Kolumbien | Nummer 489 - März 2015

Verdammt zur Entwicklung

Deutsche Hermesbürgschaften für den umstrittenen Staudamm Hidrosogamoso

Es ist die größte Baustelle Kolumbiens. In der nordkolumbianischen Region Santander baut das Unternehmen ISAGEN ein Wasserkraftwerk am Fluss Sogamoso – mit Hilfe einer deutschen Hermesbürgschaft. Das Unternehmen versprach der lokalen Bevölkerung Entwicklung und Wohlstand, die kolumbianische Regierung erhofft sich eine energetische Erschließung der abgelegenen Region. Nun wird der Stausee geflutet und die Menschen am Fluss sind ernüchtert. Statt der versprochenen Verbesserung ihrer Lebensumstände haben sie ihre Lebensgrundlagen verloren und kämpfen nun um Entschädigung.

David Vollrath

Unterhalb der 190 Meter hohen Staumauer des Hidrosogamoso-Wasserkraftwerkes laufen die Fischer*innen des Ortes Betulia in der nordkolumbianischen Region Santander ungläubig durch das knöchelhohe, braune Wasser des Flussbettes des Rio Sogamoso. Ihre Boote liegen verloren auf dem schlammigen Flussgrund. Am anderen Ufer stürzt sich eine schwarze Vogelschar auf die verendeten Fische, die zu Dutzenden mit aufgedunsenen Bäuchen in der Sonne verwesen. „Wenn ich auf den Fluss blicke, werde ich traurig. Das einzige, was mir einfällt ist: Wir müssen kämpfen. Zuerst kamen die Guerilleros, dann die Paramilitärs und nun kommt die Regierung und hinterlässt uns diese Verwüstung. Uns verfolgt das Unglück“, sagt ein älterer Fischer aufgebracht in die Kamera.

Während Claudia Ortiz den Dokumentarfilm Vidas Represadas (auf Deutsch: Unterdrückte Leben), mit den Szenen vom Juni 2014 aus der Gemeinde Betulia, nur wenige Monate später in Berlin präsentiert, stehen ihr die Tränen in den Augen. Sie ist zum ersten Mal in Europa und vertritt die kolumbianische Basisbewegung Movimiento Rios Vivos (MRV, auf Deutsch: Bewegung der lebenden Flüsse). Claudia Ortiz kommt selbst aus dem Fischerdorf La Playa, einige Kilometer flussabwärts von Betulia, ihre Familie lebt vom Fischfang und der Landwirtschaft.

Gemeinsam mit ihrem Kollegen Juan Pablo Soler, Menschenrechtsaktivist und Vertreter des Zentrums für nationale Gesundheit, Umwelt und Arbeit (Censat), folgte Ortiz einer Einladung der Schweizer Friedrich-Ebert-Stiftung zur UN-Konferenz für Wirtschaft und Menschenrechte Anfang Dezember 2014 in Genf. Während des Gesprächs mit LN sitzen beide in Berlin und bereiten sich auf ein Treffen mit Vertreter*innen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) und des privaten Kreditversicherers Euler-Hermes vor, das für den nächsten Tag geplant ist. Die Bundesregierung genehmigte im Dezember 2012 für die Finanzierung des Hidrosogamoso-Staudamms eine Hermesbürgschaft in Höhe von 73 Millionen US-Dollar, unter anderem mit der Begründung, dass das Projekt der Region „Entwicklung“ bringe. Bei dem Wort „Entwicklung“ lächelt Ortiz müde: „Es ist einfach eine Lüge. Vor dem Bau des Staudamms garantierte uns der Fluss Rio Sogamoso Wasser, Nahrung, Arbeit und Transportmöglichkeit. Heute gibt es davon nichts mehr. Und sowohl die kolumbianische Regierung als auch die am Bau beteiligten Unternehmen weigern sich, uns als Geschädigte anzuerkennen und Ausgleichszahlungen zu zahlen.“

„Wir müssen kämpfen“ Claudia Ortiz spricht für die Betroffenen des Staudammprojektes. Foto: Agencia Prensa Rural, CC BY-NC-ND20
„Wir müssen kämpfen“ Claudia Ortiz spricht für die Betroffenen des Staudammprojektes.
Foto: Agencia Prensa Rural, CC BY-NC-ND20.

Der Fluss Rio Sogamoso fließt durch Santander, eine Region 285 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bogotá. Er ist Teil eines großen transregionalen Flusssystems und speist den größten Fluss des Landes, den Rio Magdalena. Die Ufer des Rio Sogamoso sind von tropischen Bergwäldern mit einer hohen Artenvielfalt geprägt. Die lokalen Gemeinden sind wirtschaftlich vom Fluss abhängig. Vor allem während der saisonalen Trockenzeit sind die beiden wichtigsten regionalen Wirtschaftsbereiche, die Land- und Viehwirtschaft, auf das Wasser des Sogamoso angewiesen.

Mit dem Bau des Hidrosogamoso-Wasserkraftwerks 2009 veränderte sich das Leben der Menschen am Rio Sogamoso dramatisch. Bei den Fischergemeinden flussabwärts der Staumauer ist der Flusslauf teilweise nur noch ein Rinnsal. Ende 2014 begann die Flutung des Stausees, die aufgrund technischer Fehlplanungen länger als geplant dauern wird und im ersten Quartal 2015 beendet sein soll. Eine Fläche von 70 Quadratkilometern wird überschwemmt werden, dort wo vorher Menschen lebten, ihre Felder bestellten und hohe Bäume der anliegenden Wälder standen. Das Kraftwerk soll nach seiner Fertigstellung 5.056 Gigawatt-Stunden Strom im Jahr erzeugen, das entspricht neun Prozent der kolumbianischen Energieproduktion. Es ist Teil der nationalen Energiestrategie, die darauf abzielt, den rasant steigenden Energiebedarf des Landes vor allem mit Wasserkraftprojekten zu decken. Der Strom kommt aber nur zu einem geringen Teil der lokalen Bevölkerung zu Gute. „Die kolumbianische Regierung fördert den Ausbau energieintensiver, extraktivistischer Wirtschaftsprojekte wie Bergbau, Ölförderung und die Produktion von Agrotreibstoffen für den Weltmarkt. Für diese Wirtschaftsstrategie muss sie eine energetische Infrastruktur schaffen. Je günstiger der Strom, desto größer die Gewinne. In Santander sind einige transnationale Bergbauprojekte geplant, die von der Energieerzeugung des Hidrosogamoso- Wasserkraftwerkes profitieren werden“, erklärt Juan Pablo Soler.

Das Hidrosogamoso-Projekt wird vom Energiekonzern ISAGEN entwickelt. Das halbstaatliche Unternehmen produziert bereits etwa 20 Prozent der kolumbianischen Energie, vor allem durch Wasserkraftwerke. Neben ISAGEN sind auch einige ausländische Unternehmen am Bau des Hidrosogamoso Staudamms beteiligt, die das Projekt mit technischer Ausrüstung beliefern, es finanzieren und versichern. Ein Konsortium aus der italienischen Firma Salini Impregilo und den kolumbianischen Unternehmen Conalvia und Tecnica Vial baut den Staudammkomplex. Siemens‘ kolumbianische Tochterfirma lieferte und installierte die Transformatoren, die deutsche Niederlassung des Turbinenherstellers Andritz die Turbinen. Die Exportkreditgarantie für die Finanzierung der Turbinenlieferung von Andritz übernahm die deutsche Bundesregierung durch die Genehmigung der Hermesbürgschaft über 73 Millionen US-Dollar an die spanische Bank Banco Santander im Dezember 2012.

Hermesbürgschaften sind ein Instrument der deutschen Außenwirtschaftsförderung, die deutsche Unternehmen bei ihren Auslandsgeschäften vor Zahlungsausfällen absichert. Die Exportkreditgarantien werden vom Interministeriellen Ausschuss genehmigt, der vom BMWi geleitet wird und dem das Finanz- und Außenministerium sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung angehören. Der private Kreditversicherer Euler-Hermes verwaltet die Exportkreditgarantie im Auftrag des BMWi. Die Vergabe der Hermesbürgschaften richten sich nach den Nachhaltigkeitsrichtlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Das Hidrosogamoso Kraftwerk wurde als ein Projekt kategorisiert, dass „potentiell starke ökologische bzw. soziale Auswirkungen“ haben wird. Das BMWi und Euler-Hermes veröffentlichten zwar das Umweltgutachten zum Hidrosogamoso-Projekt, indem bereits zahlreiche ökologische, geologische und soziale Risiken benannt wurden, bestritten aber im Gespräch mit Claudia Ortiz und Juan Soler, dass es „belastbare Informationen“ über gravierende menschenrechtliche und ökologische Probleme im Zusammenhang mit diesem Projekt besäße. In ihrer Einschätzung berufen sich das BMWi und Euler-Hermes auf Informationen der Deutschen Botschaft in Kolumbien, der Banco Santander und von ISAGEN, die die Kritik der Basisbewegung MRV als ungerechtfertigt bezeichnen. Das BMWi erwähnte in einer E-Mail, dass sie das Projekt weiterhin über Monitoringmaßnahmen kritisch begleiten werden, konkretisierte aber nicht, wie diese genau umgesetzt werden sollen.

Dabei gibt es umfangreiche Augenzeugen- und Medienberichte sowie Dokumente des kolumbianischen Umweltministeriums, die offen legen, dass seit Beginn der Baumaßnahmen am Hidrosogamoso-Staudamm soziale und ökologische Standards verletzt wurden. Zudem hielt sich das Unternehmen ISAGEN in der Planungsphase des Staudammprojekts nicht an die Konsultationspflicht der Anwohner*innen. In der kolumbianischen Verfassung ist festgelegt, dass die von Wirtschaftsprojekten betroffenen Gemeinden konsultiert und umfangreich über die Auswirkungen der Projekte informiert werden müssen. ISAGEN berichtet von Konsultationen in 128 Gemeinden mit 2100 Personen. Das Umweltgutachten zum Hidrosogamoso-Projekt schätzt die Zahl der betroffenen Menschen hingegen auf 30.000. MRV hält die durchgeführten Konsultationen daher für völlig unzureichend und irreführend. Claudia Ortiz hat persönlich an Konsultationen teilgenommen und kritisiert:„In den Gesprächen schwärmten die Vertreter von ISAGEN von den Vorteilen des Wasserkraftwerkes und versprachen uns Arbeitsplätze, eine bessere Gesundheitsversorgung, dass neue Schulen und Straßen gebaut werden. Deswegen begrüßten anfänglich viele Menschen das Projekt. Von den negativen Auswirkungen, die wir jetzt spüren, erwähnten sie nichts.“ Die Erwartungen, die die lokale Bevölkerung in den Bau des Staudamms setzte, wurden schnell enttäuscht. ISAGEN schuf nur einen Bruchteil der Anfangs versprochenen Arbeitsplätze für Arbeiter*innen aus der Region. Stattdessen erhöhten sich die wirtschaftlichen Kosten für die Menschen am Rio Sogamoso. Die von den Auswirkungen der Baumaßnahmen betroffene Fläche beträgt 226 Quadratkilometer, die Hälfte davon wurde zuvor für Viehwirtschaft und ein weiteres Drittel für Landwirtschaft genutzt.

Der einst fischreiche Fluss garantiert den vielen Fischerfamilien kaum mehr ein Einkommen, seitdem die Bestände der wirtschaftlich wertvollen Speisefische, vor allem der zahlreichen großen Welsarten, drastisch zurückgegangen sind. Verschiedene Studien über das Ökosystem des Rio Sogamoso weisen darauf hin, dass die großen Fische auf nährstoff- und sauerstoffreiches Wasser angewiesen sind, das der Fluss durch die Stauung nicht mehr in ausreichendem Maße bereitstellen kann. Fast alle Familien in La Playa, dem Heimatdorf von Claudia Ortiz, lebten vom Fischfang. Drei Jahre nach Baubeginn kann dort niemand mehr seinen Lebensunterhalt durch die Fischerei bestreiten. Auch der Tourismus, der sich in den letzten Jahren in behutsamer Form am Fluss entwickelt hatte und der Bevölkerung ein Zusatzeinkommen sicherte, kam durch die Baumaßnahmen zum Erliegen.

