Bolivien | Nummer 236 - Februar 1994

Vom Metall des Teufels zum “Eldorado”?

Die Minen Boliviens befinden sich in einer der schwersten Krisen dieses Jahrhunderts. Der rapide Preisverfall von Zinn auf dem Weltmarkt auf unter 2 US-Dollar pro Kilo raubt den noch etwa 25.000 vom Zinnbergbau lebenden MinenarbeiterInnen ihre Lebensgrundlage. Werden nicht schnelle, einschneidende Maßnahmen zur sozialen Abfederung getroffen, so steht ein Exodus von annähernd 80.000 Menschen bevor. Bolivien droht ein neues Heer von Arbeitslosen, für die es aufgrund der nach wie vor desolaten Wirtschaftslage im Land kaum Möglichkeiten gibt, Arbeit in anderen Bereichen zu finden. Bereits jetzt ist abzusehen, daß die Mehrheit in die Region Chaparé abwandern wird, um als CocapflückerInnen zu überleben. Einer der Lösungsvorschläge ist die Transformation des Bergbaus auf andere Bereiche, wie Kupfer, die Förderung von Nichtmetallen und vor allem der Ausbau der Goldminen.

Gabriele Pichlhofer

Die Tendenz, in die Goldminen zu investieren, zeichnet sich bereits seit einigen Jahren ab. Vor allem der Zufluß ausländischen Kapitals richtete sich nicht wie erhofft auf den Aus- und Umbau der traditionellen Zinnminen, sondern fand im Bereich Gold statt. So investierte “Inti-Raimi” (nordamerikanisches Kapital) 1992 150 Mio US-Dollar, um den “Kori-Kollo” (Berg des Goldes) im Dep. Oruro mit verbesserter Technologie ausbeuten zu können und neue Abbauebenen zu erschließen. Die Produktion konnte daraufhin auch auf 120 kg pro Monat gesteigert werden. Neben Inti Raimi ist auch die COMSUR (Companía Minera del Sur) des neuen Präsidenten Gonzales de Lozada im Goldabbau tätig. Der Hauptteil der Produktion jedoch wird von sogenannten Kooperativen gefördert.
Die Gesamtproduktion von Gold wird in den offiziellen Statistiken mit drei bis vier Tonnen jährlich (1990) angegeben. Die Federación de Mineros beziffert die Mengen Gold, die das Land in den letzten fünf Jahren auf dem Schmuggelweg verließen, auf annähernd 28 Tonnen, so daß insgesamt von einer weit höheren Fördermenge ausgegangen werden muß.
Die Produktion der letzten 30 Jahre wurde zu etwa 60 Prozent von den Kooperativen erarbeitet, zu 38 Prozent von den Minengesellschaften (vor allem von Inti Raimi und COMSUR) und zu einem verschwindend geringen Teil von der staatlichen Minengesellschaft COMIBOL (Cooperativa Minera Bolivianer). Interessant hierbei ist die Verteilung der Schürf- und Eigentumsrechte. Von den Kooperativen werden insgesamt 50.000 Parzellen von jeweils etwa einem Hektar bearbeitet, das sind 3,4 Prozent der gesamten Eigentumsrechte. 9 Prozent teilen sich die Minengesellschaften, aber 87,6 Prozent sind nach wie vor in den Händen der COMIBOL. Diese Verteilungspraxis wird stark von den Kooperativen kritisiert, deren Situation sich seit 1985 permanent verschlechtert hat. Per Dekret wurde 1985 der Handel mit Gold freigegeben, der zuvor der staatlichen Kontrolle unterlag und damit den Händlern die Preisgestaltung in die Hände legte. Zwar sollten 1,5 Prozent Steuern vom Gesamterlös abgeführt werden, durch den immensen Schmuggel entgeht dem Staat jedoch diese Einnahmequelle. Darüber hinaus sind die Mitglieder der Kooperativen dem Preisdiktat der Goldaufkäufer stärker ausgeliefert als zuvor. Allein in der Provincia Lareja, der “Goldregion” im Departamento La Paz, sind über 200 Händler tätig, und ihre Zahl steigt nach der Liquidation der Banco Minero, die den Goldaufkauf zu festen Preisen im Auftrag des Staates tätigte, ständig an.

Die große Versuchung

Gold hatte in der Geschichte schon immer eine besondere Anziehungskraft. Geologischen Studien weisen praktisch auf dem gesamten Territorium Boliviens Goldvorkommen nach, so im Departamento Santa Cruz, im Pando, im Amazonastiefland, aber auch im Hochland und den subtropischen Gebieten nördlich von La Paz. Eine der traditionellen Regionen war und ist die Provinz Lareja und hier vor allem Tipuani, am gleichnamigen Fluß gelegen. Tipuani, 560 Meter über dem Meer und ca. 180 km von La Paz entfernt, mit subtropischem Klima, liegt zu Füßen der Cordillera Real. Durch Tipuani führt der legendäre Inkapfad, der sich von Sorata über Yani, Chusi und Llipi bis Paititi zieht. Die Indígenas zogen vor und während der Kolonialzeit in langen Pilgerreisen an den Goldfluß, von wo sie glänzende Kleinode mitführten, die die Spanier dazu animierten, in die Region vorzudringen, um nach Gold zu suchen.
Bis in die 30er Jahre arbeitete die bolivianische Gesellschaft “BOLGO” mit modernster Technologie in den Minen der Region. Später gingen die Schürfrechte an die Companía Aramayo (Aramayo = einer der sog. “Zinnbarone”). Aufgrund der unmenschlichen Arbeitsbedingungen – den Quellen läßt sich entnehmen, daß die Bergarbeiter nackt in der Mine arbeiten mußten und schärfsten Kontrollen unterzogen wurden – , vor allem aber aufgrund des Vorwurfes, die Gesellschaft schmuggle hohe Goldmengen außer Landes, sah sich das Parlament 1951 gezwungen, den Mineneingang zu sprengen, um die weitere Förderung zu verhindern. Nach 1952 übernahm die Federación de Mineros die Kontrolle über die Goldminen von Lareja.
Bereits 1959 gründeten sich die ersten Kooperativen, die heute in den 7 Produktionszentren allein dieser Region auf über 200 angewachsen sind und etwa 10.000 Mitglieder zählen. Auch diese Zahlen sind nur ein vager Anhaltspunkt, da die Zahl derer, die auf eigene Faust oder auch nur tageweise in den Stollen oder in den Flußbetten arbeiten, seit 1985 – nach der ersten Welle der Entlassungen in den Zinnminen – stark zugenommen hat.
In der Region wird 30 Prozent der Gesamtproduktion von Gold gefördert, größtenteils mit rudimentären Mitteln. Die Methode des Abbaus in den Minen hat sich seit 1954 nicht wesentlich geändert; man arbeitet in Terassen oder Plattformen und die Stollen werden vertikal geschlagen. Laut FERRECO (Federación de Cooperativas) arbeitet zur Zeit keine Mine rentabel. Zudem ist die Hierarchie innerhalb der Kooperativen in den Goldzentren noch stärker ausgeprägt als in den Kooperativen der Zinnminen. So trifft man hier oft auf GesellschafterInnen, die sich in die Kooperative “einkaufen”, dann aber Wanderarbeiter für sich arbeiten lassen, die bis auf einen geringen Anteil der Goldproduktion alles an die GesellschafterInnen abliefern müssen. Um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Kooperativenmitglieder zu verbessern, fordert FERRECO ein der aktuellen Situation angepaßtes Gesetz für die Minen, das den Zugang zu den Schürfrechten klärt und die Vermarktung regelt. Darüber hinaus werden Kredite gefordert, um die Technologie anpassen zu können und den Ausbau der Infrastruktur, vor allem den Straßenbau, der den Zugang zur Region erleichtern soll, voranzutreiben.
Problematisch für die gesamte Region sind die negativen ökologischen Auswirkungen des Goldabbaus. Allein in der Region Lareja werden für die Goldförderung mehr Benzin und Diesel verbraucht, als in allen anderen Sektoren. Monatlich werden annähernd zwei Millionen Liter benötigt, um die Bagger und anderen schweren Maschinen zu betreiben.

