Verhandlungspoker zwischen Zapatisten und Regierung
Verhandlungspoker zwischen Zapatisten und Regierung
Gila: Was haltet Ihr von der Zurückweisung des Regierungsangebotes?
Carlos Rodriguez: Die Zapatisten (EZLN) handelten sehr vernünftig, den Dialog mit der Regierung zu suchen und als ersten Verhandlungspunkt die ökonomische Situation auf die Tagesordnung zu setzen. Denn hier zeigte die Regierung die größte Handlungsbereitschaft. Wären die Gespräche gleich zu Beginn gescheitert, dann wären weitere Verhandlungen völlig unsinnig gewesen. Diese Ausgangssituation ermöglichte dann einen breiteren Dialog mit der Regierung.
Warum hat die Mehrheit der Dorfgemeinschaften den gesamten Vorschlag abgelehnt?
Es geht der Zivilbevölkerung in Chiapas nicht darum, generell Angebote, die die Regierung macht, von vornherein abzulehnen. Aber dieses Angebot war nicht ausreichend. Zu Anfang richteten sich die Hoffnungen der Zapatisten auf eine lokale Demokratisierung. Aber darüber wollte die Regierung nicht verhandeln. Die EZLN akzeptierte bei den Verhandlungen dennoch, daß es dabei lediglich um Dienstleistungen, wirtschaftliche Fragen, Zufahrtswege und Lebensmittelhilfe ging, aber nur aus taktischen Gründen, um die Verhandlungen nicht abbrechen zu lassen. Alle Themen von nationaler Reichweite wurden von der Regierung vom Tisch gefegt. Von den 34 Forderungen der EZLN wurden zwar 32 erfüllt, aber die beiden wichtigsten wurden ausgelassen: Bei den zentralen Forderungen nach lokaler Demokratisierung und kultureller Unabhängigkeit machte die Regierung keine Zugeständnisse.
War es für Euch überraschend, daß das Angebot abgelehnt wurde?
Nein. Das hat uns nicht überrascht. Wir befinden uns gerade in der Phase vor den Wahlen. Das heißt, daß Verhandlungen, die noch vor der Wahl zu Ende geführt würden, zu frustrierenden Ergebnissen geführt hätten. Ich möchte hier noch einmal betonen, daß die Verhandlungen noch nicht zu Ende sind. Aber die EZLN beobachtet die Wahlen und prüft, ob die Regierung ihr Wahlversprechen, saubere Wahlen durchzuführen, einhält. Ist dies nicht der Fall, greifen die Zapatisten möglicherweise erneut zu den Waffen.
Die Zapatisten haben die Mehrheit der indianischen Gemeinschaften befragt, ob sie trotz der schwierigen Situation ihre Forderungen aufrechterhalten wollen, ` denn es wäre ja möglich, daß sie sich mit den Ereignissen zufrieden gegeben hätten.
Niemand ist mit der jetzigen Situation zufrieden. Wenn die Leute dem staatlichen Angebot zugestimmt hätten, hätte das einen Rückschritt in den Verhandlungen bedeutet. Aus der Zeitperspektive der Indigenas ging alles aber sehr schnell.
Die Zapatistische Bewegung gibt es seit vielen Jahren, und sie hat immer für die Emanzipation gekämpft. Aber sie kam nicht bis nach Chiapas. Dort wurden die Campesinos in der Revolution 1910-1919 als Kanonenfutter für die Landbesitzer benutzt. Die Revolution hat in Chiapas dazu geführt, daß die Landbesitzer noch mehr Land bekamen und die Indigenas mit ihrem Leben bezahlen mußten. Das ist der Grund für die Rückständigkeit der Region.
Die Regierung drückte ihre westliche Zeitvorstellung gegen die der chiapanekischen Bauern durch. Die Regierung legte fest, wann und wie verhandelt wird. Doch die Verhandlungen müssen nach dem Zeitplan durchgeführt werden, den die Indigenas bestimmen. Der Dialog zwischen der Regierung und der EZLN ist also im Moment nicht unterbrochen, sondern die Indigenas setzen ihre Zeitvorstellungen um. Bisher war es immer so, daß die Regierung Angebote machte. Aber es waren immer Vorschläge, die nie gleichberechtigt von beiden Seiten kamen. Die Mehrheit der Indigenas ist für den Dialog, den sie selbst zeitlich bestimmen will. Es gibt auch eine Minderheit, die für den bewaffneten Kampf ist, und etwa zwei Prozent sind für den Plan der Regierung. Bei den Verhandlungen muß darauf geachtet werden, daß alle Meinungen berücksichtigt werden.
