Nicaragua | Nummer 301/302 - Juli/August 1999

Von Somoza bis Chamorro

Ein Rückblick auf die sandinistische Revolution

Die nicaraguanische Revolution, die vor zwanzig Jahren mit dem Sieg des Volksaufstandes unter Führung der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) über die Somoza-Diktatur begann, ist eine Geschichte des Scheiterns. Sie scheiterte nicht erst am 25. Februar 1990, als die Mehrheit der nicaraguanischen WählerInnen ihre Stimme dem damaligen konservativen Oppositionsbündnis gab – nein, die Revolution hat sich schon früher selbst zu Grabe getragen.

Bernd Pickert

Es war kein leichtes Unterfangen, das die Comandantes der sandinistischen Guerilla im Juli 1979 vor sich hatten. Der Volksaufstand hatte gesiegt, die seit den 30er Jahren in Nicaragua herrschende Diktatur der Familie Somoza war zu ende, die Nationalgarde zerschlagen, der Diktator selbst in die USA geflohen. Und nun?
Vom somozistischen Staat war nichts mehr übrig. Der Bürgerkrieg gegen die Nationalgarde, und vor allem deren ausufernde Repression, im Zuge derer ganze Stadtviertel bombardiert worden waren, hatten das Land zerstört. Die „Junta des Nationalen Wiederaufbaus“, gebildet aus Sandinisten und einigen VertreterInnen der bürgerlichen Opposition, darunter die spätere Präsidentin Violeta Barrios de Chamorro, mußte das Land neu aufbauen, ihm eine neue Struktur geben. Die Vorstellungen, welche das sein sollte, waren durchaus unterschiedlich. Die FSLN war sich wohl bewußt, daß der Aufstand vor allem eine Revolte gegen Somoza gewesen war, keine sozialistische Revolution.
Woher hätte die auch kommen sollen? Bis zur Gründung der FSLN war die organisierte Linke in Nicaragua völlig marginal, linkes Denken oder gar eine politisch bewußte arbeitende Bevölkerung in Nicaragua praktisch unbekannt. Die politische Auseinandersetzung hatte sich stets zwischen den Liberalen und den Konservativen abgespielt, die jedoch lediglich unterschiedliche Teile der nicaraguanischen Oligarchie vertraten. Der erste Somoza, der nach seinem Sieg über den Bauerngeneral Augusto César Sandino und dessen Ermordung 1934 zum Staatsoberhaupt avancierte, war der erste Präsident, der nicht einer der traditionellen liberalen oder konservativen Familien angehörte, sondern als Präsident und Chef der Nationalgarde die Interessen der gesamten Oligarchie absicherte.
Erst als der Somoza-Clan zu viel wirtschaftliche Macht für sich selbst forderte und sich zudem mit der Regierung Jimmy Carters in den USA die internationale Großwetterlage geändert hatte, wurde Somoza auch für die traditionelle Herrschaft Nicaraguas ein Problem. Dieser Legitimationsverlust der Diktatur auch innerhalb der herrschenden Klasse hat mit dazu beigetragen, daß die Rebellion gegen die Diktatur auf einer so breiten Basis stand. Die linke FSLN-Guerilla hatte im Volksaufstand zwar durch ihre militärischen und organisatorischen Führungsqualitäten eine herausragende Rolle gespielt, doch ideologisch hatte sie den Kampf noch längst nicht gewonnen. Kaum jemand wußte wirklich zu sagen, wie die neue Regierung politisch einzuordnen war – und das hing auch mit der ideologischen Zerstrittenheit der FSLN selbst zusammen.
Drei Flügel hatten sich in den siebziger Jahren innerhalb der FSLN gebildet, die nur notdürftig zusammengehalten werden konnten. Neben der „Proletarischen Tendenz“ und der Fraktion „Verlängerter Volkskrieg“, die sich des marxistischen und guevaristischen ideologischen Instrumentariums bedienten, waren es letztendlich die sogenannten „Terceristas“, die „Drittisten“ um Daniel und Humberto Ortega, Edén Pastora und Dora María Téllez, die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre durch spektakuläre Aktionen wie die Besetzung des nicaraguanischen Nationalpalastes 1978 die Bevölkerung für sich zu begeistern wußten. Ihr Ziel war es, so schnell wie möglich die Diktatur zu zerschlagen und die Macht zu übernehmen – alles weitere werde sich dann schon finden.

