Weltrechtssymbol Cavallo
Mexiko will den argentinischen Ex-Offizier an SpMexiko will den argentinischen Ex-Offizier an Spanien ausliefernanien ausliefern
Unter dem Jubel anwesender argentinischer Menschenrechtsaktivisten folgte das zuständige mexikanische Gericht am 12. Januar dem Antrag des spanischen Untersuchungsrichters Baltasar Garzón und sprach sich für die Auslieferung des argentinischen Ex-Marineoffiziers Miguel Angel Cavallo nach Madrid aus. Zwei Wochen später schloss sich der mexikanische Außenminister Jorge Castaneda der Empfehlung des Gerichts an. Einer Auslieferung Cavallos an Spanien steht damit nur noch die – bereits erfolgte – Einlegung von Rechtsmitteln durch seine Verteidiger entgegen. Diese könnte allerdings das Verfahren noch bis zu anderthalb Jahre in die Länge ziehen.
Ricardo Miguel: angesehener Geschäftsmann …
Der Festnahme Cavallos am 24. August des vergangenen Jahres auf dem Flughafen des mexikanischen Badeortes Cancún war die Enthüllung seiner Identität durch Journalisten der mexikanischen Zeitung Reforma vorausgegangen. Am Tag seines Fluchtversuches nach Argentinien hatte Reforma ein Foto des heute 49-jährigen Ex-Offiziers veröffentlicht. Unter dem falschen Vornamen Ricardo Miguel war Cavallo jahrelang in Mexiko-Stadt als Direktor der Firma Talsud tätig gewesen, die bei der Privatisierung der nationalen Kraftfahrzeugregistrierung den Zuschlag
erhalten hatte. Das Unternehmen widmete sich jedoch offenbar nicht nur der Aufgabe der Fahrzeugregistrierung, sondern war nach neueren Erkenntnissen auch in den organisierten Autodiebstahl verwickelt.
Unter seinem wahren Vornamen Miguel Angel gilt Cavallo als einer der brutalsten Täter der berüchtigten Marineschule ESMA (Escuela de Mecánica de la Armada) in Buenos Aires, wo während der argentinischen Militärdiktatur 4.626 Menschen entführt, missbraucht und umgebracht wurden. Ihm wird vorgeworfen, mindestens 200 Regimegegner gefoltert zu haben und für ihr Verschwinden verantwortlich zu sein, unter ihnen zahlreiche spanische und französische Staatsangehörige. „Ich werde dieses Gesicht niemals vergessen“, erklärte einer der Überlebenden. In den so genannten Arbeitsgruppen der ESMA hat sich Cavallo, der während der Diktatur den Decknamen „Sérpico“ trug, aber vermutlich nicht nur um die Entführung und Folterung „Oppositioneller“ gekümmert, sondern auch um den Verbleib von deren Vermögen. Viele glauben, dass das Kapital zur Gründung seines später so erfolgreichen Unternehmens Talsud aus dieser Art von Raub stammte.
… Miguel Angel: brutaler Folterer
Nach dem Ende der argentinischen Militärdiktatur 1983 war Cavallo in Argentinien der Prozess gemacht worden. 1987 kam er jedoch in den Genuss des Amnestiegesetzes der „obediencia debida“ (pflichtgemäßer Gehorsam). Das unter dem Druck der argentinischen Streitkräfte von Präsident Raúl Alfonsín verabschiedete Gesetz bescheinigte den unteren Rängen der Militärs, auf Befehl gefoltert und gemordet zu haben. Ab diesem Zeitpunkt konnte eine Strafverfolgung Cavallos nur noch außerhalb Argentiniens erfolgen.
Wieder einmal trat der spanische Richter Garzón, der bereits 1996 den Kampf gegen die Straflosigkeit in Argentinien und Chile aufgenommen und 1998 die Festnahme Pinochets in London erwirkt hatte, auf den Plan: im November 1999 erließ er internationalen Haftbefehl gegen Cavallo.
Mit der Entscheidung, Cavallo auszuliefern, sorgt nun die Regierung des neuen mexikanischen Präsidenten Vicente Fox für einen internationalen Präzedenzfall: Cavallo wäre der erste, der wegen Menschenrechtsverbrechen im eigenen Land von einem zweiten Festnahmeland an ein Drittland ausgeliefert wird. Er ist damit auf dem besten Weg, zu einem Symbol für die Anwendung des so genannten Weltrechtsprinzips zu werden, nach dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit von jedem Gericht der Welt verfolgt und abgeurteilt werden können.
Amnesty international sprach entsprechend von einer „klaren Botschaft an andere Kriminelle, die ihrer gerechten Strafe bis jetzt entkommen sind“. Als einen „wichtigen Fortschritt für die Menschenrechte in der Region Lateinamerikas“ bezeichnete José Miguel Vivanco, Vorsitzender von Human Rights Watch Lateinamerika, die historische Entscheidung der mexikanischen Regierung.
Sollte es tatsächlich zur Auslieferung kommen, wäre Cavallo der zweite Fregattenkapitän der ESMA, der in Spanien auf ein Gerichtsverfahren wegen Völkermordes, Folter und Staatsterrorismus wartet. Der andere ist Adolfo Scilingo, jener Offizier, der Mitte der Neunziger Jahre gegenüber einem argentinischen Journalisten gestanden hatte, an den so genannten Todesflügen beteiligt gewesen zu sein. Bei diesen Flügen wurden während des „schmutzigen Krieges“ zwischen 1976 und 1983 mehr als 4.400 Inhaftierte bei lebendigem Leib über dem Rio de la Plata abgeworfen. 1997 hatte er sich freiwillig der spanischen Strafgerichtsbarkeit unterworfen und vor dem Ermittlungsrichter Garzón eine detaillierte Aussage abgegeben. Er bekannte: „Ich glaubte, in einem Krieg zu kämpfen, doch in Wahrheit war es Völkermord. Unsere Methoden waren schlimmer als die der Nazis.“
Ende 1999 leugnete Scilingo jedoch wieder all die Verbrechen, die er bereits gestanden hatte und nahm einen nach seinen Worten „persönlichen Krieg“ mit Garzón auf. Vielleicht ist er also bald nicht mehr allein im Kampf gegen Garzón: Miguel Angel, der argentinische Folterer, und Ricardo Miguel, der mexikanische Geschäftsmann, werden Scilingo im Falle einer Auslieferung zur Seite stehen. Und niemand würde es den drei Herren ernsthaft verübeln, wenn sie dann ihre Sehnsüchte nach der guten alten Zeit der Straflosigkeit in einem spanischen Gefängnis austauschen.