Kunst | Nummer 276 - Juni 1997

Wem gehört die Moderne?

Zwei kontroverse Berliner Ausstellungen zum Thema Moderne

Endlich! Es wird sich wieder gestritten, und zwar über Kunst. “Die Epoche der Moderne – Kunst im 20. Jahrhundert” nennt sich eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, die mit 14 Millionen Lotterie-DM hauptsächlich Kunst aus Europa und Nordamerika präsentiert. Das Haus der Kulturen der Welt reagiert empört: “Die anderen Modernen – Zeitgenössische Kunst aus Afrika, Asien und Lateinamerika” zeigt mo­derne Kunst der sogenannten Dritten Welt. Mit 400.000 DM hauseigenem Ausstellungsbudget soll denen ein Forum geboten werden, die von den Kuratoren des Gropius-Baus nicht in den Kanon der modernen Kunst aufgenommen wurden.

Kathleen Newill

Wer die Ausstellung im Gropius-Bau in Berlin besucht hat, glaubt anschließend, die mo­der­ne Kunst sei nicht nur in der west­li­chen Welt entstanden son­dern auch nur für diese be­stimmt. Sämtliche namhaften KünstlerInnen dieses Jahrhun­derts sind dort vertreten, vom kubistischen Picasso, über Nol­de, Kirchner, Giacometti, Bacon, Duchamp, Ernst, Beuys, Pollock, etc. bis zu zeitgenössi­schen Künstlern wie Kienholz und Sherman.

Moderne in der Dritten Welt

Auffallend ist, daß Künstler­In­nen aus der “Dritten Welt” bis auf wenige Auserwählte, wie Frieda Kahlo, nicht vertreten sind. Gibt es dort also keine mo­derne Kunst? Simon Njami, afrikanischer Kunstkriti­ker aus Paris, beant­wortet diese Frage spitz mit ei­nem Nietzsche-Zitat: “Gott ist tot, und ich nehme an, er ist auch in Afrika tot.” Alfons Hug, Kurator der Ausstellung im Haus der Kul­tu­ren geht sogar davon aus, daß die Moderne der “Dritten Welt” die der “Ersten” längst überholt ha­be. Nicht nur, daß die Kubisten am Anfang des Jahrhunderts afri­kanische Skulp­turen zum Vor­bild gehabt hätten, auch sei der Kunstmarkt heute in der “Dritten Welt” weitaus größer und po­pu­lärer als der in Europa und Nord­amerika. So hätte manche Kunst­aus­stellung in Asien drei­mal soviele Be­su­cher wie die im Ver­gleich dazu un­scheinbare do­cu­menta in Kassel. Darüberhinaus seien die größten Metropolen, die immer An­gelpunkte der Mo­derne wa­ren, heute nicht mehr Paris, Mailand oder New York, son­dern Mexiko, Sâo Paulo oder Shanghai. Hug macht außerdem da­rauf auf­merksam, daß es in Brasilien lebende Künstler gäbe, denen ein eigenes Museum ge­wid­met werde. Und wo findet man so etwas sonst noch in der westlichen Welt?

“Sie sprechen wie ein Stalinist”

