Wahlen unter Feuer
Schwere Kämpfe lassen die Kolumbianer ihr Heil im Rechtspopulisten Álvaro Uribe Vélez suchen
Kolumbien hat unter Kriegsbedingungen seinen neuen Präsidenten gewählt. Dieser heißt Álvaro Uribe Vélez. Bereits im ersten Wahlgang am 26. Mai konnte er rund 53 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, eine Stichwahl im Juni wurde somit unnötig. Sein ärgster Gegner von der Liberalen Partei, Horacio Serpa, fuhr nur etwas mehr als 31 Prozent ein.
An dritter Stelle behauptete sich gut, aber knapp, der Linkskandidat Lucho Garzón von der Sammelbewegung Polo Democrático mit 6,2 Prozent. Nach zwölf Jahren Abstinenz auf Grund einer blutigen Mordwelle gegen linke Aktivisten Ende der achtziger Jahre haben diese wieder mit einem eigenen Kandidaten einen Achtungserfolg einfahren können. Die viertplatzierte Noemí Sanín erreichte nur 5,8 Prozent der Stimmen, nachdem sie noch Monate zuvor beste Aussichten für einen Einzug in die Stichwahl hatte.
Uribe Vélez konnte die WählerInnen mit seinem autoritären Diskurs überzeugen. Der 49-jährige Anwalt war bereits in den neunziger Jahren Gouverneur der Provinz Antioquia und zuvor Bürgermeister der dortigen Provinzhauptstadt Medellín. Im Wahlkampf um die Präsidentschaft profilierte sich Uribe Veléz als Hardliner, der mit verstärkten militärischen Mitteln der Guerilla zukünftig zu Leibe rücken will. Zwar steht er in dem Verdacht, enge Kontakte zu Paramilitärs und Drogenhändlern zu besitzen, dennoch ließen sich die WählerInnen von seiner proklamierten Sicherheitspolitik überzeugen.
Besonders die Großstädte verschafften dem Rechtskandidaten den schnellen Sieg. „Es besteht nationaler Konsens, sich der Gewalt entgegenzustellen. Die Kolumbianer sind dafür zu Entbehrungen bereit“, analysierte der Ex-Bürgermeister Enrique Penalosa und Unterstützer von Uribe nach der Bekanntgabe der Ergebnisse. Das mag für die Städte gelten, weniger aber für das Land, wo der kolumbianische Konflikt in aller Härte ausgetragen wird. Während in den urbanen Zentren die Wahlbeteiligung bei über 50 Prozent lag, war diese auf dem Land weit niedriger. Im Schnitt wählten 45 Prozent der Wahlberechtigten.
Keine Bedingungen für freie Wahlen
Die Bedingungen für freie Wahlen hätten kaum schlechter sein können. Bereits Tage vor dem Urnengang gab der im August ausscheidende Präsident Andrés Pastrana bekannt, dass in etwa sieben Prozent des Landes nicht gewählt werden könne. Besonders betroffen waren fünf südkolumbianische Provinzen und die nordwestliche Region des Landes. Die Bürgermeister mehrerer Bezirke lehnten die Durchführung der Wahlen ab, da keine staatliche Autorität präsent war und Drohungen überhand nahmen. Die Guerilla rief offen zum Wahlboykott auf, ohne diese aber in großem Umfang gewaltsam zu sabotieren. In von Paramilitärs kontrollierten Gebieten übten diese Gruppen Druck auf die WählerInnen aus, für wen sie zu stimmen hätten. „Wir sagen den Leuten nur, wo sie ihr Kreuz zu machen haben“, brachte es Para-Chef Salvatore Mancuso bereits Wochen zuvor salopp auf den Punkt. Kein Zweifel dürfte darin bestehen, dass deren Kandidat Álvaro Uribe Vélez hieß (siehe auch LN 335).
