Haiti | Nummer 378 - Dezember 2005

Wahltermin, der fünfte

Die Präsidentschaftswahlen in Haiti drohen erneut an organisatorischen Unzulänglichkeiten zu scheitern

Eigentlich hätten Anfang November verfassungsgemäß die rund 4,5 Millionen Wahlberechtigten in Haiti einen neuen Staatspräsidenten wählen sollen. Gleichzeitig sollten Parlaments-, Senats- und Kommunalwahlen stattfinden. Viermal jedoch wurde der Urnengang im Armenhaus Lateinamerikas bisher schon verschoben.

Hans-Ulrich Dillmann

Ende Oktober erklärte der derzeitige Interimsministerpräsident Gérard Latortue, spätestens Mitte Dezember würden die HaitianerInnen zu den Urnen gerufen. Allerdings betrachten politische BeobachterInnen diese Ankündigung mit einiger Skepsis. Latortue hat zwar angekündigt, er werde, wie es die Verfassung vorsieht, am siebten Februar das Regierungsamt an seinen Nachfolger übergeben. Ob dieser Termin gehalten werden kann, bleibt jedoch fraglich.
Dies bedeutet einen weiteren Rückschlag für die Vereinten Nationen, die seit dem erzwungenem Abtritt des früheren Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide Ende Februar letzten Jahres für die innere Sicherheit des Landes verantwortlich sind und mit Geldzuwendungen und administrativem Know-how für eine politische und wirtschaftliche „Grundsanierung“ des Landes sorgen wollen.

Probleme auf allen Ebenen

Vielfältig sind die Hindernisse, die sich in den letzten Monaten bei den Vorbereitungen zu den allgemeinen Wahlen in Haiti aufgetürmt haben. Seit der Conseil Electoral Provisoire (CEP), der Provisorische Wahlausschuss, konstituiert wurde, hat er nicht nur mit organisatorischen Unzulänglichkeiten zu kämpfen.
Zuerst stritten sich die designierten Mitglieder über die Zusammensetzung des Rates. Einige wollten verhindern, dass die ehemalige Regierungspartei Fanmi Lavalas überhaupt Vertreter in den provisorischen Wahlrat schicken durfte. Dann wiederum verweigerte die von Aristide gegründete Lavalas-Bewegung die Zusammenarbeit. Sie werde seit der Einsetzung der Interimsregierung organisatorisch behindert. Mitglieder der „Erdrutsch“-Bewegung würden politisch verfolgt, führende Vertreter mit fadenscheinigen Begründungen inhaftiert und der Lavalas-Vorsitzende und haitianische Ex-Präsident Aristide sei gezwungen, im südafrikanischen Exil zu leben.
Dann wieder fehlte eine zuverlässige Auflistung der Personen im wahlfähigen Alter und danach die notwendigen finanziellen Mittel, um eine landesweite Erfassung der EinwohnerInnen und potentiellen WählerInnen sowie eine effektive Vorbereitung eines geordneten Urnenganges zu gewährleisten. Zudem sind einige entlegene Regionen des „Landes der Berge“, die zu den am dichtesten besiedelten gehören, nur schwer zu erreichen.
Wie viele der BewohnerInnen der Karibikrepublik wirklich wahlberechtigt sind, ist nach wie vor unklar. Ein ordentlich geführtes Einwohnerregister gibt es nicht. Auch der CEP kann die Zahl der Wahlberechtigten unter den rund 8,6 Millionen HaitianerInnen nicht nennen. Inoffiziell wird von rund 4,5 Millionen besprochen.
Außerdem hat der CEP es bisher nicht geschafft, landesweit Wahlbüros zu installieren. Mitglieder der Lavalas-Bewegung sehen darin eine beabsichtigte Behinderung ihrer Wahlchancen. In Cité Soleil, einem der Armenviertel der Hauptstadt Port-au-Prince und eine Hochburg der Aristide-AnhängerInnen gebe es nur zwei CEP-Büros, in denen sich die WählerInnen registrieren könnten, schimpft ein Lavalas-Mitglied. „Wir sollen faktisch von den Wahlen ausgeschlossen werden.“ Rund 100.000 Menschen drängen sich in den Elendshütten am Rande einer Mülldeponie.
Auch in Bel Air, wo es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Lavalas-Militanten, der haitianischen Polizei und UN-Truppen gekommen ist, funktionieren nur drei Wahlregistrierbüros, eines innerhalb des Fort National, das unter dem Kommando der brasilianischen Minustah-Streitkräfte steht. Die anderen beiden Büros befinden sich in unmittelbarer Nähe von Stützpunkten der UN-Friedenstruppe. „Sie wollen uns kontrollieren. Unsere Anhänger fürchten die Militärs. Es ist der Versuch, unsere Wähler faktisch von der Wahl fern zu halten“, beklagt ein Lavalas-Funktionär.
Die mit 50 Millionen US Dollar aus dem Ausland finanzierte Wahldurchführung ist zudem hoch technisiert. In einem Land, in dem weite Regionen über keine Stromversorgung verfügen, macht das die Wahlen zu einem komplizierten Unterfangen. Mal fehlen Transportfahrzeuge für die CEP-MitarbeiterInnen und ihre Laptops, Digitalkameras, Erfassungsgeräte für Fingerabdrücke und Stromaggregate. Dann wieder geben die Hightech-Geräte wegen unsachgemäßer Handhabung den Geist auf – die Daten gehen verloren. Oder die Bauern und Bäuerinnen in den abgelegenen Gebieten haben keine Geburtsurkunde. Ohne Identifikation gibt es keine Aufnahme in das Wahlregister.
Zwar werden die künftigen WählerInnen damit geködert, dass sie den Wahlausweis später auch als Ausweis gegenüber Behörden benutzen können. Wann sie die als fälschungssicher angepriesenen Identitätspapiere tatsächlich in den Händen halten können, steht jedoch in den Sternen. Die kleinen Plastikkarten sollen in Mexiko gedruckt werden. Allerdings sind bisher noch keine aus der Druckmaschine gelaufen.

Chancenlose Bewerber

Insgesamt hat der provisorische Wahlrat 43 Parteien für die Parlaments- und Senatswahlen sowie 32 Präsidentschaftskandidaten zugelassen. Den wichtigsten Vertreter und Wunschkandidat von Lavalas hat der CEP allerdings von der Wahl ausgeschlossen. Der Priester Gérard Jean-Juste sitzt derzeit im Gefängnis von Port-au-Prince. Er soll in die Ermordung des Journalisten Jacques Roche im Juli diesen Jahres verwickelt gewesen sein. Da sich Jean-Juste, angeblich ein enger Vertrauter von Aristide, nicht persönlich ins Wahlregister eintragen konnte, wurde seine Kandidatur abgelehnt. Daraufhin reichte Gerald Gilles, ehemaliges Sentsmitglied und ein führender Lavalas-Vertreter, seine Kandidatur ein, die jedoch als verspätet zurück gewiesen wurde.
Jetzt werben Marc Bazin, ein ehemaliger Lavalas-Minister, und der frühere Ministerpräsident des Landes, René Preval, um die Gunst der Anhänger von Fanmi Lavalas. „Egal wie“, meint Gerald Gilles. „Lavalas wird die Wahlen gewinnen und zeigen, dass Aristide und seine Bewegung nach wie vor die Mehrheit im Land besitzen“, ist sich der 38 Jahre alte Mediziner sicher.
Reelle Aussichten im Rennen um die Nachfolge von Boniface Alexandre, dem derzeitigen Aristide-Ersatz in der Präsidentschaft, werden von BeobachterInnen nur wenigen der knapp drei Dutzend BewerberInnen eingeräumt. Evans Paul, der ehemalige Bürgermeister von Port-au-Prince, hat mehrere sozialdemokratische Parteien mit einem neoliberalen Programm zu einer Alliance Démocratique (ALYANS) geschmiedet.
Auch der Chef der maßgeblich am Sturz von Aristide beteiligten Front pour la Reconstruction Nationale (FRN), Guy Philippe, tritt als Kandidat an, eng verbündet mit Personen wie Louis-Jodel Chamblain, dem stellvertretenden Chef der haitianischen Todesschwadronen. Einer der wenigen, dem neben den Lavalas-Kandidaten wirklich Chancen zugebilligt werden, ist Paul Denis von der Organisation du Peuple en Lutte (OPL), die einst mit Aristide verbündet war.

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