Brasilien | Nummer 197 - November 1990

Wahlen:Reaktion und Überdruß

Präsident Collor mußte nach seinem Amtsantritt im März und dem wirtschaftli­chen Schockprogramm die erste Bewährungsprobe an den Wahlurnen bestehen: Am 3. Oktober wurde das nationale Parlament und die Gouverneure der Bundes­staaten neu gewählt. Die Regierung ist bei den Wahlen ganz gut davongekom­men. Rechtsruck und Verluste der Linken – so der Tenor der kurzen Meldungen in hiesigen Zeitungen. In Wirklichkeit ist das Wahlergebnis etwas komplizierter und aufschlußreicher.

Thomas W. Fatheuer

Wenn auch eine endgültige Wahlanalyse noch nicht möglich ist, da in vielen Staaten die Gouverneurswahlen erst Ende November im zweiten Durchgang ent­schieden werden, so sind doch einige Trends deutlich sichtbar. Der große Ge­winner sind die Rechten. Von den 503 Abgeordneten des Parlaments (câmera federal) können 270 Abgeordnete dem Regierungslager zugerechnet werden. Die Partei Collors wird aber nur über etwa 30 Sitze verfügen und geht nicht gestärkt aus den Wahlen hervor. Collor, der scheinbar neue, unabhängige Politiker bleibt also abhängig von einer Koalition mit der traditionellen Rechten, die sich in der PMDB und der PFL zusammenfinden. Dies sind aber genau die Kräfte, die die Regierung Sarney unterstützt hatten, die zum Schluß völlig unpopulär war und auf die Collor in seinem Wahlkampf so heftig einschlug wie auf die Linken. Sie können sich nun genau wie Collor auf ein frisches WählerInnenvotum berufen, ihre Chancen, den unberechenbaren Populisten wieder an die Kandare zu be­kommen, sind erheblich gestiegen. Innerhalb des rechten Lagers gab es eine si­gnifikante Verschiebung zugunsten der PFL, die zum größten Teil aus Politikern besteht, die früher in der Partei der Militärs organisiert waren. Die Überlebens­kraft dieser Rechten ist erstaunlich. Sie haben die Wahl wieder mit den klassi­schen Mitteln gewonnen: Einkaufen lokaler Politiker, konkrete Versprechungen (hier eine Schule, dort ein Krankenhaus) auf lokaler und regionaler Ebene. Die Wahl solcher Politiker ist kaum eine rechts-links Entscheidung. Die Wahlen wa­ren somit im Vergleich zu den Präsidentschaftswahlen – scheinbar – nicht ideolo­gisch geprägt. “Das Beste für Bahia”, solche Parolen bestimmten den Wahlkampf. Damit hat aber weniger die politische Rechte als der “fisiologismo” die Wahlen gewonnen. Ein “fisiologico” ist ein Politiker, für den weder eine Parteibindung oder ideologische Orientierung kennzeichnend ist, als die Organisierung des Zu­gangs zur Macht, die Bedienung der Klientel und das eigene Überleben in politi­schen Funktionen. “Rouba mas faz” – er ist korrupt, aber er macht was, das ist die positive Charakterisierung dieses Politikers. Ein typischer Vertreter solcher Überlebenskünstler, Antonio Carlos Magalhaes (ACM), der eine ungebrochene Karriere seit den Zeiten der Diktatur aufweist, gewann in Bahia die Gouver­neurswahlen locker im ersten Anlauf.
Der kurze Sommer der Linken
Die Arbeiterpartei (PT), deren Kandidat Lula letztes Jahr fast die Präsident­schaftswahlen gewonnen hätte, wird magere 30 Abgeordnete (ca.6%) stellen, und nur in den Amazonas-Bundesstaaten Acre und Amapá gelangen PT-Kandidaten für das Gouverneursamt in die zweite Runde. Die andere Partei, die eine Oppo­sition von links gegen die Regierung verspricht, ist die PDT: Ihr Führer, der Populist Brizola, gewann mit einem hervorragenden Ergebnis in Rio, und in zwei weiteren Bundesstaaten liegen ihre Kandidaten vorne. Aber die PDT wiederholte das Dilemma der Präsidentschaftswahlen: gute Ergebnisse in einigen Staaten und quasi Nichtexistenz in anderen, insbesondere den wichtigen Staaten Sao Paulo und Minas Gerais. Brizola bleibt ein Regionalpolitiker, aber immerhin wird die Fraktion der PDT im Parlament fast doppelt so groß sein wie die der PT. Brizola kann somit seinem Anspruch, Führer und Kristallisationsfigur der Opposition zu sein, neuen Nachdruck verleihen.
Warum aber das schwache Abschneiden der PT? Vielleicht ist die Frage falsch gestellt. Erklärungsbedürftig ist wohl eher, wie es Lula gelingen konnte in einem ganz spezifischen Moment die gesamte Opposition und Unzufriedenheit hinter den Fahnen der PT zu vereinigen. Die PT verdoppelte immerhin ihre Fraktion im Parlament, sie hat ein Ergebnis erreicht, das eher ihre wirkliche Stärke wiedergibt als die Erfolge bei den Präsidentschaftswahlen.
Viel weniger als bei den letzten Wahlen hat die PT von diffusen Stimmungen, der Unzufriedenheit und Wut mit Regierung, Politikern und den Verhältnissen im allgemeinen profitiert. Denn ein hervorstechendes Ergebnis dieser Wahlen ist die riesige Zahl der ungültigen Stimmen, bzw. der Wahlenthaltungen (In Brasilien herrscht strenge Wahlpflicht!). Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus wählten 65% der WählerInnen nicht oder ungültig, eine für Brasilien unglaubliche Zahl. Warum es der Linken nicht gelang, dieses Potential zu erreichen, ist die große Frage der Wahlanalyse. Ein Grund wird schon sein, daß die PT in wichtigen Städten (Sao Paulo) die BürgermeisterInnen stellt, dort keine Wunder bewirken konnte und somit nunmehr selbst als Teil des politischen Systems erscheint.
Zu den großen Verliererinnen der Wahl gehört auch die PSDB, das sozialdemo­kratische Projekt unter Fernando Henrique Cardoso. Ihr einziger Lichtblick ist Ceará (Ciro Gomes mit 54% Gouverneur), ansonsten zerreibt sich die Partei an der Frage, ob sie die Regierung Collor unterstützen oder fundamentale Opposi­tion machen soll. Der Weg dieser Partei wäre aber genauso eine ausführliche Er­örterung wert wie das Wahlergebnis in Sao Paulo, wo sich der extrem rechte Paulo Maluf und der (bisher völlig unbekannte) Luís Fleury (Kandidat des jetzti­gen Gouverneurs Quércia) in der Stichwahl gegenüberstehen werden. Gewinnt Fleury wird Quércia der große (bürgerliche) Gegenspieler Collors und Favorit für dessen Nachfolge sein. Aber dazu mehr nach dem zweiten Wahlgang.

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