Land und Freiheit | Nummer 347 - Mai 2003

Weltreise einer Sojabohne: Über das Geschäft mit dem Hunger

Premiere der Berliner Compagnie zum Tag der Landlosen

Armin Paasch

Am 15. April fand in Bochum die Premiere des Theaterstücks „Terra! Terra! Eine Sojabohne packt aus“ statt. Das neue Stück der Berliner Compagnie ist eine Komödie über das globalisierte Agrarbusiness, über Großgrundbesitzer und Landlose in Brasilien und eine misshandelte Kuh in Oldenburg. Anlass der Premiere war der internationale Tag der Landlosen, Veranstalter waren der Bahnhof Langendreer und die Menschenrechtsorganisation FIAN. In einem ausverkauftem Haus stieß die Berliner Compagnie auf große Begeisterung.
„Ich habe eine Mission. Ich werde den Hunger in der Welt stillen“ verkündet Sojaja. Die junge, von Selbstzweifeln geplagte Sojabohne glaubt, für ihr Leben endlich einen Sinn gefunden zu haben. „Gedüngt mit der geilsten Chemie, geschützt mit den reinsten Pestiziden und am Ende geerntet mit den schärfsten Maschinen der Welt“, werde sie unzählige Menschen vom Hungertod erretten, hat ihr Mr. Gift von der Global International Food Trust Bank versprochen. Sojaja willigt ein, sich „veredeln“ zu lassen, ihre Heimat und ihren geliebten Schwarzbohnrich aufzugeben und auf Weltreise zu gehen. Auch mit dem verschuldeten Großgrundbesitzer Dom Pedro Alonso Hazienda da Finca schließt Mr. Gift einen Pakt: die KleinbäuerInnen zu vertreiben, Soja in hoch technisierter Monokultur anzubauen und nach Europa zu exportieren. Zu den Vertriebenen gehört auch Schwarzbohnrich.
Anders als erwartet landet Sojaja nicht in einem hungrigen Kindermund, sondern in einem Kuhstall in Oldenburg. Die letzte Stufe ihrer Veredelung führt durch den Magen einer Kuh, die vor ihrer Henkersmahlzeit noch ihr trauriges Dasein fernab jeder grünen Wiese beklagt. Zu einem Steak verarbeitet, gelangt Sojaja in den Supermarkt. Dort wird sie ihrer letzten Illusion beraubt. Durch den jüngsten Lebensmittelskandal aufgeschreckt, lässt der deutsche Kunde sie links liegen. Von dem Gepa-Kaffee im zapatistischen Revoluzzergewand erfährt Sojaja dann, dass LandbesetzerInnen die Fincas von Dom Pedro in Besitz genommen haben. Ihr Anführer ist Schwarzbohnrich. Nach Ablauf ihres Verfallsdatums gelingt es Sojaja, in Gestalt einer Wurst nach Brasilien zurückzukehren: als hochsubventionierter Billigexport. Die Komödie endet mit einem glücklichen Wiedersehen von Schwarzbohnrich und Sojaja. Gemeinsam landen sie in der Pfanne der LandbesetzerInnen und erfüllen endlich ihren Traum: die Bekämpfung des Hungers.

Ein Mythos wird entlarvt

Sojaja geleitet das Publikum durch alle Produktionsstufen einer globalisierten und industrialisierten Landwirtschaft. Entgegen der vermeintlich hehren Mission, die Welt zu ernähren, streben deren Protagonisten vor allem nach größtmöglichem Profit: Der Großgrundbesitzer im Süden wie der multinationale Lebensmittelkonzern im Norden. Auf die Menschenrechte von KleinbäuerInnen nehmen sie ebenso wenig Rücksicht wie auf die Gesundheit von VerbraucherInnen. Ein weiterer Verlierer ist die Umwelt – Artenvielfalt, Boden und Wasser. Der Raubbau an diesen begrenzten Ressourcen gefährdet langfristig das Überleben der gesamten Menschheit, im Süden und im Norden. Witz und große Sachkenntnis verbinden sich in dem Theaterstück zu einer intelligenten bissigen Satire auf das Agrarbusiness. Die These, dass zur Hungerbekämpfung vor allem die Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden müsse, wird als Mythos entlarvt. Er dient der Legitimierung eines unlauteren Geschäfts, das wenigen Profite bringt, vielen aber Hunger und Armut.
Mit „Terra! Terra! Eine Sojabohne packt aus!“ gelingt es der Berliner Compagnie wieder einmal, komplexe Strukturen einer ungerechten Weltordnung aufzudecken, ohne zu pauschalisieren oder gar das Publikum zu ermüden. Die Truppe verzichtet wohltuend auf Moralkeule und erhobenen Zeigefinger: Der Eine-Welt-bewegte Zuschauer kann sich ein selbstironisches Schmunzeln kaum verkneifen, als Schlagworte wie „Neoliberalismus“ und „Klassenkampf“ liebevoll auf die Schippe genommen werden. Im Gewissenskonflikt des kritischen Konsumenten obsiegt die Lust auf das saftige Steak. Nur das abgelaufene Verfallsdatum hält ihn am Ende vom Kauf ab. Auch der tapfere Landbesetzer Capitano hatte zuvor erwogen, hilflose Indigene zu vertreiben und ein Stück Amazonas für seine Familie urbar zu machen. Das Stück überzeugt durch rührende und widersprüchlich gezeichnete Charaktere.

Ansporn zu eigenem Engagement

Stilprägend war bei der Erarbeitung des Stücks nicht zuletzt die Kooperation mit der SAN FRANCISCO MIME TROUPE, „der ältesten und wahrscheinlich besten politischen Theatergruppe überhaupt“, wie es in einem Faltblatt der Berliner Compagnie heißt. Von den KalifornierInnen haben sie vor allem die Techniken der Commedia dell´Arte übernommen. Slapsticks, farbenprächtige Kostüme, venezianische Masken und Songs à la Dreigroschenoper lassen die Komödie rundum zu einem bunten Theatergenuss werden. Stilistische Raffinessen stehen allerdings, wie nicht anders zu erwarten, hinter dem politischen Anspruch des „Aktivierungstheaters“ zurück. Wie Mitautorin Helma Fries betont, wollen die BerlinerInnen vor allem aufrütteln und zum Engagement für Veränderung anspornen. Zu den VeranstalterInnen der Premiere gehörte daher nicht zufällig die Bochumer Lokalgruppe von FIAN, der internationalen Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung. Mit der Kampagne „Brot, Land und Freiheit“ setzt sich FIAN gemeinsam mit dem weltweiten Kleinbauernnetzwerk La Vía Campesina gegen Vertreibungen und für Agrarreformen ein. Die Premiere war ein gelungener Beitrag zu den Protesten und Demonstrationen zum Tag der Landlosen am 17. April.

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