Wem gehört die Moderne?
Zwei kontroverse Berliner Ausstellungen zum Thema Moderne
Wer die Ausstellung im Gropius-Bau in Berlin besucht hat, glaubt anschließend, die moderne Kunst sei nicht nur in der westlichen Welt entstanden sondern auch nur für diese bestimmt. Sämtliche namhaften KünstlerInnen dieses Jahrhunderts sind dort vertreten, vom kubistischen Picasso, über Nolde, Kirchner, Giacometti, Bacon, Duchamp, Ernst, Beuys, Pollock, etc. bis zu zeitgenössischen Künstlern wie Kienholz und Sherman.
Moderne in der Dritten Welt
Auffallend ist, daß KünstlerInnen aus der “Dritten Welt” bis auf wenige Auserwählte, wie Frieda Kahlo, nicht vertreten sind. Gibt es dort also keine moderne Kunst? Simon Njami, afrikanischer Kunstkritiker aus Paris, beantwortet diese Frage spitz mit einem Nietzsche-Zitat: “Gott ist tot, und ich nehme an, er ist auch in Afrika tot.” Alfons Hug, Kurator der Ausstellung im Haus der Kulturen geht sogar davon aus, daß die Moderne der “Dritten Welt” die der “Ersten” längst überholt habe. Nicht nur, daß die Kubisten am Anfang des Jahrhunderts afrikanische Skulpturen zum Vorbild gehabt hätten, auch sei der Kunstmarkt heute in der “Dritten Welt” weitaus größer und populärer als der in Europa und Nordamerika. So hätte manche Kunstausstellung in Asien dreimal soviele Besucher wie die im Vergleich dazu unscheinbare documenta in Kassel. Darüberhinaus seien die größten Metropolen, die immer Angelpunkte der Moderne waren, heute nicht mehr Paris, Mailand oder New York, sondern Mexiko, Sâo Paulo oder Shanghai. Hug macht außerdem darauf aufmerksam, daß es in Brasilien lebende Künstler gäbe, denen ein eigenes Museum gewidmet werde. Und wo findet man so etwas sonst noch in der westlichen Welt?
“Sie sprechen wie ein Stalinist”
Was also hat Christos Joachimedes, den Kurator der Ausstellung im Gropius-Bau dazu bewogen, die Künstler vom Trikont aus seinem Konzept auszuschließen? Um dies zu klären, veranstaltete das Haus der Kulturen der Welt ein Podiumsgespräch “Westkunst oder Weltkunst”. Geladen waren Joachimedes, der erwähnte Njami, Fei Dawei, ein chinesischer Kunstkritiker aus Paris, und Alfons Hug, der Macher der “anderen Modernen”.
Geklärt wurde kaum etwas. Anstatt sich inhaltlich mit dem Projekt der Moderne und der Frage auseinanderzusetzen, warum die Werke der “anderen Modernen” aus den heiligen Hallen des Gropius-Baus verbannt blieben, lieferten sich die beiden “Matadoren” polemische Wortgefechte. Das war zwar recht unterhaltsam, trug jedoch nur wenig zum Verständnis der Bedeutung von Kunst in “Erster” und “Dritter Welt” und in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung bei. Hug ging kaum auf sein eigenes Ausstellungskonzept ein, griff dafür aber das von Joachimedes umso deutlicher an: “Das Perfideste, was man machen kann, ist die Zeit selber, das 20. Jahrhundert, in Anspruch zu nehmen. Genau das tut diese Ausstellung, genauso wie die ehemaligen Kolonialmächte einen Universalanspruch hatten.” Joachimedes reagiert grinsend und gibt selbstbewußt zu bedenken: “Das geht nicht, lieber Herr Hug, sie haben keine Vorstellung von dem Begriff der Moderne, sie benutzen ihn nur, um sich an unsere Ausstellung anzuhängen. Sie argumentieren mit Zahlen und sprechen dabei wirklich wie ein Stalinist. Sie verwechseln Kultur mit Quantität und sind dabei völlig daneben, welches Thema wir diskutieren wollen. Wir wollen über Kunst reden, nicht über Kunstpolitik.” Hug grinst auch, die Stimmung ist gut, das Publikum lacht und klatscht. Simon Njami, der genausowenig wie sein Kollege Fei Dawei Gelegenheit hatte, sich die Ausstellungen anzusehen, aber dennoch da war, um etwas über die Ausstellungskonzepte und über die Moderne überhaupt zu sagen, versuchte Klärung zu bringen. Er wies darauf hin, daß es nicht sinnvoll sein könne, über die unendliche Debatte der Moderne zu reden, sondern, daß man darüber sprechen solle, wer den Kunstmarkt mit welchen Mitteln und welchen Absichten beherrsche. Das ging irgendwie unter und Fei Dawei zuliebe wurde über etwas anderes geredet.
Trotzdem wurden manche Fragen geklärt. Dem Berliner Kunststreit scheint ein banales Mißverständnis zugrunde zu liegen: Für Joachimedes ist die Moderne ein epochaler Begriff, der nur die Künstler miteinschließt, deren Wirkungsgeschichte nachweisbar ist und die es in der ganzen Welt zu Anerkennung gebracht haben. Das Haus der Kulturen hingegen scheint unter ‘Moderne’ ganz einfach globale, zeitgenössische Kunst zu verstehen.
Dennoch ist nicht schlüssig, warum die Ausstellung im Gropius-Bau auch Werke zeitgenössischer Künstler präsentiert – aus Europa und den USA wohlgemerkt – obwohl deren Wirkungsgrad heute genausowenig nachweisbar ist, wie der von Werken aus Afrika, Asien oder Lateinamerika. Dieses eurozentristische Kunstverständnis, gekoppelt mit dem Anspruch, Alleinvertreter der modernen Kunst zu sein, will das Haus der Kulturen der Welt mit seinen 30 Werken aus der “Dritten Welt” dezentrieren. Es geht darum zu zeigen, daß sich Europa und die USA von der Vorstellung alle Maßstäbe für Kunst und Kreativität zu setzen verabschieden müssen und endlich zur Kenntnis zu nehmen haben, daß die Vielfalt und Schlagkraft der Kunst in der “Dritten Welt” ebenso enorm und spannend ist, wie die Kunst der “Ersten”. Daß Künstlern wie N. N. Rimzon, António Ole oder Shirin Nashat ein Forum gegeben wird, ist ohne Zweifel richtig und wichtig. Und auch wenn heute nur gebildete Westler ihre Namen kennen, so sind es doch möglicherweise gerade sie, die für die Kunst der Zukunft maßgebend sein werden.
Den Kuratoren des Gropius-Baus ist zweifelsohne eine großartige Ausstellung der westlich orientierten Kunst dieses Jahrhunderts gelungen. Sie ist ein Muß für jeden, der sich für europäische und nordamerikanische Kultur interessiert. Wer jedoch eine ernsthafte Auseinandersetzung über die Moderne führen will, der muß erkennen, daß “Kunst und Kreativität die bestverteiltesten Rohstoffe der Welt” sind und nicht ethnisch definiert werden dürfen. Die Entscheidung, ob es dem Haus der Kulturen der Welt mit seiner Gegenausstellung gelang, dies mit den Farben und Formen der “anderen Modernen” zu beweisen, muß jedem selbst überlassen bleiben. Sicher ist, daß sie ganz neue, andere, fremde Aspekte der Kunst zeigt, von Spannung und Vielfalt lebt und neugierig macht auf mehr.