Von einem programmierten Wahlbetrug sprach der Linkskandidat Lucho Garzón. In zweihundert Bezirken, das entspricht immerhin rund zwanzig Prozent des Landes, seien keine Polizisten vor Ort gewesen, die einen sauberen Wahlkampf hätten garantieren können. In weiteren 216 Bezirken gab es nur ganze acht bis zwölf Beamte. Wer also Interesse an einer Wahlfälschung hatte, konnte dort kräftig zuschlagen. Bereits bei den Parlamentswahlen am 10. März fand ein großflächiger Wahlbetrug statt. In mehr als einem Viertel der Wahllokale gab es Unstimmigkeiten. „Nach zwei Monaten weiß man immer noch nicht, ob man die Wahlen bestätigen lassen kann oder nicht“, so Garzón.
Um aber den Schein der „ältesten Demokratie Lateinamerikas“ aufrecht zu erhalten, sprach die Regierung jetzt von garantiert sauberen Wahlen. 213.000 Soldaten, Polizisten und Geheimdienstler, so die offizielle Darstellung, seien eigens dafür abgestellt worden. Um den Wahlgang international beobachten zu lassen, schickte die EU fünf Vertreter nach Kolumbien, welche die Bedingungen genauer unter die Lupe nehmen wollten. Die Organisation Amerikanischer Staaten OAS sandte gleichfalls Vertreter nach Kolumbien. Diese sprachen bereits zuvor auf Grund der gefährdeten öffentlichen Ordnung von einer möglichen Annullierung der Wahlen, sollte ein Kandidat juristischen Einspruch einlegen wollen.
Die letzten Wochen vor den Wahlen befürchtete man in Kolumbien, dass die Guerilla den Konflikt in die Städte tragen würde. Von einigen Bomben im März und April abgesehen, blieb es jedoch verhältnismäßig ruhig. Zu einem schweren Feuergefecht kam es jedoch am 20. Mai in Medellín, nachdem Sondereinheiten der Polizei und Armee ein von der Guerilla kontrolliertes Viertel angriffen. Unverhältnismäßig und brutal seien die Sicherheitskräfte vorgegangen, berichteten AnwohnerInnen und Menschenrechtsorganisationen nach dem Vorfall.
Um zwei Uhr nachts betraten schwerbewaffnete Einheiten das Viertel, um eine mutmaßliche Waffenfabrik der Stadtmilizen auszuheben. Im verarmten Westteil der Stadt kontrollieren rund 600 Milizen der FARC und ELN sowie 400 Paramilitärs verschiedene Viertel der Metropole. In dem stundenlang anhaltenden Kreuzfeuer zwischen den Milizen und den Sicherheitskräften starben mindestens neun Menschen, darunter zwei unbeteiligte Kinder von sechs und zwölf Jahren. Auf Personen, die mit weißen Fahnen auf die Straßen traten, wurde geschossen. Über 35 Menschen wurden verletzt. Zwischen dutzenden Festgenommenen seien auch Unschuldige gewesen, so BeobachterInnen vor Ort. Unschuldige, die es nicht gibt, wenn man den Worten des Polizeichefs Ernesto Gilibert Glauben schenkt: „In der einen oder anderen Form waren die Bewohner mit den Milizen verbunden“, so Gilibert in seiner Rechtfertigung dafür, dass die Streitkräfte die Viertel aus Panzerwagen und Helikoptern beschossen.
Schwerster Anschlag seit 40 Jahren
Doch nicht nur die kolumbianischen Sicherheitskräfte entfernen sich immer weiter von der Achtung der internationalen Menschenrechte, sondern auch die Paramilitärs und die Guerilla. Am 21. April entwickelten sich schwere Kämpfe zwischen beiden Gruppen in der nordwestkolumbianischen Urwaldregion Chocó, die am 2. Mai in eine der schwersten Tragödien des kolumbianischen Konflikts mündeten. Eine Bombe der FARC schlug in eine Kirche des Dorfes Bellavista im Bezirk Bojayá ein, in der rund 200 Menschen vor den Kämpfen Schutz gesucht hatten. In wenigen Sekunden starb ein Zehntel der Dorfbevölkerung: 119 Menschen, darunter 47 Kinder.
