El Salvador | Nummer 200 - Februar 1991

Wechselnde Konjunkturen im “Vormärz”

Wenige Wochen bleiben bis zu den Parlaments- und Kommunalwahlen am 10. März. Die Hoffnung breitester Kreise in El Salvador, daß der Verhandlungspro­zeß zwischen Regierung und der FMLN bis dahin zu substantiellen Ergebnissen geführt haben würde, ist enttäuscht worden.

LN

Erst Reformen – dann Waffenstillstand

Zur Erinnerung: Im April 1990 vereinbarten die beiden Konfliktparteien in Genf, politische Reformen in den Bereichen Armee, Menschenrechte, Verfassungs-, Justiz- und Wahlsystem sowie Veränderungen der sozialen und ökonomischen Lage zu beschließen. Dabei sollte der UNO-Generalsekretär bzw. sein Vertrauter Alvaro de Soto eine “sehr aktive Rolle” spielen. Neu in der Kette der erfolglosen Verhandlungsrunden seit 1984 war auch die Übereinkunft, daß die oppositio­nellen Parteien und Organisationen sich an dem Verhandlungsprozeß beteiligen sollten. Erst nach diesen Übereinkünften – so die Vereinbarung von Genf – könne es zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand und die Integration der FMLN in das legale politische Leben des Landes kommen. Diese Reihenfolge wird von de Soto in einem Beitrag für die Wall Street Journal vom 11. Januar besonders unterstrichen: “Selbstverständlich ist ein Waffenstillstand vor der Verabschie­dung tiefgreifender Veränderungen wenig wahrscheinlich.”
Schon nach den ersten Zusammenkünften wurde deutlich, daß die Militärs und die Regierung nicht die geringste Bereitschaft zeigten, in dem zentralen Punkt der Säuberung der Armee einzulenken. Im Oktober, als nicht mehr zu verheimli­chen war, daß die Ermittlungen gegen die Verantwortlichen und Hintermänner des Mordes an den Jesuiten im Sande verlaufen würden, verkündete die US-Regierung die Kürzung der Militärhilfe um 50% auf 42,5 Mio US-$. Einen Monat später lancierte die FMLN eine begrenzte militärische Offensive, in der sie sich auf militärische Ziele in wenig besiedelten Regionen konzentrierte um zu ver­hindern, daß die Armee die Zivilbevölkerung als Faustpfand benutzt, wie sie es mit den Bombardierungen von San Salvador im November 1989 getan hatte. Dabei setzte die FMLN erstmals Boden-Luft-Raketen ein, die die absolute Luft­hoheit der Armee empfindlich einschränkten. Ziel der FMLN-Aktivitäten ein Jahr nach den Jesuitenmorden war die Bestrafung der Militärs und ein verstärkter Druck zugunsten eines Verhandlungsfortschrittes noch vor den Wahlen. Das dahinter stehende Kalkül war durchaus plausibel: Immerhin hatte die 1989er Offensive den Weg für die Verhandlungen unter UNO-Aufsicht geebnet.

Teilnehmen oder nicht?

Die Verknüpfung der Verhandlungen mit den Märzwahlen tritt seit Monaten immer stärker in den Vordergrund. In der Frage Teilnahme der Opposition oder nicht scheiden sich jedoch die Geister (Vgl. LN 198). Die KP-nahe Oppositions­partei UDN kündigte bereits ihre Wahlteilnahme an, während verschiedene Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbände betonen, daß die Wahlen in der aktuellen Situation keinerlei friedensstiftende Funktion haben könnten. Auf der anderen Seite geben einzelne Funktionäre des von den Christdemokraten (PDC) gegründeten Gewerkschaftsverbandes UNOC und einer weiteren ArbeiterInnen­vertretung (CTS) bekannt, daß sie auf der Liste der PDC kandidieren werden, was die Zusammenarbeit mit der Mehrheit der Gewerkschaften gefährdet. Diese befürchten wie die FMLN, daß die bescheidenen Reformen des Wahlrechtes (z.B. Erhöhung der Parlamentssitze von 60 auf 84, verstärkte WählerInnenregistrie­rung, begrenzte Wahlpropaganda) kaum ausreichen werden, um das Klima des Terrors zu beseitigen. Darüber hinaus ist auch kaum zu erwarten, daß die Regie­rungspartei ARENA sich an all die Vereinbarungen halten wird. So beklagten die wichtigsten Oppositionsparteien (PDC, UDN und das linke Wahlbündnis Con­vergencia Democrática – CD -) bereits Anfang Januar den vereinbarungswidrigen frühen Beginn der Wahlkampagne durch ARENA.
Um wählen zu können, müssen die Wahlberechtigten im Wahlregister stehen. Wer registriert ist, kann einen Wahlausweis beantragen, der erst die Stimmab­gabe ermöglicht. Gemeinsam mit ARENA ist beschlossen worden, daß alle, die lediglich im Wahlregister stehen, wählen können, wenn die Differenz dieser Gruppe zu jenen, die bereits über einen Wahlausweis verfügen, am 17. Februar mehr als 10% ausmacht. Ob sich die Regierungspartei am 17. Februar noch an diese Vereinbarung erinnern möchte, darf ebenfalls bezweifelt werden. Mögli­cherweise ist der Bruch dieser Übereinkunft die letzte Klippe, an der die Opposi­tion (gemeinsam oder einzelne Parteien?) aus dem Wahlprozeß aussteigen kön­nen, um diesem Urnengang insgesamt seine Legitimation zu entziehen.
Mittlerweile haben PDC und CD (am 19. Januar) in einer gemeinsamen Erklä­rung verbreiten lassen, daß die Auflösung aller paramilitärischen Gruppen die Mindestbedingung für ihre Teilnahme an den Wahlen sei. Ob diese – unter den gegebenen Bedingungen – unrealistische Forderung einen Ausstieg dieser Par­teien vorbereiten soll, darf allerdings angesichts der wankelmütigen PDC in Frage gestellt werden. Mit wachsender Spannung wird darauf gewartet, daß die FMLN ihre Position zu den Wahlen definiert.

