Dossier 21 - Das Gleiche in Grün | Kolumbien

Wayuu im Spannungsfeld

Eher Extraktivismus als gerechte Energiewende in La Guajira

Kolumbien gewinnt bereits mehr als die Hälfte seiner Energie aus kohlenstoffarmen Prozessen. Das Land bietet großes Potenzial, seinen Energiemix weiter mit erneuerbaren und kohlenstoffarmen Quellen auszubauen. Die Konflikte im Rahmen des Ausbaus der erneuerbaren Energie in La Guajira zeigen jedoch, dass Theorie und Praxis der von der Regierung Petro angestrebten gerechten Energiewende noch weit auseinanderliegen. Insbesondere kommt der Dialog mit betroffenen Indigenen Gemeinschaften zu kurz.

Von Levke Hintz, La Guajira
Schnell in die Wüste gebaut Energieprojekte berücksichtigen Wayuu nur unzureichend (Foto: Luis Alveart via Flickr (CC BY-NC-ND 2.0))

Die Regierung von Präsident Gustavo Petro in Kolumbien legt einen besonderen Fokus auf die Herausforderungen der Energiewende des Landes. Doch zwei Jahre nachdem sie den „Fahrplan für eine gerechte Energiewende“ vorgestellt hat, bleiben Konflikte um die Energiewende ungelöst, insbesondere in La Guajira, ein Departamento im Norden des Landes. „Dieser ganze Prozess wird hinter dem Rücken der Wayuu-Gemeinschaft durchgeführt. Für uns stellt die Energiewende eine humanitäre Bedrohung dar. Und wo es zu Zerstörung kommt, gibt es keine Gerechtigkeit“, meint Enrique Cohen, ein palabrero, der in der Wayuu-Kultur als Streitschlichter und Vermittler agiert.

Speziell La Guajira und die windreiche Küste, an der hauptsächlich Wayuu leben, ist vielversprechend für die Gewinnung von Energie aus Windkraft und Solarenergie, um den Energiemix des Landes zu erweitern. Um eine gerechte Energiewende zu fördern, möchte das Ministerium für Energie und Minen im ganzen Land comunidades energéticas, sogenannte Energiegemeinschaften, etablieren. Dabei sollen Indigene und ländliche Gemeinschaften, die noch nicht an das zentrale Stromnetz angeschlossen sind, mit dezentralen Solarsystemen ausgestattet werden. Ziel der Regierung ist es, die Beteiligung von Gemeinschaften an der Energiewende zu stärken und ihnen die Möglichkeit zu geben, elektrische Energie mit eigenen Anlagen nachhaltig zu erzeugen und zu betreiben. Dahinter steht das Ziel einer Demokratisierung der Energiewende. Als Teil des Programms sollen Fortbildungen den Gemein­schaften das notwendige Wissen vermitteln, um die Solaranlagen selbst zu verwalten. Langfristig sollen die Gemeinschaften in der Lage sein, die Wartung der Anlagen durch die Produktion und den Verkauf von Strom oder anderen Gütern selbst zu finanzieren.

Die Region La Guajira wurde für die comunidades energéticas als Schwerpunkt ausgesucht. Dort entstehen momentan 156 Energiegemeinschaften. Dieser Schwerpunkt ergibt sich daraus, dass derzeit rund 70 Prozent der Haushalte des Departamentos in Energiearmut leben, sie haben nur sehr geringen oder gar keinen Zugang zu Elektrizität. Dies soll sich mit der neuen Initiative ändern, wobei die aktive Partizipation der Gemeinschaften im Vordergrund steht.

Trotz des positiven Ansatzes gibt es in der Umsetzung erhebliche Schwierigkeiten. So mussten durch die Veränderung von Gesetzen und Vorgaben erst die Voraussetzungen geschaffen werden, dass kleine Gemeinden ihren eigenen Strom nicht nur nutzen, sondern auch an Dritte verkaufen dürfen. Technisch ist das vom Ministerium installierte Solaranlagenmodul, welches auch michi kai´i genannt wird, dafür geschaffen, wenige nah umstehende Häuser mit Energie zu versorgen. Die Häuser der Wayuu stehen jedoch häufig zu weit auseinander für die Maßstäbe, die das Modul vorsieht. Daher steht der Vorwurf im Raum, dass die Voraussetzungen des Programms der Energiegemeinden getroffen wurden, „ohne die wirkliche Situation der Wayuu zu berücksichtigen. Denn die Wohnverhältnisse der Wayuu sind dafür nicht geeignet“, meint Enrique Cohen.