Das breite Bündnis gegen Somoza

Zu diesem Zwecke hatten sie schon früh damit begonnen, Kontakte zu oppositionellen Intellektuellen wie dem Schriftsteller Sergio Ramírez Mercado oder dem Befreiungstheologen Ernesto Cardenal zu knüpfen, genauso wie zu jenen Teilen des aufgeklärten Bürgertums, die sich mehr oder weniger offen gegen Somoza gestellt hatten. Etwa Violeta Barrios de Chamorro, deren Ehemann Pedro Joaquín Chamorro als Herausgeber der bürgerlich-konservativen Zeitung „La Prensa“ 1978 von den Schergen der Diktatur erschossen worden war, weil er in der Zeitung über Menschenrechtsfragen berichtet hatte.
So war aus taktischen Gründen ein Bündnis gegen die Diktatur entstanden, mit dessen ideologischer Vielfalt jedoch die Mehrheit der sandinistischen Kader der traditionell-linken Strömungen nichts zu schaffen haben wollte. Für sie mußte die Ausrichtung der sandinistischen Revolution klar sozialistisch sein – das Modell Kuba stand in vielerlei Hinsicht Pate. So war die FSLN auch darum bemüht, ein Staatswesen aufzubauen, in dem sie alle wichtigen Positionen kontrollieren konnte.
Die FSLN bildete aus ihren Reihen Militär und Polizei. In kurzer Folge wurden sandinistische „Massenorganisationen“ gegründet, ganz so, wie man das aus den sozialistischen Ländern kannte, mit denen man sich gern verbrüdern mochte: Industriegewerkschaft, Landarbeitergewerkschaft, Lehrergewerkschaft, Produzentenverbände, Jugendverband, Frauenorganisation bis hin zu jenen Stadtteilorganisationen, den „Sandinistischen Verteidigungskomitees“ (CDS), über die sogar FSLN-Gründer Tomás Borge später sagte, sie seien lediglich eine „mechanische Kopie“ des kubanischen Modelles gewesen. Alle diese Organisationen waren mit Sitz und Stimme auch im Staatsrat vertreten, der anstelle eines gewählten Parlamentes legislative Aufgaben übernahm – und alle waren mit FSLN-Kadern besetzt. Kunststück, daß die FSLN im Staatsrat durchsetzen konnte, was sie wollte, so daß sich die VertreterInnen des Bürgertums alsbald an den Rand gedrängt sahen und die Regierung verließen.
So verfügte die FSLN schnell über die alleinige Entscheidungsgewalt in allen staatlichen Institutionen. Ihr gelang es dabei, die hierarchische Struktur einer politisch-militärischen Organisation beizubehalten, innerhalb derer die neunköpfige Nationalleitung alle Fäden in der Hand behielt. Dennoch strukturierte die FSLN sich um – von der Guerilla zur Staatspartei. Eine Deformation, unter der die FSLN bis heute leidet.

