Kolumbien | Nummer 384 - Juni 2006

Uribe will weiter kämpfen

Mit einer bequemen Umfragemehrheit ging der kolumbianische Präsident Álvaro Uribe Vélez in die Präsidentschaftswahlen

Weder die Vernachlässigung der Sozialpolitik noch jüngste Korruptionsskandale in der Regierung scheinen Präsident Uribe Vélez Stimmen gekostet zu haben. Mit ungebrochener Popularität ging dieser am 28. Mai in die Präsidentschaftswahlen, welche kurz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe stattfanden. Auch ohne konkrete Wahlergebnisse scheint also eines ziemlich klar zu sein: Präsident Uribe wird in den kommenden vier Jahren seine Politik der militärischen Konfrontation mit der Guerilla fortführen können. Derweil erklärte das Verfassungsgericht nur zehn Tage vor den Wahlen zentrale Punkte des Gesetzes zur Demobilisierung der Paramilitärs für nicht verfassungskonform.

Tommy Ramm

Die ans Licht gekommenen Regierungsskandale und der Verdacht auf Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen 2002 zugunsten Uribes, in welchen der kolumbianische Geheimdienst verstrickt gewesen sein soll, konnten dessen Popularität offenbar nicht beeinflussen. Letzte Umfragen vor den Wahlen ergaben, dass 55 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme Uribe geben wollten. Sein linker Herausforderer Carlos Gaviria vom Alternativen Demokratischen Pol käme demnach auf 24 Prozent, Horacio Serpa von der Liberalen Partei auf zehn Prozent.
Mit einer Art „kollektiver Verliebtheit” in den Präsidenten erklärt die kolumbianische Tageszeitung El Tiempo Uribes enormen Rückhalt. Für die Bevölkerung repräsentiere der derzeitige Amtsinhaber, der seinen Landsleuten mit festem Blick und deftigen Worten ein hartes militärisches Durchgreifen gegen linke Rebellengruppen verspricht, die Figur „eines Vaters, den sie niemals hatten”. Damit konnte er schon vor vier Jahren einen Erdrutschsieg erzielen, nachdem die Friedensgespräche zwischen dem damaligen Präsidenten Pastrana und der FARC-Guerilla gescheitert waren. Zwar ist die Regierung von einem militärischem Sieg gegen die Guerilla weit entfernt, was jüngste Offensiven der Rebellen bewiesen. Doch Uribe sieht gerade darin einen Grund, weiter zu machen:
„Die Schlange lebt noch”, erklärte er die Notwendigkeit weiterer vier Jahre unter seinem Mandat.

Keine Diskussion!

Trotz einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, welche eine Privatisierungswelle im Land und soziale Einschnitte etwa bei der Familienfürsorge nach sich zogen, konnte Uribe die letzten Jahre beständig eine Popularität von über 60 Prozent verbuchen. So ging zwar die offizielle Arbeitslosigkeit von knapp 20 Prozent auf etwas über zehn Prozent zurück, dafür aber stiegen die Unterbeschäftigung und die Arbeit im informellen Sektor bedeutend an. Besonders im Bildungssektor schnitt die Regierung in den letzten Jahren schlecht ab: Der Anteil der AnalphabetInnen an der Gesamtbevölkerung stieg in den letzten Jahren auf über zehn Prozent an, die Zahl der Schul- und Uni-
versitätsabschlüsse dagegen sank. Es ist daher eher Uribes Gespür für die politische Konjunktur seines Landes denn wirtschaftliche Zahlen oder soziale Daten, die seine Beliebtheit erklären.
Sich seiner Popularität bewusst, ließ sich Uribe vor den Wahlen denn auch auf keine öffentlichen Debatten mit seinen Kontrahenten ein, die ihn nur Stimmen hätten kosten können. Nicht zuletzt deshalb schien der Wahlkampf, in dessen Verlauf Uribes Favoritenrolle nie ernsthaft in Gefahr war, überaus langweilig und emotionslos. Trotzdem hielt dieser eine Überraschung parat: Der 69-jährige Linkskandidat Carlos Gaviria, der statt Säbelrasseln auf einen Dialog mit der Guerilla setzt (siehe LN-Interview in dieser Ausgabe), konnte sich an zweiter Stelle platzieren. Er könnte sich als einziger Stolperstein erweisen und Uribe zu einem politischen Schlagabtausch oder gar zu einer möglichen Stichwahl zwingen, sollte Uribe die 50-Prozent-Hürde nicht im ersten Anlauf überwinden.

Friedensprozess in Gefahr

Einen Schrecken hatte Uribe dennoch einstecken müssen. Nur zehn Tage vor den Präsidentschaftswahlen wartete das kolumbianische Verfassungsgericht mit einem Urteil auf, welches den Demobilisierungsprozess der Paramilitärs – Uribes innenpolitisches Steckenpferd – in Gefahr bringt. Nach monatelangen Beratungen erklärte das Gericht fundamentale Punkte des „Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden”, das den juristischen Rahmen für den Umgang mit den Mitgliedern der Todesschwadronen liefert, für verfassungswidrig. Dessen Grundstein wurde in Verhandlungen der Regierung mit den Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC), dem Dachverband der Paramilitärs, gelegt. Das Gesetz sah vor, dass die Verantwortlichen unzähliger Massaker an der Zivilbevölkerung mit maximal acht Jahren Gefängnishaft zu rechnen hätten. Zudem waren die Paramilitärs nicht explizit gezwungen, alle Taten vor Gericht zu gestehen, was eine der Wahrheit verpflichtete juristische Aufarbeitung erschwert hätte. KritikerInnen äusserten daher die Befürchtung, dass das Gesetz den Weg zur Straflosigkeit für diejenigen ebnen würde, die das wohl dunkelste Kapitel der jüngeren kolumbianischen Geschichte geschrieben haben. Dem schoben die Richter nun einen Riegel mit dem Hinweis vor, dass die für verfassungswidrig erklärten Punkte „die Rechte der Opfer aberkannten”.
Das Gericht stellte klar, dass das „Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden” frühere Urteile gegen Mitglieder der Paramilitärs nicht außer Kraft setzen könne. Theoretisch würde dies für die meisten Chefs der Paramilitärs neben den maximal acht Jahren Haft auf Grundlage dieses Gesetzes weitere, jahrzehntelange Gefängnisstrafen bedeuten, denn viele wurden in den neunziger Jahren in Abwesenheit wegen Massaker, Drogenhandel und illegaler Bereicherung verurteilt. Tatsächlich aber stellte das Gericht nachträglich klar, dass nach dem Gesetz verurteilte Paramilitärs diese Strafen zunächst nicht abzusitzen hätten. Um eine lückenlose Aufarbeitung der Verantwortung für begangene Verbrechen zu garantieren verpflichtete das Verfassungsgericht allerdings die Paramilitärs zu einer kompletten Aussage über ihre Straftaten. Sollte dies nicht geschehen, würde das Gesetz für die Angeklagten ausser Kraft gesetzt werden, was weit höhere Strafen zur Konsequenz hätte. Von den etwa 30.000 rechten Milizen, die in den letzten zweieinhalb Jahren ihre Waffen nieder legten, fallen zwar nur rund 2.000 unter das Gesetz, während die Mehrzahl der Kämpfer niedriger Ränge in staatliche Wiedereingliederungsprogramme integriert wurden. Doch diese könnten den Friedensprozess nun für unterbrochen erklären.

Reaktion bleibt offen

„Die Entscheidung des Gerichts ist der Todesstoß für den Friedensprozess”, erklärte AUC-Sprecher Ernesto Báez, da damit dem Gesetz die „Essenz” genommen werde. Gustavo Gallón, Chef der Kolumbianischen Juristenkomission, welche die Klage von mehr als 100 Personen und Gruppen gegen das Gesetz anstrengte, äußerte dagegen, dass „dem Gesetz das Krebsgeschwür entfernt worden sei”. Abzuwarten bleibt nun, wie die Regierung auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts reagiert. Báez rief diese auf, umgehend die Hindernisse für eine erfolgreiche Beendigung des Friedensprozesses auszuräumen, da sonst zweieinhalb Jahre Verhandlungen zunichte gemacht würden. Zu erwarten ist, dass die Regierung dem Kongress ein neues Gesetz vorlegt, dass den Paramilitärs weit mehr entgegen kommt. Vorausgesetzt, Uribe bleibt im Amt.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren