Literatur | Nummer 563 – Mai 2021

WAHLVERWANDTSCHAFTEN

Raues Leben, zarte Momente: Camila Sosa Villadas Im Park der prächtigen Schwestern erzählt von trans Prostituierten in Argentinien

Von Isabella A. Caldart

Cover: Suhrkamp

In der Mitte des Romans steht der Schlüsselsatz: „Wir sind da, damit wir geschrieben werden. Damit wir verewigt sind.“ Und genau das macht Camila Sosa Villada. Wir, das sind die trans Prostituierten im Sarmiento-Park im Herzen der argentinischen Stadt Córdoba, von deren Leben die Autorin in Im Park der prächtigen Schwestern erzählt. Es ist ein autobiografischer Roman, denn Camila Sosa Villada, die in Argentinien vor allem als Theater- und Filmschauspielerin bekannt ist, hat selbst als trans Prostituierte in Córdoba gearbeitet. Und so trägt die Ich-Erzählerin auch ihren Namen.

Die Gruppe der prächtigen Schwestern dieses Parks – der Originaltitel des Romans hat übrigens eine andere Perspektive, nämlich die der Gesellschaft: Las Malas, „Die Schlechten“ – wird zusammengehalten von Tía Encarna, der Inkarnierten, der Tante, die das Oberhaupt dieser Wahlfamilie ist. Sie ist nicht nur der Mutterersatz für die „Waisenmädchen“, die trans Prostituierten, sondern auch für einen drei Monate alten Säugling, den sie im Park findet und dem sie den Namen Glanz in den Augen gibt. Von ihnen erzählt die junge Camila, kaum volljährig, und von den vielen anderen Frauen und Freiern, denen sie täglich begegnet.

Und von ihrer eigenen Kindheit: Aufgewachsen in dem „beschissenen Kaff“ Mina Clavero mit einer passiven Mutter und einem brutalen Vater, der seinem femininen Sohn prophezeite, er würde eines Tages tot im Straßengraben landen, floh Camila nach Córdoba, um dort frei zu sein. Doch diese Freiheit ist trügerisch. Die trans Prostituierten leben in den Schatten der Stadt, haben als Sicherheitsnetz nur sich, und auch diese gegenseitige Unterstützung zerfällt schnell.

Im Park der prächtigen Schwestern ist ein rauer Roman, der von Brutalität und Einsamkeit, von Misshandlungen und Schmerz berichtet. Vom eigenen Groll, der, wie Camila erzählt, alles verwandelt, „Erleichterung in Anspannung, Höflichkeit in Grobheit, Offenheit in Heuchelei, Kummer in Zorn“. Doch die Geschichte der Frauen handelt auch von zarter Schönheit, vor allem in der Liebe, die sie für Glanz in den Augen empfinden. Den Festen, die gefeiert werden, der Hoffnung, die immer wieder aufkeimt.

Zudem weiß Camila Sosa Villada um die Tradition, in der sie steht, und webt dezente märchenhafte Elemente in die Geschichte ein, ohne dabei den Magischen Realismus früherer Generationen von lateinamerikanischen Autor*innen zu kopieren. Im Park der prächtigen Schwestern war in Argentinien ein großer Erfolg und wurde 2020 mit dem Premio Sor Juana Inés de la Cruz ausgezeichnet, der jährlich den besten Roman der auf Spanisch schreibenden Schriftstellerinnen prämiert. Gekonnt übersetzt von Svenja Becker entwickelt der Roman auch auf Deutsch seine ungezügelte wie poetische Wucht und Direktheit. Das Leben der prächtigen Schwestern verdient es, aufgeschrieben und verewigt zu werden. Ein Glück, dass Sosa Villada der Forderung ihrer Figur gefolgt ist. Und ein Glück, dass dieser Roman jetzt seinen Weg zum deutschsprachigen Publikum gefunden hat.

Camila Sosa Villada // Im Park der prächtigen Schwestern // Suhrkamp Nova // 14,95 Euro // 220 Seiten // Übersetzung von Svenja Becker

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