Cohen spricht nicht nur über die kulturell geprägte Lebensweise, sondern auch über finanzielle Hürden: „Nicht jeder wird davon profitieren und hat die gleichen Voraussetzungen, um das Programm zu erhalten. Denn sicherlich muss jede Gemeinde mindestens die grundlegenden Bedingungen erfüllen, damit Solaranlagen überhaupt gebaut werden können. “La Guajira ist eines der ärmsten Departamentos Kolumbiens und hat die höchste Kindersterblichkeit im Land. Dabei wird hier seit Jahrzehnten einer der größten Kohletagebaue betrieben. Doch die versprochene Entwicklung der Region durch die Kohlemine El Cerrejón ist ausgeblieben; zurück bleiben vor allem ausgetrocknete Wasserquellen und zerstörtes Land.

Diese negativen Erfahrungen haben bei vielen Wayuu eine skeptische Haltung gegenüber dem Ausbau von Megaprojekten in ihrem Territorium hinterlassen. Neben dem Programm der comunidades energéticas gibt es in der Region auch groß angelegte Windkraftprojekte von verschiedenen internationalen Energieunternehmen. Dreizehn Unternehmen haben die Erlaubnis erhalten, Windmessungen in der Region durchzuführen, 57 Windparks sind in Planung. Die Projekte haben tiefgreifende Auswirkungen auf das Gebiet der Wayuu und führen zu Konflikten – sowohl zwischen den internationalen Unternehmen, der kolumbianischen Regierung und den Wayuu als auch innerhalb der Indigenen Gemeinschaften und ihren Familien.

Ein zentraler Kritikpunkt ist die unzureichende Durchführung der vorherigen Befragung der Wayuu-Gemeinschaften bei der Projektplanung. Bereits 2022 äußerten diese Kritik in den Dialogen für den „Fahrplan für eine gerechte Energiewende“ mit dem Ministerium. Im Protokoll für vorherige Befragungen, das von mehreren Wayuu-^Autoritäten geschrieben wurde, heißt es: „Diese Gebiete werden von Windenergieprojekten belagert und bedroht. Eine Reihe von administrativen Maßnahmen und Entscheidungen werden von den Regierungen und Unternehmen getroffen – ohne echte Beteiligung und die vorherige Befragung unserer Gemeinschaften.“

Planungen lassen die Verhältnisse vor Ort außer Acht

Zwar sind solche vorherigen Befragungen gesetzlich vorgeschrieben, doch wurden sie bisher nur unter unzureichender Berücksichtigung der lokalen Normen und Kultur durchgeführt. So kommt es wegen unzulässiger Vereinbarungen zu internen Konflikten innerhalb einiger Wayuu-Gemeinschaften. Denn diese unterscheiden in den Gemeinden zwischen zwei Autoritäten: den autoridades tradicionales und den autoridades ancestrales, traditionellen und angestammten Autoritäten. Wird dieser Unterschied nicht wahrgenommen und berücksichtigt, kommt es zu Konflikten um das Territorium. Außerdem existieren häufig keine formalen Landtitel, da das Land traditionell gemeinschaftlich verwaltet wird. Die Energieunternehmen brauchen jedoch für ihre Verhandlungen Entscheidungsträger*innen und Eigentümer*innen. Dadurch entstehen Konflikte um Eigentumsrechte und die Legitimität der Entscheidungs­befugnis der einzelnen Wayuu.

Im Zusammenhang mit diesem Konfliktpotential ist der Faktor Zeit entscheidend. „Was sie fordern, ist: Zeit, um sich auf eine traditionelle Weise zu organisieren”, sagte Joanna Barney, Generaldirektorin der Organisation INDEPAZ und Expertin für die Themen Umwelt, Energie und Gemeinden in La Guajira, während der Online-Dialogrunde von INDEPAZ und Aktion Guajira. Mit mehr Zeit könnte man sich informieren und organisieren, um die traditionellen Rechte der Wayuu geltend zu machen.