Zu dem Massaker kam es, als die Paramilitärs während der Kämpfe in das Dorf eindrangen, um Schutz zu suchen. Dabei benutzten sie die DorfbewohnerInnen als menschliche Schutzschilder. Laut Zeugen wurde von ihnen jeder erschossen, der aus der Kirche kam. Offenbar wussten die am Dorfrand positierten FARC zunächst nicht, auf wen sie mit ihren Bomben zielten. Aber mit dem Einsatz ihrer gefürchteten Gaszylinderbomben, deren Zielgenauigkeit auf Glück beruht, gegen das Dorf, scheinen sie zivile Opfer in Kauf genommen zu haben. „Mein Gott, was haben wir angerichtet!“, sagte eine Rebellin Stunden später fassungslos, nachdem die Paramilitärs aus der Ortschaft vertrieben waren. Zwei Tage später entschuldigten sich die FARC offiziell für den Anschlag, der ihren internationalen Status als Terroristen aber damit besiegelt haben dürfte.
Wie weit der Zynismus von staatlicher Stelle reicht, bewies Präsident Pastrana in den folgenden Tagen. Die Armee brauchte vier Tage, um in der Region anzukommen. Wegen schlechten Wetters, so die offizielle Begründung, die seit Jahren für die Nicht-Präsenz der Armee bei Gefechten oder Massakern herhält. Während die Luftwaffe zunächst Bomben über der Region abwarf, bei der abermals ZivilistInnen ums Leben kamen, befand sich Pastrana bereits auf einer Rundreise durch Europa, um für die Stigmatisierung der FARC als Terroristen zu werben.
Erst wenige Tage vorher hatte die EU erklärt, nur die paramilitärischen AUC auf ihre Terrorliste zu setzen, was in der Pastrana-Administration Unmut auslöste. Die FARC zu Terroristen zu erklären, so der Standpunkt innerhalb der EU, würde die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen nahezu unmöglich machen. Diese Sichtweise hat sich nach dem Anschlag geändert. Im Juni will die EU erneut entscheiden, ob die FARC zu Terroristen erklärt werden.
Diese Entscheidung, die von den in Kolumbien ansässigen Botschaftern der EU-Länder ausgeht, wird allerdings von einem UN-Bericht über den Vorfall in Bojayá abhängig gemacht. Pastrana selbst lud deren Vertreter der Menschenrechtskommission, Anders Kompass, zu einem Besuch der Region ein. Sein in der dritten Maiwoche veröffentlichter Bericht hat es in sich. Zwar spricht er von verschiedenen Kriegsverbrechen seitens der FARC und der Paramilitärs, zahlreiche Vorwürfe werden aber auch gegen den kolumbianischen Staat und die Armee laut. So wurden Warnungen von halbstaatlichen Institutionen, NRO und Bürgermeistern vor möglichen Kämpfen ignoriert, die bereits im Dezember letzten Jahres ausgesprochen wurden. Diese berichteten von der äußerst angespannten Situation zwischen den irregulären Gruppen, die in der Region mobil machten. Nur eine Woche vor dem Massaker trafen acht Boote mit Waffen für die Paramilitärs und dreihundert Käm-pfer in der Region ein. Über den Wasserweg aus dem Norden, auf dem die Armee permanent einen Kontrollposten besitzt.
Als Kompass vier Tage nach dem Anschlag die Region besuchte, berichtete er von einer gleichzeitigen Präsenz der eingetroffenen Armee und der Paramilitärs, die sich, nur zehn Minuten voneinander entfernt, in dem Ort aufhielten. Die Armee reagierte umgehend mit Kritik an Kompass und nannte seine Aussagen „unqualifiziert“. Dennoch gehört dieser Bericht zu einem der schärfsten und direktesten Anschuldigungen seitens der UNO, welche die Untätigkeit des Staates und mögliche Verstrickungen des Militärs mit paramilitärischen Gruppen anspricht.