Was also hat Christos Joachi­me­des, den Kurator der Aus­stel­lung im Gropius-Bau dazu bewo­gen, die Künstler vom Trikont aus sei­nem Konzept aus­zu­schließen? Um dies zu klären, ver­anstaltete das Haus der Kul­tu­ren der Welt ein Podiums­ge­spräch “Westkunst oder Welt­kunst”. Geladen waren Joachi­me­des, der erwähnte Njami, Fei Dawei, ein chinesi­scher Kunst­kritiker aus Paris, und Alfons Hug, der Macher der “anderen Mo­dernen”.
Geklärt wurde kaum etwas. An­statt sich inhaltlich mit dem Pro­jekt der Moderne und der Frage auseinanderzusetzen, wa­rum die Werke der “anderen Mo­dernen” aus den hei­ligen Hallen des Gropius-Baus ver­bannt blie­ben, lieferten sich die beiden “Matadoren” polemische Wort­ge­fech­te. Das war zwar recht unterhaltsam, trug jedoch nur wenig zum Verständnis der Be­deutung von Kunst in “Erster” und “Dritter Welt” und in ihrer ge­genseitigen Wechselwirkung bei. Hug ging kaum auf sein ei­genes Ausstellungskonzept ein, griff dafür aber das von Jo­achimedes umso deutlicher an: “Das Perfideste, was man ma­chen kann, ist die Zeit selber, das 20. Jahrhundert, in Anspruch zu nehmen. Genau das tut diese Ausstellung, genauso wie die ehemaligen Kolonialmächte ei­nen Universalanspruch hatten.” Joachimedes rea­giert grinsend und gibt selbstbewußt zu beden­ken: “Das geht nicht, lieber Herr Hug, sie haben keine Vorstellung von dem Begriff der Moderne, sie benutzen ihn nur, um sich an unsere Ausstellung anzuhängen. Sie ar­gumentieren mit Zahlen und sprechen dabei wirklich wie ein Stalinist. Sie verwechseln Kultur mit Quantität und sind dabei völlig daneben, welches Thema wir diskutieren wollen. Wir wollen über Kunst reden, nicht über Kunstpolitik.” Hug grinst auch, die Stimmung ist gut, das Publikum lacht und klatscht. Simon Njami, der ge­nau­sowenig wie sein Kollege Fei Dawei Gelegenheit hatte, sich die Ausstellungen anzusehen, aber dennoch da war, um etwas über die Ausstellungskonzepte und über die Moderne überhaupt zu sagen, versuchte Klärung zu bringen. Er wies darauf hin, daß es nicht sinnvoll sein könne, über die unendliche Debatte der Mo­der­ne zu reden, sondern, daß man darüber sprechen solle, wer den Kunstmarkt mit welchen Mit­teln und welchen Absichten beherrsche. Das ging irgendwie unter und Fei Dawei zuliebe wurde über et­was anderes gere­det.
Trotzdem wurden manche Fra­gen ge­klärt. Dem Berliner Kunststreit scheint ein banales Miß­ver­ständ­nis zugrunde zu lie­gen: Für Joa­chi­me­des ist die Mo­derne ein epo­chaler Be­griff, der nur die Künstler mit­ein­schließt, de­ren Wir­kungs­ge­schich­te nachweis­bar ist und die es in der ganzen Welt zu An­er­ken­nung gebracht ha­ben. Das Haus der Kul­tu­ren hingegen scheint unter ‘Mo­der­ne’ ganz ein­fach globale, zeit­genössische Kunst zu verste­hen.
Dennoch ist nicht schlüssig, warum die Ausstellung im Gro­pius-Bau auch Werke zeitge­nös­si­scher Künstler präsentiert – aus Europa und den USA wohl­ge­merkt – obwohl deren Wir­kungs­grad heute genausowe­nig nach­weis­bar ist, wie der von Werken aus Afrika, Asien oder La­tein­amerika. Dieses eurozen­tri­sti­sche Kunstverständnis, ge­kop­pelt mit dem Anspruch, Al­lein­vertreter der modernen Kunst zu sein, will das Haus der Kulturen der Welt mit seinen 30 Werken aus der “Dritten Welt” de­zent­rie­ren. Es geht darum zu zeigen, daß sich Europa und die USA von der Vorstellung alle Maß­stäbe für Kunst und Krea­tivität zu setzen verabschie­den müssen und endlich zur Kenntnis zu neh­men haben, daß die Vielfalt und Schlagkraft der Kunst in der “Dritten Welt” ebenso enorm und spannend ist, wie die Kunst der “Ersten”. Daß Künstlern wie N. N. Rimzon, António Ole oder Shirin Nashat ein Forum ge­ge­ben wird, ist ohne Zweifel richtig und wich­tig. Und auch wenn heute nur gebildete Westler ihre Na­men kennen, so sind es doch mög­li­cherweise gerade sie, die für die Kunst der Zukunft maß­gebend sein werden.
Den Kuratoren des Gropius-Baus ist zwei­felsohne eine groß­artige Ausstellung der westlich orientierten Kunst dieses Jahr­hun­derts gelungen. Sie ist ein Muß für jeden, der sich für europäische und nordamerikani­sche Kultur interessiert. Wer je­doch eine ernsthafte Ausei­nan­der­setzung über die Moderne führen will, der muß er­kennen, daß “Kunst und Kreativität die bestverteiltesten Rohstoffe der Welt” sind und nicht ethnisch definiert werden dürfen. Die Ent­scheidung, ob es dem Haus der Kulturen der Welt mit seiner Ge­gen­ausstellung ge­lang, dies mit den Farben und Formen der “anderen Modernen” zu be­wei­sen, muß jedem selbst überlassen bleiben. Sicher ist, daß sie ganz neue, andere, fremde Aspekte der Kunst zeigt, von Spannung und Vielfalt lebt und neugierig macht auf mehr.

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