Brasilien | Nummer 430 - April 2010

Viel Öl, viel Streit

Gesetzesinitiative will Einnahmen aus künftigen Ölmilliarden neu verteilen

Eine Gesetzesinitiative soll die Regeln, wie die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft in Brasilien unter den Bundesstaaten verteilt werden, ändern. Insbesondere der ölreiche Bundesstaat Rio de Janeiro kündigt Widerstand an.

Christian Russau

Es geht um viel Geld. Die Abgeordnetenkammer in Brasília hat Mitte März ein Gesetz verabschiedet, das die Einnahmen aus Öllizenzen auch den Bundesstaaten zugute kommen lassen sollen, in denen keine Ölvorkommen existieren. Vor allem der Bundesstaat Rio de Janeiro würde dadurch Milliardeneinnahmen verlieren. Der Gouverneur Rios, Sergio Cabral, weinte vor laufender Kamera – und kündigte Widerstand an.
Es ist kein Wunder, dass sich gerade Sergio Cabral so gegen die Gesetzesinitiative einsetzt. Der Bundesstaat Rio de Janeiro würde nach seiner Berechnung bei einer Neuverteilung der Einnahmen aus der Erdölförderung jährlich bis zu 7,2 Milliarden Reais (etwa 3 Milliarden Euro) verlieren. Die Tageszeitung O Globo titelte kürzlich mit der Warnung vor Einnahmeverlusten von bis zu 90 Prozent für die Munizipien des Bundesstaats Rio de Janeiro (ein Munizip ist eine Verwaltungseinheit, die einer deutschen Gemeinde ähnelt). Gouverneur Cabral polterte auf einer Veranstaltung der katholischen Universität PUC vor Studierenden, die Bundesabgeordneten, die für die Initiative gestimmt hätten, würden damit „Lynchjustiz an Rio” begehen, um danach in Tränen auszubrechen. „Diese Gesetzesinitiative bedeutet, dass wir den Bundesstaat hier dicht machen”, so Cabrals vernichtendes Urteil. „Vergiss Olympia, vergiss die Weltmeisterschaft, vergiss alles”, echauffierte sich Cabral. Auch wenn sich seine düsteren Prophezeiungen nicht bewahrheiten dürften, sind die Verweise auf die Olympischen Spiele im Jahr 2016 und die Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2014 strategisch klug gewählt. Sie sind starke Argumente, um die Erdöleinnahmen seines Bundesstaates zu verteidigen – ob die bisherige Regelung aber fair für die Bundesstaaten Brasiliens ist, läßt der Gouverneur wohlweislich offen.
Gegenwärtig erhalten die Bundesstaaten und Munizipien, in denen Erdölförderung betrieben wird, 60 Prozent der Einnahmen aus den so genannten Royalties, den Lizenzen. Die Gesetzesinitiative will diesen Anteil nun auf alle Bundesstaaten verteilen. Für den Autor und Namensgeber der Gesetzesinitiative, Ibsen Pinheiro von der regierungsnahen rechten Partei PMDB, bedeutet die Verteilung der Gelder auf alle Bundesstaaten, dass die brasilianische Verfassung eingehalten werde. Denn, so Ibsen Pinheiro, das im Meer gefundene Öl gehöre keinem einzelnen Bundesstaat, sondern dem Bund. Er bedauert, dass Staaten wie Rio und Espírito Santo einen Großteil ihrer Einnahmen verlieren würden, doch letztlich gewännen alle Bundesstaaten mit seinem Gesetz.
Doch nicht nur der drohende Wegfall aus den bereits erschlossenen Erdölfeldern beunruhigt die Gemüter der PolitikerInnen in den betroffenen Munizipien und Bundesstaaten. Vor allem geht es um die erwarteten Einnahmen aus dem so genannten Pré-Sal vor der brasilianischen Küste der Bundesstaaten Rio de Janeiro, Espírito Santo und São Paulo. Dort, einige hundert Kilometer vor der Küste und tief im Meeresboden unter einer dicken Salzschicht (daher der Name Pré-Sal) werden bis zu 100 Milliarden Barrel Erdöl vermutet. Aller Voraussicht nach beginnt die industrielle Erschließung dieser Ölfelder im Jahr 2015 (siehe LN 426). Die erwarteten Milliardeneinnahmen aus dem Pré-Sal wecken schon seit Jahren Begehrlichkeiten. MinisterInnen berichteten schon im vergangenen Jahr von Anfragen von BürgermeisterInnen, die wissen wollten, wann denn endlich die Zahlungen vom Pré-Sal kämen.
Damit das sehnsüchtig erwartete Geld auch dort ankommt, wo kein Erdöl zu finden ist, soll nun das neue Gesetz eingeführt werden. Nur noch der Senat muss der Gesetzesinitiative zustimmen, was spätestens bis Juni geschehen soll. Der Ausgang ist jedoch ebenso offen wie das Verhalten von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. ParteigenossInnen von Lula aus den von den Kürzungen betroffenen Bundesstaaten hingegen gehen fest von einem Veto des Präsidenten aus. Und die Gouverneure dieser Bundesstaaten ließen keinen Zweifel, dass sie bis vor den Obersten Gerichtshof ziehen werden.
Allen voran Sergio Cabral, der nicht klein beigeben will. Kürzlich rief er zu einer Groß-Demonstration an einem Mittwoch Nachmittag auf und gab den öffentlichen Angestellten per Gleitzeiterlass zu dieser Zeit dienstfrei. Sein Handeln zeigte die erwünschte Wirkung und schätzungsweise 150.000 demonstrierten am 17. März in seinem Sinne. Nach diesem Erfolg forderte er die BürgermeisterInnen Rio de Janeiros auf, seinem Beispiel zu folgen. Auch öffentliche Gebäude und TouristInnen-Attraktionen wie die Christus-Statue auf dem Corcovado wurden mit Großplakaten geschmückt, auf denen mit dem Slogan „Gegen die Niedertracht” protestiert wird.
Darüber hinaus ließ Cabral seinen Finanz- und Wirtschaftsminister auf den bisherigen bundesweiten Lastenausgleichs verweisen. Schon heute werden Bundesmittel in Höhe von 100 Milliarden Reais (etwa 42 Milliarden Euro) auf die Bundesstaaten und Munizipien verteilt. Die Politiker um Cabral wiesen darauf hin, dass sich die Armutsstatistiken dieser Munizipien trotz der Zahlungenkaum verändert hätten. Der Finanzminister Rio de Janeiros, Joaquim Vieira Ferreira Levy, fragte sogar öffentlich, was geschehen werde, „wenn sie sieben Milliarden Reais mehr bekämen? Vielleicht machen sie mehr Feste.”
Nun hat sich auch die Ministerin der casa civil (Chefin des Regierungskabinetts), Dilma Roussef, in die Diskussion eingeschaltet. Die Kandidatin der regierenden Arbeiterpartei PT für die nächsten Präsidentschaftswahlen glaubt, ganz anders als Ibsen, dass das neue Gesetz gegen die Verfassung verstoße. Vor allem da die ölreichen Bundesstaaten die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft erwirtschaften. Doch die Wunschnachfolgerin des Präsidenten Lula erklärte auch, dass sie nicht glaube, Lula würde von seinem Vetorecht gegen das Gesetz Ibsen Gebrauch machen. Sie vertraue vielmehr auf einen Kompromiss zwischen den erdölreichen Staaten und den anderen im Senat. Doch angesichts der angeheizten Stimmung scheint dies für die unmittelbare Zukunft wenig wahrscheinlich.

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