Der Erdrutsch in Llipi

Noch kein Jahr ist vergangen, seit der Bergbau Boliviens von einer seiner größten Katastrophen heimgesucht wurde. Am 7. Dezember 1992 gegen fünf Uhr morgens wurde Llipi, eine Goldarbeitersiedlung nahe bei Tipuani, am Fuß des gleichnamigen Berges, nach schweren tagelangen Regenfällen von einer Lawine aus Geröll, Steinen und Erde verschüttet. Die Zahl der Toten konnte nie ermittelt werden. Nach Einstellung der Bergungsarbeiten, fünf Tage später, zählte man 200 Tote und hunderte Verletzte. Die Zahl der noch Vermißten wurde mit 200-400 angegeben. In dem Camp befanden sich zur Zeit des Unglücks etwa 1200 Menschen. Durch die nicht nachprüfbare Zahl der sogennante “flotantes”, die sich den Kooperativen nur tageweise anschließen und auf eigene Faust nach Gold suchen und die nicht genau feststellbare Zahl von Händlern wird man die genaue Zahl der Toten nie ermitteln können. Die meisten der 400 Überlebenden waren Bergarbeiter, die sich zur Zeit des Erdrutsches in der etwa einem km entfernten Mine auf Schicht befanden. Von den 120 Häusern blieben noch 30 stehen. Die Rettungsarbeiten gestalteten sich äußerst schwierig, da auch Llipi nur über Wege erreichbar ist, die von den Kooperativen selbst angelegt wurden. Männer und Frauen, Erwachsene, Jugendliche und Kinder treibt die Hoffnung, Gold zu finden, ohne Rücksicht auf die schlechten Lebensbedingungen in die Region. In Llipi gab es weder Strom noch eine Schule oder eine Krankenstation. Die Häuser sind völlig ungesicherte Konstruktionen an Berghängen und Flüssen. Durch das Schlagen von Stollen an den verschiedensten Stellen des Berges wird dieser unterminiert und die Gefahr von Erdrutschen bei den jährlichen, zum Teil sehr starken und anhaltenden Regenfällen erhöht. Viele Camps liegen auch direkt an Flußufern und die Menschen dort sind der Gefahr durch Überschwemmungen ausgeliefert. Die Bedingungen in Llipi sind keine Ausnahme, sondern vielmehr die Regel in den Goldgräberorten.
Durch die nun bevorstehenden Umsiedlungen wird sich die Zahl der Kooperativen und die Zahl derer, die für sich selbst arbeiten, in den nächsten Monaten noch immens erhöhen. Die Kooperativen gelten als Auffangbecken für Arbeitslose, vor allem von Ex-Minenarbeitern aus dem Zinnbergbau – so kann die Regierung die offizielle Arbeitslosenstatistik nach unten korrigieren.
Zwischenzeitlich dringen die Goldsucher entlang der Flüsse weit bis in die Tiefen des Amazonasbeckens, in die Territorien der Indígenas des Tieflandes vor, was neue Konflikte vorprogrammiert. Immer neue geologische Studien werden vor allem von US-amerikanischen Firmen, die die “große Chance” wittern, in Auftrag gegeben. Es bleibt abzuwarten, wie die neue Regierung das Problem des Bergbaus lösen wird, und ob nach der Ära von Silber und Zinn nun die Stunde des Goldes für Bolivien schlagen soll.

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