Die Forderung der Wayuu nach mehr Zeit steht dem Druck, den die Energiewende aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen ausübt, gegenüber. So wollen internationale Akteure, auch Deutschland, etwa die Produktion von grünem Wasserstoff schnell vorantreiben, um Energiesouveränität zu erreichen und sich von fossilen Energiequellen unabhängig zu machen. Dabei steht auch La Guajira im Fokus: Die Region könne „Wasserstoff-Hauptstadt Südamerikas“ werden, so Kolumbiens Präsident Petro im Mai 2024. Schnell vorangetriebene Vorhaben gehen jedoch zu Lasten der Bevölkerung, die wenig bis gar nicht von den Gewinnen profitiert. Beispielsweise ist die Energieversorgung aus den Windkraftanlagen für die Wayuu selbst bisher nicht vorgesehen.

Für eine faire Beteiligung der Wayuu könnten staatliche Regulierungen, eine gleichberechtigte Teilhabe an den Erträgen oder ein Mitbestimmungsrecht in den Projekten sorgen.

Die Energiewende in La Guajira ist von diesem Spannungsfeld geprägt: Auf der einen Seite stehen die Interessen der internationalen Investor*innen und der kolumbianischen Regierung, die auf eine schnelle und großflächige Umstellung auf erneuerbare Energien drängen. Auf der anderen Seite stehen die Rechte der Wayuu, deren Territorium und Lebensweise durch diese Projekte gefährdet werden.
Eine nachhaltige Lösung erfordert, dass Indigene Rechte und territoriale Integrität im Mittelpunkt der Energiepolitik stehen – nicht nur am Rande der Diskussionen oder in einzelnen Projekten. Nur so kann eine transición energética justa erreicht werden.

Levke Hintz ist Masterstudentin in Lateinamerikastudien und blickt im Austausch mit lokalen Gemeinden in Lateinamerika auf die vielfältigen Fragen und Herausforderungen des Klimawandels und der Energiewende.

LA ENERGÍA DE LOS PUEBLOS

DOKUMENTARFILM ÜBER ENERGIEGEMEINSCHAFTEN IN LATEINAMERIKA

Der Dokumentarfilm La energía de los pueblos (dt. Die Energie der Völker) begleitet drei Gemeinschaften in Mexiko und Guatemala auf ihrem Weg zur Energiesouveränität und -autonomie. Sie verstehen Energie als Gemeingut und Recht für alle und setzen sich für gerechte sowie nachhaltige Energiemodelle ein. Angesichts von Megaprojekten, die ihre Territorien und ihre Lebensweisen bedrohen, haben die Gemeinschaften beschlossen, ihre eigene Energie zu produzieren, um für ein Leben in Würde zu kämpfen. Der Dokumentarfilm nimmt die Zuschauer*innen mit in das Dorf Unión 31 de Mayo in Guatemala, zur Organización Popular Francisco Villa de Izquierda Independiente in der Peripherie von Mexiko-Stadt und zu den indigenen Kooperativen in der Sierra Norte von Puebla. Es sind Erfahrungen, die darauf basieren, dass Gemeinden Protagonist*innen ihrer eigenen Energiegewinnung werden. Die Bewohner*innen entscheiden, wie die Energie erzeugt und genutzt werden soll. Gleichzeitig beteiligen sie sich beim Aufbau, bei der Verwaltung und der Wartung von autonomen Solarpanelen und Wasserkraft-Kleinturbinen. So entstehen Energienetze, die nicht von großen Unternehmen abhängen, sondern den Bedürfnissen der Gemeinschaften entsprechen. Gleichzeitig schafft dies Arbeitsplätze innerhalb der Gemeinden und gibt neue Lebensperspektiven, die eine Alternative zur Migration bieten, wie etwa das Beispiel aus der Sierra Norte zeigt. Energiesouveränität und -autonomie bedeutet weit mehr, als den Zugang zu Elektrizität zu sichern. Der Dokumentarfilm wurde von Sandía Digital, einer feministischen Organisation für kollaborative audiovisuelle Produktion, realisiert und ist unter folgendem Link verfügbar: https://www.laenergiadelospueblos.com/el-documental

// Tininiska Zanger Montoya


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