Wechselwirkungen

Das Problem liegt auf der Hand: Aller Voraussicht nach werden die Wahlen stattfinden. Sie werden keinesfalls frei und gleich und vermutlich noch nicht einmal geheim sein (Vgl. LN 191). Dennoch wird der Ausgang der Wahlen erhebliche Rückwirkung auf den Verhandlungsprozeß haben, wenn die Opposi­tionsparteien teilnehmen und damit grundsätzlich ihr Einverständnis dokumen­tieren. Gewinnt ARENA, wird sie mit einem Hinweis auf das Wahlergebnis wei­terhin Verhandlungsfortschritte torpedieren. Gewinnt trotz aller Behinderungen und Einschüchterungen die Opposition in der einen oder anderen Konstellation, könnte eine neue und durchaus vielversprechende Dynamik in diesem Prozeß entstehen.
In diese außerordentlich schwierige Situation fielen nun im Januar einige bemer­kenswerte Ereignisse:
– Mit dem nicaraguanischen Raketendeal, der nur durch die offene Kollaboration der Sowjetunion mit den USA an die Öffentlichkeit geraten konnte, bekommen die USA das erste Mal den langersehnten Beweis, daß nicaraguanische Stellen (Einzelpersonen?) die FMLN mit Waffen versorgten.
– Am 2. Januar schoß eine FMLN-Einheit einen Hubschrauber ab, in dem sich drei US-Militärberater befanden. Wie die FMLN inzwischen zugab, überlebten zwei von ihnen den Absturz; sie wurden später im Widerspruch zu den Genfer Konventionen zur Behandlung von Kriegsgefangenen getötet.
– Baker und Schewardnadse gaben eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie – eindeutig gegen den Geist der vereinbarten Verhandlungslogik – einen Waffen­stillstand noch vor den Wahlen fordern.
Die Ereignisse wurden weidlich ausgeschlachtet, um die FMLN als politische Kraft zu marginalisieren. Natürlich fragt niemand, was die US-Berater im Hub­schrauber taten; natürlich schweigen die USA zu den Folterungen an FMLN-Angehörigen in den salvadorianischen Kerkern, niemand erinnert sich mehr an die Aussagen ehemaliger Angehöriger der salvadorianischen Sicherheitskräfte, nach denen US-Militärberater bei Folterungen zugegen waren, diese sogar ange­ordnet und geleitet haben. Die Zeichen stehen auf Sturm; Schadensbegrenzung ist angesagt. Die FMLN hat bereits ein unabhängiges Gerichtsverfahren ange­kündigt, in dem mit großer Wahrscheinlichkeit die zwei mutmaßlichen Mörder der Militärberater verurteilt werden. Diese schnelle Reaktion wird von vielen Seiten positiv aufgenommen, zumal am 9. Januar zwei Staatsanwälte, die mit dem Fall der Jesuiten befaßt waren, zurückgetreten sind. Sie begründeten ihren Schritt mit der Unmöglichkeit, die Ermittlungen gegen den Widerstand des Generalstabes zu führen. Nur die Militärs besäßen den Schlüssel zur Enthüllung der Hintergründe des Massakers.

Kein “Jesuitenfall der FMLN”

Erzbischof Rivera y Damas und Oppositionspolitiker lobten den Rücktritt der Staatsanwälte als sehr mutig und strichen die Unterschiede bei den Ermittlungen im Fall der Jesuiten und der Militärberater heraus. Mit diesen Äußerungen traten sie auch Vorwürfen entgegen, die FMLN habe nun in ihren eigenen Reihen einen “Jesuitenfall” produziert und damit jede Legitimation verwirkt, Menschenrechts­verletzungen der Armee anzuklagen.

Die Einsamkeit der “Dritten Welt”

Die angekündigte Wiederaufnahme der vollen Militärhilfe durch US-Außenmi­nister Baker aufgrund der obengenannten Vorkommnisse stieß in El Salvador und in Washington auf Protest und Besorgnis. Die Washington Post warnte am 8. Januar davor, kurz vor den Wahlen eine so eindeutige Wahlkampfunterstützung für ARENA zu leisten wie es die Wiederaufnahme der Hilfe wäre. Repräsentan­ten des Gewerkschaftsdachverbandes UNTS und anderer Einzelgewerkschaften betonten, daß die Wiederaufnahme der Militärhilfe lediglich die Jesuitenmörder ermutigen und stärken würde und eine politische Lösung des Konfliktes in weite Ferne rücken würde. Allerdings ist die Entscheidung noch einmal bis nach den Wahlen vertagt worden. Das Signal an die FMLN ist deutlich: “Wenn Ihr die Wahlen boykottiert, wird das Geld wieder zu 100% ausgezahlt werden”. Darüber hinaus wird die FMLN implizit aufgefordert, innerhalb der nächsten 60 Tage einem Waffenstillstand zuzustimmen – unabhängig vom Verlauf der Verhand­lungen. Falls es in dieser Frist zu keinen substantiellen Verhandlungsfortschritten kommt, widerspräche ein Waffenstillstand Geist und Buchstabe des UNO-Ver­handlungsprozesses, den sowohl die USA wie die Sowjetunion vorgeben zu unterstützen.

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