Versiegelung mit Siegel
Repression gegen MigrantInnen an der Südgrenze Mexikos
Der 4. Juni 2001 war ein denkwürdiger Tag für viele zentralamerikanische MigrantInnen auf dem Weg über Mexiko in die USA. Denn an diesem Tag lief die erste Phase des Plan Sur an, dessen erklärtes Ziel die „Versiegelung“ der Südgrenze Mexikos war. Sein Beginn bedeutete eine extensive Steigerung der Kontrollen an und in der Nähe der 1138 Kilometer langgestreckten Grenze. Innerhalb von nur 15 Tagen führte das Abschottungsprogramm zu der Abschiebung von rund 6000 Illegalisierten nach Guatemala und von ungefähr 3000 Personen aus Guatemala in die südlicheren Länder Zentralamerikas. Offizielle Stellen sprachen von einer Senkung der illegalen Grenzübertritte von Guatemala nach Mexiko um 30 Prozent.
Ab dem 4. Juli, so wird berichtet, setzten sich von Guatemala-Stadt aus täglich bis zu 18 Busse mit Illegalisierten in Richtung der guatemaltekischen Südgrenze in Fahrt. Der Löwenanteil der Kosten für die massive Präsenz von Repressionskräften wurde von den USA getragen.
Wie bei jedem Programm, das zur Verhinderung der Einreise fremdländischer Menschen erdacht wird, führte auch dieses zu größeren menschlichen Katastrophen: Beispielsweise starben 68 MigrantInnen im Zuge des Plan Sur zwischen Oktober und Dezember 2001. Eine unbekannte Anzahl von Menschen kam ums Leben, als zwei Schiffe zum Kentern gebracht wurden: Das erste auf dem Fluss Usumacinta im Landkreis Petén, das zweite vor dem Hafen von Tilapa im Landkreis San Marcos.
Inzwischen hat der Plan Sur dazu geführt, dass die Zahl der jährlichen Abschiebungen aus Mexiko nahezu die 200.000er-Marke erreicht hat. So wurden nach Angaben des Instituto Nacional de Migración (Nationales Institut für Migration) im Jahr 2003 81.361 GuatemaltekInnen, 58.630 HonduranerInnen, 28.318 SalvadorianerInnen sowie kleinere Gruppen anderer Nationalitäten, vornehmlich auch aus lateinamerikanischen Staaten, deportiert.
Aufstockung des Militärs…
Selbstverständlich führte die erweiterte Abriegelung nicht zu einem Rückgang der Grenzübertrittsversuche, sondern dazu, dass die MigrantInnen immer gefährlichere Wege auf sich nehmen müssen, um nicht in die Kontrollen zu geraten. Seit der Aufstockung des Militärs zur Grenzüberwachung drohen ihnen bei einer Festnahme noch drastischere Verletzungen ihrer Rechte als schon zuvor. „Das, worüber sie am meisten berichten, sind Betrug, Vergewaltigungen, Schläge, Raub und schlechte Bedingungen in den Abschiebezellen, wo sie oft ohne Verpflegung, ohne Wasser und ohne Schlafplatz ausharren müssen“, sagt Mauro Verzeletti, Leiter des Migrationshilfezentrums in Guatemala-Stadt.
Auf Grund der „Versiegelung“ des Grenzstreifens gelingt es aber nur noch sehr selten den Kontrollen zu entgehen. Es wird angenommen, dass inzwischen durchschnittlich acht bis neun Versuche notwendig geworden sind, um tatsächlich bis in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Deshalb wenden sich viele Ausreisewillige an Schlepperbanden, was nicht nur eine enorme finanzielle Belastung bedeutet, sondern außerdem die Gefahren birgt, bestohlen zu werden, das plötzliche Verschwinden des coyote (Schlepper) erleben zu müssen, oder für Migrantinnen und Kinder im schlimmsten Fall den Verkauf an ein Bordell oder andere Formen der sexuellen Ausbeutung (siehe LN 354).
Laut dem Menschenhandelsbericht des US-Außenministeriums vom Juni 2004 wird dem Menschenhandel in Mexiko keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Für die Periode 2003/04 berichtet die mexikanische Regierung von 43 Inhaftierungen von Personen, die mit Menschenhandel sowie sexueller Ausbeutung in Zusammenhang gebracht wurden. Für das Jahr 2003 sind jedoch keinerlei Informationen über Verurteilungen in diesen Bereichen straffällig gewordener Personen verfügbar. Dementsprechend werden auch Opfer von Menschenhandel nicht gesondert behandelt, sondern fallen ebenso wie der Rest der Illegalisierten unter die Regelung der sofortigen Abschiebung. Zwar gibt es Einrichtungen und von der Regierung unterstützte Nichtregierungsorganisationen die sich der Opfer sexueller Ausbeutung annehmen, jedoch haben nur mexikanische StaatsbürgerInnen die Möglichkeit, sich an diese zu wenden. Asylanträge sind in Mexiko seltene Erscheinungen, so wurden im Jahr 2001 nur ungefähr 500 registrierte Anträge gestellt, von denen wiederum nur circa ein Drittel positiv beschieden wurde.
