Vertreibung aus dem Urwald
Montes Azules: Ein Bioreservat im Süden Mexikos wird für die wirtschaftliche Ausbeutung fit gemacht
Mit einer großen Demonstration zum neunten Jahrestag des Aufstandes von 1994 haben die Zapatisten das Jahr 2003 eingeläutet. In der Nacht zum 1. Januar besetzten ungefähr 20.000 vermummte zapatistische Bauern die Stadt San Cristóbal de las Casas in Chiapas und führten so der Öffentlichkeit vor Augen: „Wir sind ganz bestimmt nicht in der Versenkung verschwunden und unser Kampf hat gerade erst begonnen!“
In den letzten zwei Jahren hatte man von der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) nichts mehr gehört. Der für seine politisch-poetische Sprache bekannte Subcomandante Marcos hatte keine Kommuniqués und öffentlichen Stellungnahmen mehr verfasst. Die Zapatisten hatten sich von dem Dialog mit der mexikanischen Regierung über die indigenen Rechte zurückgezogen, da sie sich von der Regierung betrogen fühlten. Das Gesetz zur indigenen Autonomie, das vom mexikanischen Parlament im Jahr 2001 verabschiedet wurde, entsprach in wichtigen Teilen nicht dem vorher ausgehandelten Kompromiss. So ermöglicht es den indigenen Völkern keinen rechtlichen Zugriff auf die Bodenschätze und die Biopatente, die sich auf ihrem Territorium befinden. Sie werden in dem Gesetz nicht als Subjekte öffentlichen Rechts bezeichnet und können deshalb nicht für ihre Rechte streiten.
Vertreibung mit System
Ein wichtiger Punkt in den Reden am 1. Januar in San Cristóbal war die zunehmende Bedrohung und Gewalt der paramilitärischen Gruppen gegen zapatistische Gemeinden im Bioreservat Montes Azules im Lakandonischen Urwald. Comandante Davíd richtete seine Grußbotschaft an die Opfer von Vertreibung, die ihre Gemeinden verlassen hatten, da sie die Gewalt der paramilitärischen Gruppen fürchteten. Die Paramilitärs arbeiten bei diesen Vertreibungen mit System. Im Rahmen des Plan Puebla Panama soll Montes Azules menschenleer werden, damit diese Zone ohne Hindernisse der Biopiraterie zur Verfügung steht. Der Plan Puebla Panama wird zum großen Teil von der Weltbank finanziert und folgt US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen. Er umfasst eine enorme Infrastrukturentwicklung im Raum von Puebla in Mexiko bis zum Panamakanal. Mit seinen reichen Öl- und Wasservorkommen bildet Chiapas das Herzstück in diesem Entwicklungsprogramm. An verschiedenen Stellen finden bereits Ölprospektionen statt, und Coca Cola hat sich bereits Rechte am Wasser gesichert.
„Mit uns wird es keine friedliche Vertreibung aus Montes Azules geben! Wir stehen zu unseren Gemeinden“, ließ Subcomandante Marcos in einem Kommuniqué verkünden. Seit einigen Monaten wird zunehmend von gewalttätigen Konflikten aus dieser Region des Lakandonischen Urwalds berichtet. Die mexikanische Regierung versucht, diese Konflikte zwischen BewohnerInnen der Gemeinden und den paramilitärischen Gruppen als interethnische Konflikte darzustellen, in dem dann die mexikanische Armee als Vermittler auftreten kann. Um diesen Konflikt zu verstehen, muss man jedoch wissen, dass die Paramilitärs von der mexikanischen Armee ausgebildet und mit Waffen beliefert werden. Außerdem werden sie von der Polizei gedeckt. Eine solche Darstellung verschleiert die politischen Verhältnisse und Interessen in diesem Konflikt, der immer noch als Krieg niederer Intensität bezeichnet werden muß, in dem die Paramilitärs die “Drecksarbeit” übernehmen.
Seit Jahren auf der Flucht
Die ethnischen Verhältnisse im Lakandonischen Urwald sind tatsächlich nicht homogen. Neben den Lakandonen siedeln dort auch Familien anderer Ethnien aus dem nördlichen Hochland Chiapas: Tzoziles, Tzeltales und Choles. Anfang der 90er Jahre sind einige Familien aus dem Norden von Chiapas nach Süden gezogen, da sie in ihrer Region kein Land mehr fanden, das sie bebauen konnten. Sie siedelten sich im südlichen Tiefland von Chiapas an, wurden aber im Jahr 2000 von der paramilitärischen Gruppe Movimiento Campesino Regional Independiente (MOCRI) vertrieben, die mit dem damaligen Gouverneur in Verbindung stand. Erst seit Oktober letzten Jahres leben diese Familien nun in Montes Azules und werden seit dieser Zeit vom Militär und der Polizei bedroht.
Verschiedene US-amerikanische Naturschutzorganisationen sind bereits in dem Bioreservat Montes Azules tätig und argumentieren auf ihren Homepages (zum Beispiel http://maya.ucb.edu/pril/el-eden/home.html) gegen die traditionelle Landwirtschaft der Bevölkerung. Bei einer hohen Siedlungsdichte kann dieser Brandrodungsfeldbau zu einem Problem werden. Die Regenerationsphasen der einzelnen Felder werden zu kurz und die Böden laugen deshalb aus. Was aber wohl kein Problem für die Ökoorganisationen zu sein scheint, ist der geplante Bau eines Luxushotels am Río Lakanha. Ökotourismus ist auch ein wichtiger Bestandteil des Plan Puebla Panama. Die Verhandlungen zwischen den Gemeindevertretern von Lakanha und dem Investor sind aber erstmal gescheitert, da die Lakandonen sich gegen den Bau des Hotels ausgesprochen haben.
Das mag verwundern. War es nicht gerade eine Forderung der Zapatisten und der indigenen Völker, an den Entscheidungsprozessen beteiligt zu werden und als „Subjekte öffentlichen Rechts“ verstanden zu werden? Die Lakandonen haben in Mexiko auf Grund eines präsidialen Dekrets eine besondere Stellung seit Mitte der 70er Jahre, was ihnen eben solche Rechte zuspricht. Das hat dazu geführt, dass die Lakandonen als einziges indigenes Volk Mexikos das Abkommen zwischen den Zapatisten und der mexikanischen Regierung zur Regelung der indigenen Rechte von San Andrés abgelehnt haben. Das verwässerte Gesetz, das vom mexikanischen Parlament 2001 verabschiedet wurde, haben die Lakandonen wiederum unterstützt.
Mit dem Plan Puebla Panama wurde auch ein Projekt aus den 70er Jahren wieder aus der Schublade gezogen. Der Río Usumacinta soll an drei Stellen aufgestaut werden. Folge davon wäre, dass die Tempelpyramiden der Maya von Yaxchilán in einem Stausee versinken würden.
Das Gesetz zu den indigenen Rechten und Kulturen verhindert in seiner jetzigen Form eine nachhaltige und soziale Entwicklung, da nur ein kleiner Teil der betroffenen Bevölkerung an den Entscheidungsprozessen beteiligt wird. So kann ein Infrastrukturplan vom Kaliber des Plan Puebla Panama gesamtgesellschaftlich nicht erfolgreich sein. Rechtliche Ungleichbehandlung von verschiedenen indigenen Völkern hat schon zu bösem Blut geführt. Gesellschaftlicher Erfolg basiert nicht nur auf finanziellem Erfolg sondern vor Allem auch auf einem Klima des friedlichen Miteinanders. Internationale Institutionen wie die Weltbank müssen an den Taten gemessen werden, die sie ihrer globalisierungskritischen Rhetorik folgen lassen. Mexiko steht in einer juristischen Schuld, da das Gesetz zu den indigenen Rechten einem internationalen Abkommen der UNO widerspricht, das Mexiko bereits ratifiziert hat (Abkommen 169 der internationalen Arbeitsorganisation).