ISAGEN zahlte bisher lediglich 283 Familien eine Entschädigung wegen des Verlustes von Land, Arbeit und ihrer Ernährungsgrundlagen. MRV kritisiert, dass selbst die wenigen ausgezahlten Entschädigungen dem entstandenen Verlust von Häusern und Land nicht entsprechen und den umgesiedelten Familien kaum einen Neuanfang garantieren können. Fast alle dieser Familien hatten in dem Bereich gelebt, der nun vom Stausee überflutet wird. Die restlichen Anwohner*innen, insbesondere die Fischerfamilien flussabwärts der Staumauer werden von Staat und Unternehmen erst gar nicht als anspruchsberechtigt anerkannt.

Claudia Ortiz ist empört: „Obwohl nach dem Umweltgutachten viel mehr Menschen als betroffen gelten, zum Beispiel auch die Fischer flussabwärts, verweigert das Unternehmen diesen Familien die Anerkennung für Ausgleichszahlungen und sagt, wen wir nicht schädigen, der wird auch nicht entschädigt.“

„Wasser ist Leben, und Leben ist keine Ware!“ Staudammgegner*innen fordern einen Baustopp. Foto: Andres Macana
„Wasser ist Leben, und Leben ist keine Ware!“ Staudammgegner*innen fordern einen Baustopp.
Foto: Andres Macana

Als kurz nach Baubeginn 2010 die ersten gravierenden Umweltauswirkungen am Fluss offensichtlich wurden und ISAGEN Beschwerden ignorierte, organisierte die lokale Bevölkerung die ersten friedlichen Proteste und Baublockaden. Mit Hilfe des landesweiten Basisnetzwerkes MRV, das von Staudammbetroffenen aus anderen kolumbianischen Regionen gegründet wurde, beriefen die Dorfgemeinden am Rio Sogamoso mehrere Treffen ein, um die Beschwerden der Menschen zu bündeln und um sich als Widerstandsbewegung zu organisieren. Sie begannen die von den Bauarbeiten am Damm verursachten Umweltschäden mit Fotos und Videoaufnahmen zu dokumentieren, schrieben Berichte und informierten die Medien.

Ihre Arbeit zeigte noch im selben Jahr einen ersten Erfolg. Aufgrund der sozialen Proteste und der Beschwerden von MRV über die Umweltauswirkungen des Staudammprojekts lehnte das kolumbianische Umweltministerium den Antrag von ISAGEN ab, Hidrosogamoso als Clean Developement Mechanism (CDM) Projekt zu klassifizieren. Der CDM-Standard hätte das Wasserkraftwerk als Umwelt- und Entwicklungsprojekt eingestuft und ISAGEN ermöglicht, Emissionszertifikate zu verkaufen. Das Umweltministerium begründete seine Ablehnung des CDM-Standards mit der rechtlich inadäquaten Konsultation der betroffenen Bevölkerung und diverser Umweltvergehen durch ISAGEN.

Dieser Erfolg forderte jedoch hohe Verluste. Zwischen 2009 und 2013 wurden sechs Dorfvorsteher ermordet, die sich gegen das Hidrosogamoso-Projekt engagierten. Weitere Aktivist*innen verschwanden spurlos. Die Basisbewegung MRV kritisiert, dass die Behörden bisher nur wenig unternommen haben, um die Verbrechen aufzuklären. Des Weiteren würden diejenigen, die sich weiterhin für eine Entschädigung der betroffenen Bevölkerung und eine Aufklärung der Todes- und Vermisstenfälle einsetzen, anonym bedroht. Claudia Ortiz lässt sich nicht einschüchtern. Im September 2014 legte sie eine Rechtsbeschwerde gegen ISAGEN und die nationale Agentur für Umweltlizenzen wegen Verstößen gegen die verfassungsrechtlich verankerten Rechte auf eine gesunde Umwelt und eine nachhaltige Entwicklung ein. Einen Monat später präsentierte MRV den Hidrosogamoso-Fall vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und legte ebenfalls Beschwerde ein gegen ISAGEN und den kolumbianischen Staat wegen der Vertreibung der lokalen Bevölkerung. Claudia Ortiz weiß, dass die Aussichten auf einen erfolgreichen Rechtsweg gering sind. „Inwiefern wir damit Erfolg haben, wird sich zeigen. Aber wir gehen diesen friedlichen Weg, denn wir hatten genug Gewalt in Kolumbien“, sagt sie entschlossen. „Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Dorfgemeinden mehr Mitsprache bekommen und ihre Rechte gestärkt werden. Nur so ist eine friedliche Entwicklung für alle möglich.

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