Aufbau und Contra-Krieg

Die ersten vier Jahre sandinistischer Regierung sind vor allem von zwei Komponenten geprägt: Dem massiven Auf- und Ausbau eines für Nicaragua unbekannten Netzes sozialer Sicherheit – von der Alphabetisierungskampagne und dem Aufbau eines basisorientierten Bildungs- und Gesundheitswesens bis zu den ersten Schritten der Landreform einerseits, dem aufkommenden Konflikt mit den Vereinigten Staaten und dem Beginn des Contra-Krieges andererseits.
Der Aufbau des Sozialwesens kostet Geld, und der nicaraguanische Staat ist pleite. Zwar hat die neue Regierung mit der Verstaatlichung des gesamten Somoza-Besitzes die Verfügungsgewalt über eine Reihe Schlüsselunternehmen in der Landwirtschaft und praktisch alle relevanten Industriebetriebe – das Kapital jedoch ist außer Landes, und die Fachkräfte oft gleich mit. So werden Unternehmen, mit denen Somoza seinen Reichtum mehrte, unter der sandinistischen Staatsverwaltung schnell zu defizitären Betrieben.
Die neue Regierung erkennt die Auslandsschulden an, die Somoza hinterlassen hat, und erreicht dadurch günstige Konditionen für eine Umschuldung. Frisches Geld kommt ins Land – und wird umgehend im Sozialbereich verkonsumiert. Unumwunden setzen manche sandinistische Ökonomen alles in die Hoffnung, ähnlich wie Kuba Sonderkonditionen aus dem RGW, dem sozialistischen Wirtschaftsraum zu erhalten. Der aufkeimende Krieg mit den USA ist so zwar nicht gerade willkommen, nutzt aber dennoch auch, um die UdSSR unter Druck zu setzen, die sandinistische Regierung nicht im Regen stehen zu lassen. Dafür beteuert man auch fleißig, es handele sich bei der sandinistischen Revolution um eine Revolution mit „sozialistischer Ausrichtung“, während westliche Geldgeber stattdessen ein Modell der gemischten Wirtschaft und des Parteienpluralismus vorgeführt bekommen.
Beide Strategien nutzen – der Geldstrom nach Nicaragua reißt in den ersten Jahren nicht ab. Er befördert freilich nichts anderes als eine Mentalität der Staatsfixierung und des Verschenkens. Kredite werden unterhalb der Inflationsrate verzinst und so zu direkten Subventionen, die Produktivität sinkt stetig. Die Landreform kommt nicht recht in Gang, weil die sandinistische Regierung wenig Lust verspürt, das in ihrem Besitz befindliche Land tatsächlich umzuverteilen – ihr schwebt vielmehr der Aufbau eines staatlichen Sektors in der Landwirtschaft vor. Erst nachdem die FSLN bei den ersten Wahlen 1984 in den wesentlichen landwirtschaftlichen Regionen des Nordens und des Landesinneren recht schlecht abschneidet und dort gleichzeitig die Contra ihre soziale Basis auszubauen versteht, erhalten mehr Bauern eigene Landtitel.
Freie Produzenten sind sie trotzdem nicht. In der Kreditvergabe werden Staatsbetriebe und Kooperativen bevorzugt, und alle landwirtschaftlichen Betriebe sind gezwungen, ihre Produkte über die staatliche Konsumorganisation zu festgelegten Preisen zu vertreiben, die in der Situation des Mangels deutlich unter den Marktpreisen liegen. Eine ganze Generation von ProduzentInnen und KonsumentInnen, die ihre Produkte auf dem immer blühenderen Schwarzmarkt handeln, wird kriminalisiert.
Doch schon zu diesem Zeitpunkt folgt die Regierung kaum noch einer Politik der sozialen Umgestaltung – vielmehr betreibt sie eine Flickwirtschaft zur Machterhaltung nach den Gesetzen der Kriegslogik. Die militärische Sicherung genießt oberste Priorität, die politischen Spielräume für Medien, Parteien und Bevölkerung werden enger, der Staat schottet sich zusehends ab, bietet immer weniger Möglichkeiten zur Partizipation. Jede öffentliche Debatte etwa mit GesundheitsarbeiterInnen, LehrerInnen, Busfahrern oder Zuckerrohrschneidern, bei der diese ganz konkrete Probleme vortragen, endet damit, daß ein sandinistischer Kader erklärt, daß es vor allem darauf ankomme, die imperialistische Aggression gegen Nicaragua abzuwehren. Der Diskurs ermüdet. So hat die US-finanzierte Contra doppelten Erfolg: Sie schwächt das Land wirtschaftlich und zehrt die Revolution politisch von innen aus.
Ab 1986/87 wird die Situation immer unerträglicher. Der Krieg fordert immer mehr Opfer, die sandinistische Jugendorganisation ist vor allem damit befaßt, junge Männer – zum Teil mit Gewalt – für den Militärdienst zu rekrutieren, die Inflation hat horrende Größenordnungen angenommen. Außenpolitisch kann die sandinistische Regierung zwar erreichen, daß die USA 1986 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Zahlung von zwölf Milliarden US-Dollar Schadensersatz an Nicaragua verurteilt werden (eine Summe, die sie nie zahlen und die ihnen von der konservativen nicaraguanischen Regierung in den 90er Jahren feierlich erlassen wird). Doch für ihre Position, mit der Führung der Contra nicht verhandeln zu wollen, die für die Sandinisten lediglich eine Marionettentruppe des Pentagon darstellt, findet die nicaraguanische Regierung immer weniger Unterstützung.
1988, zwei Jahre vor den nächsten Wahlen und ein Jahr vor den Umstürzen in Osteuropa, muß die Regierung ihren Kurs grundlegend ändern – es kommt zu direkten Verhandlungen mit der Contra und zu einem wirtschaftlichen Schockprogramm, mit dem das Staatsdefizit verringert, die Inflation abgebaut und Kapital ins Land geholt werden soll. Zu spät – und zu halbherzig. Die Währungsreform vom Februar 1988 streicht an den wertlosen alten Cordobas lediglich ein paar Nullen weg, Schwarzmarkt und Inflationsspirale bewegen sich nur noch schneller. Die staatliche Verwaltung, die Tausenden von SandinistInnen Arbeit gibt, ist ein aufgeblähter bürokratischer Moloch, der den Mangel verwaltet und teilweise erst produziert. Die Kaufkraft gerade der Armen, die doch durch die Revolution am meisten profitieren sollten, ist rapide gesunken – und mit ihr die Legitimation der sandinistischen Regierung, deren lokale VertreterInnen obendrein immer öfter durch Amtsmißbrauch und Korruption auffallen. Lediglich die nach wie vor kostenintensiv aufrechterhaltene Subventionierung von Lebensmitteln sichert den Ärmsten noch einen minimalen Lebensstandard.
Am 25. Februar 1990 bekommen die SandinistInnen die Quittung: Bei den allgemeinen Wahlen erhält das von den USA unterstützte Oppositionsbündnis U.N.O. mit der Präsidentschaftskandidatin Violeta Barrios de Chamorro 54 Prozent der Stimmen.
Tausende sind im Krieg gestorben, das Land ist politisch zerrissen, wirtschaftlich verarmt und voller Waffen. Die sandinistische Führungsschicht sichert sich mit einigen zwischen Wahlniederlage und Amtsübergabe eilends erlassenen Gesetzen einen Teil ihrer Pfründe – und diskreditiert sich in den Augen vieler Menschen noch mehr. Vom Versuch, Nicaragua durch eine Revolution des Volkes auf einen Weg aus der Armut und Bevormundung zu führen, ist nicht viel übrig geblieben.

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