Nummer 361/362 - Juli/August 2004 | Öffentliche Güter

Wasser – Das Gold des 21. Jahrhunderts

Lateinamerika zwischen dem Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und den Privatisierungszwängen durch Industriestaaten, IWF, WTO und Weltbank

Die lebenswichtige Ressource, die so selbstverständlich aus unseren Wasserhähnen fließt, wird durch Umweltzerstörung, Verschmutzung und übermäßigen Verbrauch zunehmend knapper. Dass auf internationaler Ebene die Besorgnis darüber wächst, zeigen Aktionen wie das von der UNO ausgerufene Internationale Jahr des Süßwassers (2003) und das seit 1997 im Drei-Jahres-Rhythmus abgehaltene Weltwasserforum. Aber nicht nur die UNO und diverse Nicht-Regierungsorganisationen interessieren sich für “das blaue Gold”.

Pauline Bachmann

Spätestens seit dem “Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung” im September 2002, auf dem die globale Wasserkrise eine wichtige Rolle gespielt hat, ist die Wasserversorgung endgültig auch in den Fokus multinationaler Konzerne gerückt. Seit Anfang der Neunziger Jahre setzen viele Regierungen und auch die multi– und bilaterale Entwicklungszusammenarbeit auf die Beteiligung der Privatwirtschaft im Wassersektor.
In Lateinamerika befindet sich im Amazonasgebiet der größte Süßwasserspeicher der Welt. Dennoch haben große Teile der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die rasende Geschwindigkeit der Verstädterung hinterlässt oft Elendsviertel gänzlich ohne Anschluss an die örtlichen Wasserver- und -entsorgungssysteme, doch das soll in Zukunft durch private Unternehmen verändert werden. Kritiker befürchten allerdings, dass die Versorgung mit dem Lebenselixier Profitinteressen untergeordnet wird, was zu negativen Folgen führen kann.

Bilaterale Investitionsabkommen
Europa ist als Standort der weltgrößten Wasserkonzerne eine der treibenden Kräfte in der Liberalisierung des Wassersektors in anderen Ländern. Im Rahmen der neuen GATS-Runde forderte die EU von 72 Ländern (darunter fast ganz Lateinamerika) eine Marktöffnung in diesem Bereich. Zwar ist das Befolgen der GATS-Richtlinien zur Liberalisierung jedem Staat selbst überlassen, aber gerade die Entwicklungsländer stehen unter extremem Druck der Industriestaaten, auf deren Kredite sie angewiesen sind. Auch die einflussreichsten internationalen Organisationen wie WTO, IWF und Weltbank nutzten ihre Machtposition aus und machen Kredite häufig von Liberalisierungsbemühungen abhängig. Die Staaten, die einer Aufforderung zur Liberalisierung der Wasserversorgung nachkommen, sehen sich schließlich mit neuen Problemen konfrontiert.
In Argentinien etwa, wurde zwischen 1991 und 1999 ein Drittel der einheimischen Trinkwasserversorgung privatisiert. Die größte Übernahme war der Erwerb von Obras Sanitarias de la Nación durch das Unternehmen Aguas Argentinas, an welchem unter anderem die französische Suez-Lyonnaise des Eaux zu 39,93 Prozent, Aguas de Barcelona zu 25,01 Prozent sowie die französische Vivendi zu 7,55 Prozent und die britische Anglian Water zu 4,25 Prozent beteiligt sind. Die Privatisierung zog Arbeitsplatzverluste durch Entlassungen nach sich. Aguas Argentinas hatte 1993 versprochen, vier Milliarden US-Dollar in Aufbau und Modernisierung des Wasserversorgungsnetzes zu investieren, und hatte dafür im Gegenzug 47 Prozent der Belegschaft entlassen.
Im Zuge der argentinischen Finanzkrise von 2001/2002 erfuhr der argentinische Peso durch das “Gesetz 25.561” eine Abwertung, so dass die Gewinne des Unternehmens nicht mehr in Parität zum Dollar konvertiert wurden. Dieser Umstand reichte aus, um die französische Mutterfirma der Aguas Argentinas, die SuezLyonnaise, zum Einreichen einer Klage beim International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) auf Basis des französisch-argentinischen bilateralen Investitionsabkommens zu bewegen. Auch die französische Vivendi hat wegen des Falls ihres Tochterunternehmens Compania de Aguas del Aconquija S.A. aus der Region Tucuman Klage gegen die argentinische Regierung erhoben.

Paradebeispiel Cochabamba
Ähnlich endete der Versuch, das Trinkwasser in Cochabamba in Bolivien in die Hände privater Investoren zu legen. Nachdem das Wasserver- und Abwasserendsorgungssystem dieser Stadt 2000 in den Besitz des Unternehmens Aguas del Tunari übergegangen war, das wiederum zum Teil dem International Water Limited in London gehört, ebenfalls eine Tochterfirma von Bechtel Enterprises Inc., San Francisco, kam es in nur wenigen Wochen zu Preiserhöhungen um bis zu 200 Prozent. Darauf folgten massive Proteste der Bevölkerung, die im Verhängen eines Ausnahmezustands der Regierung gipfelten und zahlreiche Verletzte, sowie einen Toten forderten. Doch die Proteste blieben trotz starker Repression seitens der Regierung nicht wirkungslos. Aguas del Tunari sah sich schließlich gezwungen, das Projekt fallen zu lassen. Cochabamba wird seitdem gerne von Liberalisierungskritikern als Paradebeispiel im Kampf gegen die Privatisierung herangezogen. In Bolivien verhallte die Freude über die gewonnene Schlacht allerdings recht schnell wieder, als Bechtel im November 2000 den Bolivianischen Staat beim ICSID auf 25 Millionen US-Dollar Schadensersatz verklagte und sich dabei auf das bilaterale Investitionsabkommen zwischen Niederlande und Bolivien berief. (Obwohl Bechtel eigentlich ein US-dominiertes Unternehmen ist, hatte es erst kürzlich eine Residenz in den Niederlanden geschaffen, um von dem Abkommen Gebrauch machen zu können).
Klagen privater Unternehmen vor dem ICSID gegen Staaten auf der Basis von bilateralen Investitionsabkommen haben sich in den letzten vier Jahren stark gehäuft. Dabei handelt es sich ausschließlich um Klagen privater Investoren, die aus dem Vertragsausland kommen, denn inländischen Anbietern steht dieser Rechts-weg nicht offen.

Die Europäische Position
Eine Sonderrolle auf diesem Gebiet nimmt Brasilien ein, denn der brasilianische Kongress hat bisher noch keines der ihm vorliegenden Investitionsabkommen ratifiziert. Doch die Europäische Kommission hat im Rahmen von GATS2000 auch an Brasilien weitreichende Liberalisierungsforderungen gestellt. Allerdings setzen sie diesmal an anderer Stelle an: Die Europäische Kommission will die Beschneidung vieler Rechte der brasilianischen Zentralbank bei der Kontrolle und Verfahrensvorgabe für den grenzüberschreitenden Kapital- und Devisenverkehr durchsetzen. Sollte es dann zu einer Finanzkrise kommen, gibt es keine Eingriffsmöglichkeiten der brasilianischen Regierung mehr, die sich auf die Verfassung berufen, in der die Privatisierung des Trinkwassers als ausgeschlossen festgeschrieben ist. Bisher konnte über diesen Weg noch durch kurzfristige Steuerungsmöglichkeiten Einfluss genommen werden.
Ganz im Sinne der europäischen Wassermultis, fordert die Europäische Kommission eine Ausweitung des Angebots der vier MERCOSUR Staaten im Bereich “Environmental Services”, der auch die Trinkwasserversorgung beinhaltet. Umfassende Regelungen bei Investitionen sollen die Wasserversorgung dann vollständig der Marktlogik unterwerfen. Sollte sich die Europäische Kommission in den kommenden Verhandlungen durchsetzen und die Liberalisierung der Marktzugänge und vor allem das Prinzip der Inländergleichbehandlung für ausländische Investoren für die MERCOSUR Staaten verbindlich festschreiben, wären staatlich auferlegte Preisobergrenzen für Trinkwasser durch international gültigen Vertrag verboten. Sollte dann eine akute Finanzkrise wie in Argentinien im Jahr 2001/2002 auf eines dieser Länder zukommen, ist nicht auszudenken, wie verheerend die Folgen sein würden.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren