VERBOTENE ZEICHEN
Pixação-Sprüher*innen haben in Brasiliens Großstädten Graffiti neu erfunden – statt Anerkennung ernten sie Repression
Die umstrittene Kunstform Pixação steht seit jeher im Fadenkreuz von Justiz und Medien. In Belo Horizonte gipfelte die zunehmende Kriminalisierung Ende März in Festnahmen und Anklagen wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Auch das Ende der PT-Regierung lässt für die Szene nichts Gutes hoffen.
Farben, Handys, Kleidungsstücke, Zeitschriften, Kleiderbügel. So liest es sich auf dem Festnahmeprotokoll des Pixação-Sprühers Goma. Kistenweise angeblicher Beweismaterialien beschlagnahmten Polizeibeamt*innen am 3. März bei seiner Festnahme in der Millionenstadt Belo Horizonte. Goma, Urgestein der Szene, betreibt einen kleinen Laden in seiner Wohnung, in dem er Sprühdosen, Marker, T-Shirts und weitere Szeneartikel verkauft. Nun wird dem Sprayer vorgeworfen, die vom Stararchitekten Oscar Niemeyer entworfene Pampulha-Kirche mit Pixação besprüht zu haben. Die Stadtverwaltung kündigte kurz nach der Tat an, eine Sonderkommission zur Verfolgung von Pixação einzurichten. Drei Haftbefehle wurden im Zusammenhang mit der Bemalung der Kirche erlassen. Ein 25-Jähriger soll die Tat nach seiner Festnahme gestanden haben. Ein mutmaßlicher „Komplize“ ist auf der Flucht.
Im Bundesstaat Minas Gerais versuchen Richter*innen höhere Haftstrafen für Pixação durch die Anwendung anderer Straftatbestände zu erreichen. 2010 wurde gegen die Pixadores der Gruppe Os Piores de Belô Anklage wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ erhoben. Auch Goma wird Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie Aufruf und Beihilfe zu Straftaten vorgeworfen. Abgesehen vom Verkauf von Szeneartikeln wurden bis jetzt aber keine Beweise für die Vorwürfe vorgebracht.
Aus europäischer Perspektive würde man Pixação als eine Form des Tag-Graffitis beschreiben. Während bestimmte Arten von Graffiti, insbesondere bunte Wandmalereien bildlicher Motive, mittlerweile eine anerkannte Kunstform in Brasilien darstellen, sprühen Pixadores ihre Schriftzüge meist einfarbig, in verschlungenen Buchstaben auf jede nur erdenkliche Oberfläche im öffentlichen Raum brasilianischer Großstädte. Internationale Wissenschaftler*innen und Kulturschaffende interessieren sich zunehmend für diese etwas andere Kunstform. Konservative Politiker*innen und Mainstreammedien sind sich hingegen einig: Pixação ist eine „Plage“, „Vandalismus“, „eines der größten aktuellen Probleme“.
Dementsprechend hart sind die Forderungen nach Bestrafung. Seit 1998 wird Pichação (im Gesetzestext mit „ch“ geschrieben) als „Verbrechen gegen die Umwelt“ geahndet. Bis zu ein Jahr Haft und Geldstrafen sind vorgesehen. Vielfach wird gefordert die Strafen sogar noch zu erhöhen. Ein Gesetzentwurf aus dem Jahr 2015 sieht neben der Erhöhung der Haftstrafe auf bis zu zwei Jahre den Ausschluss von jeglichen Sozialleistungen vor. Ein Paragraph des Entwurfs beruft sich auf Studien, die angeblich belegen, dass „dieses Verbrechen im Allgemeinen von Arbeitslosen, Personen mit niedrigem Einkommen und Personen, die informellen Tätigkeiten nachgehen und mehrheitlich staatliche Hilfeleistungen in Anspruch nehmen“ ausgeübt werde. Der Gesetzentwurf steht symptomatisch für die Strafverfolgung der brasilianischen Justiz: Allein schon die Tatsache ohne große Einkünfte zu leben oder auf sozialstaatliche Hilfe angewiesen zu sein, scheint bestraft werden zu sollen – vorzugsweise mit einigen Jahren Haft.