…von den USA bezahlt
Im April des Jahres 2001 begannen zwischen Mexiko und den USA die konkreten Verhandlungen über ein neues Migrationsabkommen, in denen die erhebliche Verstärkung der Kontrollen an der mexikanischen Südgrenze Bestandteil war. Zwar gerieten die Verhandlungen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ins Stocken, nichtsdestotrotz wurde der Plan Sur, der schon im Juni angelaufen war, weiter in die Tat umgesetzt. Die verstärkten Einsätze von Polizei und Militär gegen MigrantInnen vornehmlich aus Zentralamerika wurden zwar von den USA bezahlt, jedoch bestand und besteht auch ein Interesse des mexikanischen Staates an der Erschwerung der Grenzübertritte im Süden. So bedeutet der verminderte Migrationsfluss aus Zentralamerika eine stärkere Position der MexikanerInnen in den USA als billige Arbeitskräfte und somit auch eine bessere Verhandlungsposition für die mexikanische Regierung.
Um die Quelle der derzeit durchgeführten Pläne zu finden, muss man bis ins Jahr 1986 zurück gehen. Damals wurde im Zuge des Sympson-Rodino-Gesetz die “Kommission zum Studium der internationalen Migration und der kooperativen wirtschaftlichen Entwicklung” gegründet. Aufgabe der Kommission war es, die vorrangigen Gründe für die Migration aus Mexiko, Zentralamerika und der Karibik in die USA herauszufinden und Vorschläge zu unterbreiten, wie diese unterbunden werden könnte. Sie kam zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass der hauptsächliche Grund für die Auswanderung in der verheerenden ökonomischen Situation vieler LateinamerikanerInnen zu suchen sei.
Schnapsideen
Um dem abzuhelfen, schlug die Kommission die ebenso altbekannte Schnapsidee vor, die auch durch ihre beständige weltweite Verbreitung in TV-Nachrichten, Zeitungsspalten und Radio nicht wahrer wird: Eine Liberalisierung des Marktes führe zu mehr allgemeinem Wohlstand, und Menschen, die derzeit ihr Leben riskieren um in die USA zu gelangen, blieben nach einer Durchführung der Liberalisierung in ihren Herkunftsländern. Die Vorgaben dieser Kommission waren sicher nicht der einzige Grund für die Planung, aber doch Geburtshelfer für ALCA und den Plan Puebla-Panama.
Auch konkrete Vorschläge für die Integration der ungewollten LateinamerikanerInnen in Arbeitsverhältnisse in den USA wurden gemacht: Es solle auf internationale Finanzinstitutionen eingewirkt werden, damit diese den weiteren Aufbau von Maquiladoras fördern. Um die Migration vermindern zu können, wurden sogar Forderungen nach Familienplanung, also nach gesteuertem Abbau der Bevölkerungszahlen erhoben.
Aufbau von Maquiladoras – Abbau der Bevölkerung
Der Plan Sur besitzt einen konkreten Vorläufer: Er stellt eine Verlagerung nach Süden des “Plans zur Stärkung der südlichen Grenze” dar, den die USA ab 1989 an der Grenze zu Mexiko umsetzten. Teil dieses Aktionsplanes war auch der Einsatz von AgentInnen in den Ländern, deren BewohnerInnen man vom Eintritt in die USA abhalten wollte. Aus dieser Zeit stammen nicht nur die intensivierte Zusammenarbeit der mexikanischen Migrationsbehörden und der mexikanischen Polizeikräfte mit den entsprechenden Stellen der Vereinigten Staaten, sondern auch die Entsendung von GeheimdienstmitarbeiterInnen nach Tecún Umán an der mexikanisch-guatemaltekischen Grenze, die damals schon begannen, die Situation in dieser Gegend zu untersuchen.
Ebenfalls eine Adaption des oben genannten Planes ist der Plan Coyote der guatemaltekischen Regierung, der im September und Oktober 2000 probeweise durchgeführt wurde. Die Kosten wurden ebenfalls von den USA bestritten. Ziel des Plans ist es Schlepperbanden zu zerschlagen, Illegalisierte aufzuspüren, und diese anschließend selbstverständlich abzuschieben, was in den zwei Monaten im Jahr 2000 auch schon das Schicksal mehrerer tausend Menschen wurde.
Es handelt sich also bei den in den letzten Jahren vornehmlich in Mexiko und Guatemala installierten Abschottungsmechanismen um Projekte zur Steuerung der Arbeitsmigration, die letztlich eine Erweiterung der US-amerikanischen Migrationspolitik darstellen. Die “Versiegelung” der Grenzen tragen das Siegel der USA, die die entsprechenden Programme auch finanzieren. Umso weiter südlich jemand aufbricht, um ins Land der für die meisten im wahrsten Sinne des Wortes sehr begrenzten Möglichkeiten zu gelangen, umso mehr Rückreisen, schikanöse Kontrollen oder lebensbedrohliche Situationen werden ihn oder sie erwarten.
Die Kommission mit dem langen Namen mag Recht behalten damit, dass nun mehr Menschen in ihren Geburtsländern bleiben. Auf Grund der Umsetzung der von ihr vorgeschlagenen wirtschaftlichen Maßnahmen wird dies allerdings nicht geschehen.