Mexiko | Nummer 241/242 - Juli/August 1994

Verhandlungspoker zwischen Zapatisten und Regierung

Verhandlungspoker zwischen Zapatisten und Regierung

Wie sehen Kooperativen aus dem südöstlichen Bundesstaat Chiapas die jüngste Entwicklung der Friedensverhandlungen in ihrer Region? Warum haben fast alle indianischen Dorfgemeinschaften das Friedensangebot der mexikanischen Regierung abgelehnt? Und vor allem, welche taktischen Winkelzüge schlagen die Kontrahenten Guerilla und Salinas-Regierung ein?
Zu diesen Fragen äußerten sich indigene Vertreter der “Sociedad Cooperativa de Producción Tzeltal Tzotzil” und der “Sociedad Agropecuaria Panahá”, die im Juni nach Berlin kamen: auf der Suche nach deutschen Handelspartnern für Honig und Kaffee. Nicolás González, Alonso López, Martha Ramírez und Carlos Rodriguez, der in Palenque ein Dokumentationszentrum für Indigenafragen einrichten will, sprachen mit Gila Klindworth.

Gila Klindworth

Gila: Was haltet Ihr von der Zurück­weisung des Regierungsangebotes?
Carlos Rodriguez: Die Zapatisten (EZLN) handelten sehr vernünftig, den Dialog mit der Regierung zu suchen und als ersten Verhandlungspunkt die ökono­mische Situation auf die Tagesordnung zu setzen. Denn hier zeigte die Regierung die größte Handlungsbereitschaft. Wären die Gespräche gleich zu Beginn gescheitert, dann wären weitere Verhandlungen völlig unsinnig gewesen. Diese Ausgangssitua­tion ermöglichte dann einen breiteren Dialog mit der Regierung.
Warum hat die Mehrheit der Dorfge­meinschaften den gesamten Vorschlag abgelehnt?
Es geht der Zivilbevölkerung in Chiapas nicht darum, generell Angebote, die die Regierung macht, von vornherein abzu­lehnen. Aber dieses Angebot war nicht ausreichend. Zu Anfang richteten sich die Hoffnungen der Zapatisten auf eine lokale Demokratisierung. Aber darüber wollte die Regierung nicht verhandeln. Die EZLN akzeptierte bei den Verhandlungen dennoch, daß es dabei lediglich um Dienstleistungen, wirtschaftliche Fragen, Zufahrtswege und Lebensmittelhilfe ging, aber nur aus taktischen Gründen, um die Verhandlungen nicht abbrechen zu lassen. Alle Themen von nationaler Reichweite wurden von der Regierung vom Tisch gefegt. Von den 34 Forderungen der EZLN wurden zwar 32 erfüllt, aber die beiden wichtigsten wurden ausgelassen: Bei den zentralen Forderungen nach lo­kaler Demokratisierung und kultureller Unabhängigkeit machte die Regierung keine Zugeständnisse.
War es für Euch überraschend, daß das Angebot abgelehnt wurde?
Nein. Das hat uns nicht überrascht. Wir be­finden uns gerade in der Phase vor den Wahlen. Das heißt, daß Verhandlungen, die noch vor der Wahl zu Ende geführt würden, zu frustrierenden Ergebnissen ge­führt hätten. Ich möchte hier noch einmal betonen, daß die Verhandlungen noch nicht zu Ende sind. Aber die EZLN beob­achtet die Wahlen und prüft, ob die Regie­rung ihr Wahlversprechen, saubere Wah­len durchzuführen, einhält. Ist dies nicht der Fall, greifen die Zapatisten mögli­cherweise erneut zu den Waffen.
Die Zapatisten haben die Mehrheit der indianischen Gemeinschaften befragt, ob sie trotz der schwierigen Situation ihre Forderungen aufrechterhalten wollen, ` denn es wäre ja möglich, daß sie sich mit den Ereignissen zufrieden gegeben hätten.
Niemand ist mit der jetzigen Situation zu­frieden. Wenn die Leute dem staatlichen Angebot zugestimmt hätten, hätte das einen Rückschritt in den Verhandlungen bedeutet. Aus der Zeitperspektive der In­digenas ging alles aber sehr schnell.
Die Zapatistische Bewegung gibt es seit vielen Jahren, und sie hat immer für die Emanzipation gekämpft. Aber sie kam nicht bis nach Chiapas. Dort wurden die Campesinos in der Revolution 1910-1919 als Kanonenfutter für die Landbesitzer benutzt. Die Revolution hat in Chiapas dazu geführt, daß die Landbesitzer noch mehr Land bekamen und die Indigenas mit ihrem Leben bezahlen mußten. Das ist der Grund für die Rückständigkeit der Region.