Pixadores fürchten sich neben der Verhängung von Haftstrafen auch vor der Polizeigewalt auf der Straße. Die übliche, „unbürokratische“ Bestrafung nach Ergreifung von Pixadores erfolgt sofort und wird als „banho de tinta“ (Farbbad) bezeichnet. Bei dieser außergerichtlichen Abrechnung sprühen die Beamt*innen den Betroffenen Farbe in das Gesicht, auf die Hände sowie auf die Genitalien oder zwingen sie, die Farbe zu trinken. Meist begleiten Schläge und Beleidigungen diese gewalttätige Prozedur. Im August 2014 erschossen Polizist*innen in São Paulo zwei unbewaffnete Pixadores. Die Familien der Opfer sprachen hinterher von einer „Hinrichtung“. Die Reaktion der Szene waren wütende Demonstrationen in der Millionenmetropole. Für kurze Zeit begleitete den Fall einige mediale Aufmerksamkeit – die beteiligten Beamt*innen wurden trotzdem bis heute nicht verurteilt.
Die Kriminalisierung und gewaltsame Unterdrückung der „cultura popular“ ist ein fester Bestandteil brasilianischer Geschichte. „Cultura popular“ bezieht sich nicht auf kommerzielle Populärkultur, sondern meint jene kulturellen Ausdrucksformen, die sich aus der Lebensrealität der armen Bevölkerungsmehrheit entwickelten. Die afrobrasilianische Religion Umbanda sowie die Tänze Maxixe und Samba wurden im 19. und frühen 20. Jahrhundert von staatlichen Sicherheitskräften mit aller Härte verfolgt. Der Kampftanz Capoeira war im Strafgesetzbuch der ersten Republik, auch nach Abschaffung der Sklaverei, als „Verbrechen gegen die Person und gegen das Privateigentum“ aufgeführt. Während Samba und Capoeira heute feste Bestandteile der nationalen Identität Brasiliens sind, haben sich in den Peripherien der Großstädte neue „culturas populares“ entwickelt. Die staatliche Repression trifft auch sie. So werden die pulsierenden Baile-Funk Partys in den Favelas oder die sogenannten „rolezinhos“ – Flashmobs von Jugendlichen in Parks und Einkaufszentren – regelmäßig gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Auch Pixação lässt sich als eine wichtige Ausdrucksform von Jugendlichen aus den armen Vorstädten begreifen. „Graffiti oder Kunst? Davon verstehe ich nichts. Ich werfe einfach mein Pixo an die Wand“, erklärt ein junger Pixação-Sprüher aus der nördlichen Peripherie von São Paulo.
Die zunehmende Kriminalisierung in Belo Horizonte besorgt auch die Sprüher*innen in anderen Städten. Cripta Djan, Pixador aus São Paulo, erklärt, dass er eine ähnlich rigide Strafverfolgung auch in seiner Heimatstadt nicht ausschließe. „Erst recht jetzt, wenn wirklich diese Gruppe weiter regiert, die das Land übernommen hat. Dann wird in Sachen Repression alles möglich sein.“
Das vorläufige Ende der Regierung der Arbeiterpartei PT bedeutet auch für die Pixadores nichts Gutes. „Die PT hatte auch ihre Fehler, aber zumindest hat das Kulturministerium seine Türen für uns geöffnet. Es gab einen gewissen Dialog.“ Kulturminister Juca Ferreira zog seit 2008 auch einzelne Pixadores in Kunstprojekte mit ein. Das Ministerium hatte im Jahr 2012 eine Reise von Pixacão-Sprüher*innen zur Berliner Biennale finanziert. „Diese Rechte dagegen hat als erstes, als sie an die Macht kam, das Kulturministerium abgeschafft“, erklärt Djan wütend. Eine Anerkennung oder gar Förderung von Pixacao als legitimer Bestandteil brasilianischer Kultur scheint unter der neuen Regierung ausgeschlossen.
Bedrohlich für die Szene könnte außerdem die Personalie des neu ernannten Justizministers, Alexandre de Moraes, sein:„Der Kerl war Sekretär für öffentliche Sicherheit und veranlasste unter anderem die Proteste der Schüler mit bloßer Gewalt zu unterdrücken.“ De Moraes hatte sich mit seinem harten Durchgreifen gegen soziale Proteste in São Paulo einen Namen gemacht hat. In seiner Amtszeit stieg die Zahl der von Polizist*innen außerhalb des Dienstes verübten Morde um 61 Prozent – damit geht einer von vier Morden in São Paulo auf das Konto der Polizei. Djan befürchtet, dass sich nun Pixadores in ganz Brasilien auf härtere Strafen und weiter steigende Polizeigewalt einstellen müssen, während Polizist*innen sich ihrer Immunität noch sicherer sein könnten. Brasilien steuere darauf zu, ein „Land der Straflosigkeit und Unterdrückung“ zu werden.