Von wegen „sauber“
Windparks im Nordosten Brasiliens bedrohen Mensch und Umwelt
Die Expansion erneuerbarer Energien im Globalen Süden schreitet voran und bringt Widersprüche sowie soziale, wirtschaftliche, umweltbezogene und politische Herausforderungen mit sich. Wir leben in Zeiten des Klimawandels, der Entmenschlichung und der Gewalt gegen traditionelle Gemeinschaften. Es ist eine Zeit, in der Kämpfe um Gas, Öl, Mineralien, Energie, Land und Territorium sowie die Gewalt durch sozio-ökologische und klimatische Katastrophen zunehmen. Inmitten dieser Entwicklungen wächst weltweit der Ruf nach Veränderungen im Energiebereich. Der Übergang zu den erneuerbaren Energien wird als zentrale Strategie zur Bekämpfung der globalen Erwärmung angesehen. Allerdings führt genau dies zu einer Wiederholung historischer Ungleichheiten.
Die Nachfrage nach einer erhöhten Produktion von Energie aus erneuerbaren Quellen folgt einem kolonialen Muster: der Globale Süden als Exporteur von „sauberer” Energie und der Globale Norden als Exporteur von industrialisierten Produkten. Die Ausweitung der erneuerbaren Energien in Lateinamerika und Afrika hat zahlreiche sozio-ökologische Konsequenzen.
Erneuerbare Energien sind nicht automatisch „sauber“
Multinationale Unternehmen und Regierungen drängen den Globalen Süden, erneuerbare Energien auszubauen. Gleichzeitig wird von den lokalen Herausforderungen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung abgelenkt. In Brasilien sind die meisten Treibhausgasemissionen Folgen der Abholzung (56,3 Prozent) und Landwirtschaft (33,7 Prozent). Zusammen machen sie stolze 90 Prozent der Emissionen aus. Beide Bereiche sind eng mit der Landkonzentration und den seit der Kolonisierung schwelenden Landkonflikten verbunden. Dennoch steht die Landnutzung nicht im Fokus der Politik und der Klimadiskurse.
Inmitten der Klimakrise konzentriert sich Brasilien, dessen Stromversorgung bereits überwiegend auf erneuerbaren Quellen basiert, auf den Ausbau dieser Industrien. Dabei garantieren die Entscheidungen rund um die Energiewende weder soziale Teilhabe noch Umwelt- und Klimagerechtigkeit. Die Windenergie ist heute die zweitgrößte Stromquelle in Brasilien. Im weltweiten Vergleich steht Brasilien auf Platz sechs bei der Windkraftkapazität. Laut Informationen der staatlichen Energiebehörde Agência Nacional de Energia Elétrica gibt es 1.090 Windkraftanlagen im Land, von denen 90 Prozent im Nordosten stehen. Der Bundesstaat Ceará ist viertgrößter Produzent und hat 100 aktive Anlagen sowie 75 weitere in Planung. Außerdem gibt es Pläne für Offshore-Windkraft. Laut der Umweltbehörde Ibama sind 97 Offshore-Anlagen geplant, die 62.490 Quadratkilometer abdecken würden, davon 25 Anlagen in Ceará mit 17.280 Quadratkilometern.
Die Konzentration der Windkraftanlagen im Nordosten Brasiliens lässt sich durch geografische und Umweltfaktoren erklären. Allerdings spielen auch die Aussicht auf Profit und ungestrafte Vergehen gegen Umwelt und lokale Gemeinschaften eine wichtige Rolle. Starke Winde und eine flache Küstenregion, aber auch die Rechtsunsicherheit der lokalen Bevölkerung machen die Gegend attraktiv. Dies verstärkt die bestehenden Ungleichheiten und belastet Küsten und Meere weiter, die durch andere Projekte bereits schwere Umweltschäden erlitten haben. Dazu gehören Immobilien-Spekulation, Massentourismus, industrielle Fischerei, Aquakultur sowie Öl- und Hafenprojekte. Für die lokalen Gemeinschaften sind Windkraftanlagen ein weiteres dieser großen Probleme. Sie brauchen viel Land und Wasser und haben tiefgreifende und oft nicht umzukehrende Folgen. Zu den Auswirkungen zählen die zunehmenden Konflikte um die Nutzung von Meer und Küste, wobei traditionelle Küstengemeinschaften am stärksten betroffen sind. An der Küste von Ceará gibt es 324 selbstdeklarierte traditionelle Gemeinschaften, wie eine aktuelle Studie der Landesregierung in Zusammenarbeit mit der Bundesuniversität von Ceará zeigt. Diese Gemeinschaften leben hauptsächlich von Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus.
Die Projekte bringen massive Auswirkungen auf die sensiblen Ökosysteme mit sich. Dazu gehören die Zerstörung von Lebensräumen, die Kontamination von Süßwasserquellen, Bodenerosion und Abholzung. Zudem leiden die Gemeinschaften unter gesundheitlichen Problemen und Veränderungen in ihren Lebensgewohnheiten. Die Pachtverträge sind vielerorts ungerecht, außerdem entstehen Konflikte innerhalb der Gemeinschaften. Es kommt während der Bauphasen der Megaprojekte auch zu sexueller Ausbeutung von Frauen. Trotz dieser Erfahrungen wird der Begriff „saubere Energie“ verwendet.
Die von den Windkraftanlagen betroffenen Menschen sind vor allem Schwarze Bevölkerungsgruppen aus Städten und ländlichen Gebieten, Indigene Völker und Quilombola-Gemeinschaften (Gemeinschaften von Nachfahr*innen entlaufener versklavter Menschen). Diese Gruppen leiden unter eingeschränkten Rechten in einem System, das stark von Rassismus und vom Patriarchat geprägt ist. Das zeigt sich in den hohen Gewaltraten und den unsicheren Lebensbedingungen.
Es ist wichtig, die Annahme zu hinterfragen, dass erneuerbare Energien automatisch „sauber“ sind. Das ist nicht immer der Fall. Oft fehlen soziale und ökologische Schutzmaßnahmen von Unternehmen und Behörden. Cleomar Ribeiro ist Fischerin und Quilombola. Sie erinnert sich an die Windkraftanlage in ihrer Gemeinschaft. 2011 wurde die Windfarm Bons Ventos Aracati in Betrieb genommen. Es war die erste kommerzielle Windkraftanlage in Ceará und die größte in Brasilien. Ribeiro sagt: „Als die Windkraftanlage installiert wurde, waren wir überrascht. Das Unternehmen kam in unser Gebiet, ohne unserer Gemeinschaft Respekt zu zeigen. Sie informierten uns nicht und erklärten nichts. Wie kann man etwas planen, das uns betrifft, ohne uns einzubeziehen? Wir haben eine enge Beziehung zu diesem Land.“
Ribeiros Kritik wiederholt sich in allen betroffenen Gebieten. Bei dieser Vorgehensweise verstoßen die Firmen gegen die ILO-Konvention 169. Sie verlangt, dass traditionelle Gemeinschaften vor jeder Maßnahme, die sie und ihr Territorium direkt betrifft, konsultiert werden. Oft gehen Windkraftprojekte mit Versprechungen von „Entwicklung“, Infrastruktur und Arbeitsplätzen einher. In Wirklichkeit verletzen sie jedoch die Rechte der Gemeinschaften und ignorieren ihre Bedürfnisse. Die organisierte Zivilgesellschaft hat diese Missstände zwar dokumentiert, doch finden die Berichte in den Entscheidungsgremien wenig oder gar keine Beachtung (ähnlich wie im Kampf gegen illegalen Bergbau in Peru).
Den betroffenen Gebieten bleibt nur, die Last der Windkraftanlagen zu ertragen. Sie profitieren nicht von der erzeugten Energie. Die Gemeinschaft von Ribeiro, das Quilombo do Cumbe, hat viel von ihrem Territorium für die Windkraftanlage verloren. Heute erzeugt ihr Land jährlich 50.000 Kilowatt an Energie, die Quilombola-Gemeinschaft kann jedoch nicht einmal die Stromrechnung für die Gemeinschaftsküche bezahlen, in der sie ihren Fisch verarbeiten.
Die Ausweitung der erneuerbaren Energien zielt hauptsächlich auf den externen Markt ab. Dies wird besonders deutlich bei der Politik zur Umsetzung von Offshore-Windanlagen im nordöstlichen Brasilien, die zur Produktion von grünem Wasserstoff dienen. Dieser Wasserstoff ist für den Export in Länder des Globalen Nordens bestimmt.
Antônio Carneiro, ein Fischer aus der Gemeinde Tatajuba, warnt vor der Bedrohung durch Offshore-Windkraftanlagen: „Das sind große Türme, die an Orten errichtet werden, die von traditionellen Gemeinschaften jeden Tag genutzt werden. Diese Türme machen es unmöglich, in ihrer Nähe mit Booten vorbeizufahren. Es gibt ein Projekt, durch das fünf Gemeinden keinen Zugang mehr zum Meer haben werden. Das bedeutet, sie können nicht mehr fischen und haben kein Einkommen.“
Jeder Plan zur Nutzung von Land und Meer sollte die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten und die sozio-ökologische Bedeutung des Gebiets berücksichtigen. Die soziale Widersprüchlichkeit der Expansion erneuerbarer Energien verschärft die Risiken für die Ernährungs- und Wassersicherheit. Sie kann zu Migrationskrisen und Menschenrechtsverletzungen führen. Die „globale“ Klimapolitik darf die Verantwortung nicht nur der nationalen Hoheitsgewalt und den lokalen Gemeinschaften aufbürden. Außerdem sollte nicht ignoriert werden, dass große politische und wirtschaftliche Kräfte im Globalen Norden von den strukturellen Schwächen und der historischen Lage des Globalen Südens profitieren.
Zum Nutzen marktgerechter Initiativen werden Völkerrechte verletzt und die Natur ausgebeutet
Aktivist*innen aus den Ländern des Globalen Südens bezeichnen diese Aktivitäten als Neokolonialismus. Sie kritisieren, dass Territorien und Menschen zum Schutz des Klimas ausgebeutet werden. Dabei werden Menschlichkeit und Selbstbestimmung oft als weniger wichtig erachtet als die Interessen der Bewohner*innen reicher Länder. Die Erfahrungen in Ceará zeigen, dass die Ausweitung erneuerbarer Energien dort die Umweltzerstörung nicht verringert. Im Gegenteil: Sie vertieft die Ungleichheiten und gefährdet die natürlichen Ressourcen zusätzlich.
Um in Brasilien nachhaltige Umwelt-, Klima- und Energiepolitik zu betreiben, müssen strukturelle Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten berücksichtigt werden, wie Umweltrassismus, ungleicher Zugang zu Entscheidungsprozessen und grundlegenden Rechten. Historische Umweltschäden und der Autoritarismus, der über den Territorien und Naturgütern herrscht, dürfen nicht weiter ignoriert werden. Zum Nutzen marktgerechter Initiativen werden Völkerrechte verletzt und die Natur ausgebeutet. Dies gilt für erneuerbare Energien im Allgemeinen und für Windenergie im Besonderen.
Die derzeitige Energiewende verletzt die Menschenrechte und gefährdet die Biodiversität, die für das Klima wesentlich ist. Statt Lösungen für das Klimachaos zu bieten, ignoriert sie die Geschichten und Lebensweisen, die das Land und die Meere seit Jahrhunderten schützen. Es ist dringend notwendig, diese Entwicklung zu ändern.
Die Autor*innen sind Mitarbeiter*innen des Instituto Terramar in Ceará, Brasilien.