Was muß die Regierung anbieten?
Es gibt zwei elementare Forderungen: erstens saubere Wahlen und zweitens eine geordnete Landaufteilung. Alle Großgrundbesitzer müssen ihre Besitzverhältnisse klar offenlegen, und zwar nicht nur in Chiapas, sondern in jedem Bundesstaat. Es muß einen Zensus für landbesitzende Familien geben, damit die getarnten Latifundien entdeckt werden. Sonst ist es möglich, daß jemand in einem Bundesstaat seinen Besitz verkauft, aber noch Land in einem anderen hat. Es muß für die kommenden Wahlen Wahlbeobachtungen durch die eigene Bevölkerung geben, die dafür in besonderen Kursen ausgebildet werden muß, in Zusammenhang mit den Vereinten Nationen. In Mexiko muß es außerdem einen Volksentscheid über eine neue Verfassung geben, über einen neuen Sozialpakt. Diese Verantwortung kommt auf die neue Regierung zu.
Wie stark sind die Verhandlungspositionen und welche Druckmittel hat die ELZN?
Die Verhandlungen haben einen nationalen Charakter, das heißt, alle Forderungen beziehen sich auf das ganze Land. Druck kann nur durch die aktive Teilnahme der Bevölkerung ausgeübt werden. Nach dem Mord an dem PRI-Präsidentschaftskandidaten Colosio war die Bewegung wie gelähmt. Alles geriet aus den Fugen. Noch einmal wäre eine solche Situation verhängnisvoll. Der andere Weg, Druck auszuüben, muß in einer Annäherung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kräften des Landes bestehen. Das Ergebnis hängt hier in Chiapas sehr von dem Engagement der Bevölkerung ab. Dabei brauchen wir auch Hilfe von außen – internationale Hilfe.
Wie kann das Problem des Hungers gelöst werden, und was machen die bewaffneten KämpferInnen zur Zeit?
Das was sie am Anfang auch gemacht haben: Sie leben immer noch bewaffnet. Was die Lebensmittel angeht: Es gibt drei Millionen Einwohner in Chiapas, davon sind 90 Prozent Indigenas. Hier herrscht das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen des gesamten Landes. Was wir brauchen, ist humanitäre Hilfe und veränderte Handelsbedingungen. Den Bauern in Chiapas müßte es ermöglicht werden, von direkten Einnahmen zu leben. Alles spricht von Dritter Welt, aber für uns ist es die vierte Hölle. Wenn wir von dem Konzept ausgehen, daß hier (in Deutschland) die Erste Welt ist und von hier aus Pflanzen nach Lateinamerika kamen, muß diese Erste Welt auch zu Lösungen beitragen.
Gibt es eine Gefahr durch das mexikanische Militär?
Es gibt ständig Truppenbewegungen, aber keine Informationen darüber, warum das geschieht. Die Anzahl der Soldaten ist nicht genau bekannt, aber man spricht von 15.000. Die Unsicherheit innerhalb der Bevölkerung ist groß.
Wer hat als Kandidat im kommenden Wahlkampf die besten Aussichten?
Die wichtigste Kraft ist die Zivilbevölkerung. Zwei Kandidaten haben jedoch die stärkste Unterstützung durch die Presse: der PRI- und der PAN-Kandidat. In den Reihen der Oppositionsparteien gibt es auch charismatische Köpfe, die den politischen Forderungen der breiten Bevölkerung näher stehen. Aber sie tauchen so gut wie nie in den Massenmedien auf.
Also weitere sechs Jahre PRIRegierung?
Sicher. Die Frage bleibt, welche Bündnisse die verschiedenen politischen Kräfte im Parlament schließen, um zu einer Mehrparteienlösung zu kommen. Möglicherweise ändert sich hier einiges, aber es ist für die Bevölkerung undurchsichtig. Wir Indigenas haben nicht teil am parlamentarischen System. Die PRI dominiert alles. Es ist sehr schwierig, in dieses Parlament zu gelangen.