenige Beobachter ein solches Vorhaben für undurchführbar. Es bleibt zu hoffen, dass Moreno Augenmaß bewahrt und sich eindeutig zum demokratischen, zivilen und sozialprogressiven Charakter seiner Partei bekennt. Im stark personenorientierten Wahlkampf erwähnte er den Namen des PDA allerdings auffallend selten, so als ob er sich für dessen „linke Tradition“ schämen würde. In Stile seines Großvaters präsentierte er sich stattdessen als universeller Heilsbringer und „Anti-Partei-Politiker“. Das Scheitern Morenos würde das Projekt der Linken jedoch um Jahre zurückwerfen und eine mögliche zweite Wiederwahl Uribes erleichtern.

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