Die Regierung drückte ihre westliche Zeitvorstellung gegen die der chiapaneki­schen Bauern durch. Die Re­gierung legte fest, wann und wie verhandelt wird. Doch die Verhandlungen müssen nach dem Zeitplan durchgeführt werden, den die In­digenas bestimmen. Der Dialog zwischen der Regierung und der EZLN ist also im Moment nicht unter­brochen, sondern die Indigenas setzen ihre Zeitvorstellungen um. Bisher war es im­mer so, daß die Re­gierung Angebote machte. Aber es waren immer Vorschläge, die nie gleich­berechtigt von beiden Seiten kamen. Die Mehrheit der Indigenas ist für den Dialog, den sie selbst zeitlich be­stimmen will. Es gibt auch eine Minder­heit, die für den bewaffneten Kampf ist, und etwa zwei Prozent sind für den Plan der Regierung. Bei den Verhandlungen muß darauf ge­achtet werden, daß alle Meinungen be­rücksichtigt werden.
Was muß die Regierung anbieten?
Es gibt zwei elementare Forderungen: er­stens saubere Wahlen und zweitens eine geordnete Landaufteilung. Alle Groß­grundbesitzer müssen ihre Besitzverhält­nisse klar offenlegen, und zwar nicht nur in Chiapas, sondern in jedem Bundesstaat. Es muß einen Zensus für landbesitzende Familien geben, damit die getarnten Latifundien entdeckt werden. Sonst ist es möglich, daß jemand in einem Bundes­staat seinen Besitz verkauft, aber noch Land in einem anderen hat. Es muß für die kommenden Wahlen Wahlbeobachtungen durch die eigene Be­völkerung geben, die dafür in besonderen Kursen ausgebildet werden muß, in Zusammenhang mit den Vereinten Nationen. In Mexiko muß es außerdem einen Volksentscheid über eine neue Verfassung geben, über einen neuen Sozialpakt. Diese Verantwortung kommt auf die neue Regierung zu.
Wie stark sind die Verhandlungsposi­tionen und welche Druckmittel hat die ELZN?
Die Verhandlungen haben einen nationa­len Charakter, das heißt, alle Forderungen beziehen sich auf das ganze Land. Druck kann nur durch die aktive Teilnahme der Bevölkerung ausgeübt werden. Nach dem Mord an dem PRI-Präsidentschaftskandi­daten Colosio war die Bewegung wie ge­lähmt. Alles geriet aus den Fugen. Noch einmal wäre eine solche Situation ver­hängnisvoll. Der andere Weg, Druck aus­zuüben, muß in einer Annäherung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kräften des Landes bestehen. Das Ergeb­nis hängt hier in Chiapas sehr von dem Engagement der Bevölkerung ab. Dabei brauchen wir auch Hilfe von außen – in­ternationale Hilfe.
Wie kann das Problem des Hungers gelöst werden, und was machen die be­waffneten KämpferInnen zur Zeit?
Das was sie am Anfang auch gemacht ha­ben: Sie leben immer noch bewaffnet. Was die Lebensmittel angeht: Es gibt drei Millionen Einwohner in Chiapas, davon sind 90 Prozent Indigenas. Hier herrscht das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen des gesamten Landes. Was wir brauchen, ist humanitäre Hilfe und veränderte Han­delsbedingungen. Den Bauern in Chiapas müßte es ermöglicht werden, von direkten Einnahmen zu leben. Alles spricht von Dritter Welt, aber für uns ist es die vierte Hölle. Wenn wir von dem Konzept aus­gehen, daß hier (in Deutschland) die Erste Welt ist und von hier aus Pflanzen nach Lateinamerika ka­men, muß diese Erste Welt auch zu Lösungen beitragen.
Gibt es eine Gefahr durch das mexika­nische Militär?
Es gibt ständig Truppenbewegungen, aber keine Informationen darüber, warum das geschieht. Die Anzahl der Soldaten ist nicht genau bekannt, aber man spricht von 15.000. Die Unsicherheit innerhalb der Bevölkerung ist groß.
Wer hat als Kandidat im kommenden Wahlkampf die besten Aussichten?
Die wichtigste Kraft ist die Zivilbevölke­rung. Zwei Kandidaten haben jedoch die stärkste Unterstützung durch die Presse: der PRI- und der PAN-Kandi­dat. In den Reihen der Oppositionsparteien gibt es auch charismatische Köpfe, die den politischen Forderungen der breiten Be­völkerung nä­her stehen. Aber sie tauchen so gut wie nie in den Massenmedien auf.
Also weitere sechs Jahre PRI­Regierung?
Sicher. Die Frage bleibt, welche Bünd­nisse die verschiedenen politischen Kräfte im Parlament schließen, um zu einer Mehrparteienlösung zu kommen. Mögli­cherweise ändert sich hier einiges, aber es ist für die Bevölkerung undurchsichtig. Wir Indi­genas haben nicht teil am parlamentarischen System. Die PRI dominiert alles. Es ist sehr schwierig, in dieses Parlament zu gelangen.

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