Europa | Lateinamerika | Nummer 608 - Februar 2025 | Wirtschaft

WAS LANGE WÄHRT, WIRD TROTZDEM NICHT GUT

EU-Mercosur-Verhandlungen abgeschlossen

Über 25 Jahre lang verhandelte die Europäische Kommission gemeinsam mit den Mercosur-Staaten über ein Handelsabkommen. Im Dezember 2024 verkündeten die Präsidenten Argentiniens, Brasiliens, Paraguays und Uruguays gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Abschluss der Verhandlungen. Dies geschah trotz erheblichen Widerstands. Neben Regierungen von EU-Staaten wie Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Polen wehren sich auf beiden Seiten des Atlantiks hunderte zivilgesellschaftliche Organisationen gegen den Vertrag. Das Abkommen würde mit 780 Millionen Menschen die größte Freihandelszone schaffen, die die EU je initiiert hat. Ludwig Essig analysiert als Koordinator des Netzwerks gerechter Welthandel die Bedeutung für die Umwelt und die Gesellschaften der beteiligten Staaten.

Von Ludwig Essig
Mercosur-Hauptsitz in Montevideo Über 25 Jahre wurde verhandelt (Foto: Hamner_Fotos via Flickr (CC BY 2.0))

Im Jahr 2019, als die Hauptverhandlungen des EU-MERCOSUR-Abkommens beendet wurden, regierte Jair Bolsonaro in Brasilien, und die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes erreichte neue Höchststände. Ein schlechter Zeitpunkt, um das Abkommen den Parlamenten zur Abstimmung vorzulegen. Trotz des Widerstandes von Bäuer*innen, Gewerkschaften, Menschenrechts-, Umwelt- und Indigenenorganisationen sowie wichtigen EU-Staaten startete die EU-Kommission eine Greenwashing-Kampagne, um das Abkommen in ein möglichst grünes Licht zu rücken. Doch schon der Verhandlungsprozess selbst sorgte für erheblichen Unmut. Bis heute hat die EU-Kommission die Grundlage der Gespräche und den verabschiedeten Verhandlungstext nicht vollständig zugänglich gemacht. Viele Erkenntnisse gelangten nur auf anderen Wegen an die Öffentlichkeit.

Nach dem Abschluss der Verhandlungen im Dezember veröffentlichte die EU-Kommission die neu verhandelten Teile des Abkommens. Nach wie vor unveröffentlicht bleiben  die Teile, die die politische Zusammenarbeit definieren. Erste Analysen der Non-Profit-Organisation Veblen Institut zeigen, dass auch die bis Dezember 2024 nachverhandelten Aspekte des Abkommens mehr Probleme als Lösungen schaffen. „Die Klauseln reichen in keiner Weise aus, um die zu erwartenden Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt, die sich aus der Umsetzung des Handelsabkommens ergeben, einzudämmen. Einige der neuen Bestimmungen erweisen sich vielmehr als äußerst nachteilig“, so ein Bericht des Instituts.

EU-Mercosur gegen Umweltschutz-
abkommen

Ein Beispiel ist das Pariser Klimaschutzabkommen, das als „wesentliche Klausel“ in den Vertrag aufgenommen wurde. Auch wenn dies auf den ersten Blick positiv erscheint, bleibt die Umsetzung problematisch. Die Klausel greift nur, wenn ein Land aus dem Pariser Abkommen austritt. Auch dann bleibt unklar, wie genau Sanktionen aussehen würden. Technisch und politisch wäre es nahezu unmöglich, ein einzelnes Land von den Handelsvorteilen auszuschließen.

Einen weiteren Konfliktpunkt stellt die europäische Entwaldungsverordnung (EUDR) dar, die ab dem 30. Dezember 2025 in Kraft treten soll. Sie untersagt den Import von Produkten wie Fleisch, Schokolade oder Palmöl, die von entwaldeten Flächen stammen. Die EUDR wurde demokratisch verhandelt und abgestimmt – im Gegensatz zum EU-Mercosur-Abkommen. Vereinbarungen aus den Nachverhandlungen sind, dass alle Zertifizierungssysteme der Mercosur-Staaten bei der Bewertung von Entwaldung berücksichtigt werden sollen und die Mercosur-Behörden bei der Durchsetzung der EUDR intervenieren können. Außerdem sollen die Mercosur-Staaten bei der Länderrisikoklassifizierung „wohlwollend” berücksichtigt werden und die EU Umweltmaßnahmen vermeiden, die den internationalen Handel beeinträchtigen könnte. Diese Punkte widersprechen der EUDR im Kern und hindern eine konsequente Durchsetzung.

Besonders kritisch ist der sogenannte Ausgleichsmechanismus. Dieses Instrument erlaubt den Vertragspartnern, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn neue Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt die Handelskonzessionen beeinträchtigen. Dadurch könnte verhindert werden, dass zukünftig strengere Umwelt- und Sozialstandards beschlossen werden.

Vorschub für Umweltzerstörung und Ungleichheit

Das EU-Mercosur-Abkommen steht exemplarisch für eine Handelspolitik, die kurzfristige wirtschaftliche Interessen über die langfristige Bewahrung unseres Planeten stellt. Die Rechte Indigener Gemeinschaften, die bereits jetzt unter Landraub und Gewalt leiden, werden durch das Abkommen weiter ausgehöhlt. Gleichzeitig werden Instrumente wie die EUDR massiv geschwächt, während die Abholzung des Amazonas weiter voranschreitet. Das Abkommen leistet damit nicht nur Vorschub für Umweltzerstörung, sondern auch für soziale Ungleichheit.

Die Zivilgesellschaften in Lateinamerika und Europa stehen bislang vereint solidarisch gegen diesen Angriff auf Mensch und Natur ein. Nach dem Abschluss der Verhandlungen folgt nun das sogenannte „Legal Scrubbing“ – der juristische Feinschliff des Abkommens. Anschließend wird der Vertragstext in alle Amtssprachen der beteiligten Staaten übersetzt. Der erste Schritt der Ratifizierung ist die Unterzeichnung durch den Rat der Europäischen Union (Ministerrat), wofür eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Danach entscheidet das Europäische Parlament über seine Zustimmung zum Vertrag. Die EU-Kommission strebt an, diesen Prozess im Juni dieses Jahres zu starten. Das Ziel ist ehrgeizig, aber nicht unrealistisch – wäre da nicht der Widerstand der organisierten Zivilgesellschaft und mehrerer EU-Mitgliedstaaten. Denn bleiben Staaten wie Frankreich, Österreich und die Niederlande bei ihrem „Nein“ und gewinnen weitere verbündete Mitgliedsstaaten, könnten sie das Abkommen durch eine Sperrminorität im Ministerrat blockieren. Ziel von zivilgesellschaftlichen Bündnissen und Partnern in den Mercosur-Ländern ist es, den Druck aufrechtzuerhalten und möglichst viele Staaten und Abgeordnete dazu zu bringen, ihre Stimme gegen das Abkommen zu erheben. Denn dieses gefährdet nachhaltige Landwirtschaft, Natur- und Klimaschutz, Menschenrechte sowie Verbraucher*innen gleichermaßen.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren