Literatur | Nummer 445/446 - Juli/August 2011

Von Magie, verzweifelten Liebschaften und Gefahren

Liebevoll gestaltet vereint der Sammelband Wo der Kondor wacht und die Berge sprechen… Indigene Märchen aus Peru

Jan-Holger Hennies

Eine Kulturreise will dieses Buch den LeserInnen bieten, eine Möglichkeit, die Mythen und Märchen der indigenen Runa in Peru zu lesen und zu erfahren, eine Möglichkeit, Einblicke in die Weltanschauungen der Quechua-Indigenen zu erlangen. „Lasst uns nun in dieses verträumte Reich eintauchen! Lasst uns den Stimmen lauschen, die uns in eine mysteriöse Fremde entführen, in der die Berge zum Leben erwachen und die Natur großen Einfluss auf den Menschen hat! Lasst uns die Flügel unserer Fantasie ausbreiten und wie ein Kondor zu fliegen beginnen!“ – so werden die LeserInnen im Vorwort zur Lektüre des Sammelbandes eingeladen.
Bereits das kurze Vorwort vermittelt eine Ahnung des Lebens in den Anden und sensibilisiert für die nachkommenden Geschichten. Es macht zudem auf verschiedene Problematiken beim Sammeln der Erzählungen aufmerksam.
Realisiert wurde die Sammlung der Märchen in Peru durch Lilian Hümmler, die ihr Freiwilliges Soziales Jahr beim FOKUS e.V. im Welthaus Bielefeld absolvierte, in Zusammenarbeit mit Taipe Sánchez, Verantwortliche des Bildungsprogramms der ADECAP (Asociación de Defensa y Desarrollo de las Comunidades Andinas del Perú). Für die Produktion des Buches war ebenfalls maßgeblich der FOKUS e.V. zuständig.
In dem Sammelband, der im Juni dieses Jahres im Verlag des Welthauses Bielefeld erschienen ist, finden sich siebzehn Märchen der Runa in deutscher Sprache wieder, sechs zusätzlich auf Spanisch und eines auf Quechua. Es sind Geschichten über Magie, verzweifelte Liebschaften, Gefahren und Rettungen, voll von Metaphern und Symbolen. Dem europäischen Kulturkreis bekannten Märchen also durchaus ähnlich – und doch ganz anders. Man sollte sich nicht anmaßen, die Geschichten sofort verstehen und interpretieren zu wollen, stammen sie doch aus einer hierzulande weitestgehend unbekannten Kultur. Auch die oftmals sehr offenen Enden zwingen die LeserInnen dazu, sich das Geschehene selbst zu erklären. Was hat es zu bedeuten, wenn Berge sprechen, Schlangen Frauen lieben und Brüder zu Sternen werden? In diesen Fragen liegt die besondere Leistung des Buches: Denn sicher ist, dass nichts davon zufällig erzählt wird. Hinter den Symbolen steht eine facettenreiche Weltanschauung.
So bewegt das Buch auf unterhaltsame Art und Weise zum Nachdenken und -forschen über die Kultur der peruanischen Runa und entführt dabei in eine andere Welt. Es wird ein ganz eigener Zugang zu der indigenen Kultur geschaffen, frei von wissenschaftlichen Untersuchungen, Vorurteilen und politischen Motivationen. Somit eignen sich die Märchen sowohl als (ent-)spannende Lektüre wie auch als Denkanstoß.
Erwähnenswert ist außerdem die liebevolle Gestaltung des Buches, dessen Bebilderung ebenfalls aus dem Projekt von FOKUS und ADECAP stammt: Peruanischen Kindern wurde die Möglichkeit gegeben, ihre Vorstellungen zu den abgedruckten Märchen in künstlerischer Form zu gestalten. Der Erlös des Buches kommt dem bilingualen Bildungsprogramm von ADECAP zugute.

ADECAP/FOKUS // Wo der Kondor wacht und die Berge sprechen… Märchen aus der indigenen Welt der Runa in Peru // Welthaus Bielefeld Verlag // Bielefeld 2011 // 133 Seiten // 17,80 Euro // Erhältlich im Buchhandel und unter Maerchenbuch@HermannHerf.de

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