Kolumbien | Nummer 463 - Januar 2013

Wenn Intimes zur Staatssache wird

Interview über die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs

Als 2006 der Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen in Kolumbien zugelassen wurde, schien dies wie ein großer Schritt in Richtung Selbstbestimmung der Frau. Doch noch immer ist ein Eingriff in die Schwangerschaft ein schwieriges Unterfangen. Zu sehr ist die Gesellschaft von katholischen Vorstellungen geprägt, sodass die Verhinderung einer Geburt in vielen Kreisen einem Mord gleichkommt. Die 21-jährige Deutschkolumbianerin Ana Gomez* musste wie viele andere junge Mädchen den Prozess der illegalen Abtreibung durchleben. Sie berichtete ihre Erfahrungen den LN.

Interview: Antonia Schaefer

Im Oktober sind Sie von Ihrem jährlichen Besuch in Kolumbien zurückgekommen, wie empfanden Sie Ihren Aufenthalt dort?
Es war ein anderes Gefühl dort zu sein. Man hat sich weiter entwickelt, während die Zeit dort stehen geblieben zu sein scheint. Auf der anderen Seite verändert sich die ganze Atmosphäre. Ich komme aus Cali, dort gibt es jetzt ein neues Bussystem, alles scheint voranzugehen, moderner, besser zu werden. Nur die Mentalität, die ist noch immer eingerostet.

Inwiefern?
Die Kirche hat nicht nur einen großen Einfluss auf den Staat, sondern auch auf die Gesellschaft. Sie ist von uralten katholischen Werten geprägt, das ist überall spürbar. Nehmen wir doch gleich die Abtreibung als Beispiel: Ein Mädchen könnte ihrer Familie niemals von einem Schwangerschaftsabbruch erzählen!

Nicht mal den eigenen Eltern?
Nein, Sex ist ein Tabuthema, darüber kann man nicht reden. Die würden sie zwar bei der Geburt eines Kindes unterstützen, würden sie dazu ermuntern das Kind zu bekommen und bei der Erziehung helfen, aber ein Schwangerschaftsabbruch? Das ist doch Mord! Das käme nie infrage. Was in dem Mädchen vorgeht – dass das ihr Leben ist, dass sie vielleicht gar kein Kind will, das spielt keine Rolle.

2006, kurz nach der Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs unter bestimmten Voraussetzungen, gab es in Kolumbien den Fall eines elfjährigen Mädchens, das von ihrem Stiefvater vergewaltigt und dadurch schwanger wurde. Sie wollte einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Trotz des legalen Anliegens musste sie bis vor das oberste kolumbianische Gericht gehen und wurde öffentlich besonders von Seiten der katholischen Kirche aufs Schärfste kritisiert. Hat sich in diesem Kontext etwas verändert?
Ich denke, was Vergewaltigungsopfer angeht, ist Kolumbien verständnisvoller geworden. Doch die Rolle der Öffentlichkeit ist noch immer die gleiche: Nach vorne hin wird immer höchst empört getan, ganz konservativ und katholisch. In Wirklichkeit aber gibt es unzählige Frauen, die schon eine Abtreibung haben durchführen lassen. Dieses Fassadenbauen und die Geheimniskrämerei sind die eigentlichen Probleme.

Wie erging es Ihnen persönlich?
Ich habe Glück, was das angeht. Meine Mutter hat in Europa studiert und mein Vater ist Deutscher. Ich traf auf ein offenes Ohr, doch das ist die absolute Ausnahme. In meinem Freundeskreis gibt es viele Mädchen, die einen Eingriff hatten, das haben wir dann unter uns ausgemacht. Da heißt es dann, ich kenne da jemanden, der jemanden kennt… Offiziell steht einem ja sowieso niemand zur Seite, das wäre ja strafbar.

Wo geht man dann hin, um eine Abtreibung vorzunehmen?
Das ist unterschiedlich. Das hängt davon ab, was einem so geraten wird. Man fragt sich halt durch. Häufig sagen die Leute so etwas wie: „Ja ich kenne da ´ne Frau, die macht das bei sich zu Hause mit irgendwelchen Pflanzen…“ Das machen dann insbesondere viele Mädchen aus ärmeren Schichten, die weniger Aufklärung erhalten haben und nicht wissen, was sie sonst machen sollen.

Wie war das bei Ihnen?
Ich habe erst einmal Pillen ausprobiert. Die haben bei meiner Freundin gut geholfen. Ein Freund von ihr arbeitet im Krankenhaus und hat ihr das geraten. Das ist ein Medikament, das man in der Apotheke bekommt, es hilft auch gegen Sodbrennen. Insgesamt sind es 40 Pillen. Man schluckt zwei und führt weitere zwei vaginal ein, immer im Acht-Stunden-Takt bis die Packung leer ist. Die Pillen haben extreme Nebenwirkungen: Man übergibt sich, man hat Durchfall, Fieber, Unterleibsschmerzen.

Gibt es dabei eine Garantie, dass es hilft?
Bei mir hat es nicht gewirkt. Ich bin dann in eine Einrichtung gegangen, die den Schwangerschaftsabbruch illegal medizinisch sicher durchführt. Man bekommt von den Einrichtungen nur übers Hörensagen mit, offiziell kann man sich nicht über sie informieren. Dort arbeiten ausgebildete Ärzte. Ich persönlich habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt. Die Ärzte und Psychologen begleiten einen Schritt für Schritt.

Wie läuft der Schwangerschaftsabbruch in einer solchen Einrichtung denn genau ab?
Erst einmal spricht man mit einer Psychologin, die fragt einen immer wieder, ob man den Eingriff wirklich durchführen lassen möchte. Der Vorgang ist nun mal illegal. Die machen sich damit ja strafbar, da muss man sich schon sicher sein. Legal kann man die Schwangerschaft lediglich abbrechen, wenn man vergewaltigt wurde, eine Gefahr für das Leben der Mutter besteht oder der Körper das Kind abstößt. Nach dem ersten Gespräch gibt es einen zweiten Termin, bis zu dem man Bedenkzeit hat. Auch dabei wird einem eine Psychologin zur Seite gestellt. Das läuft alles ganz professionell ab, der Eingriff selbst wird von einer Frauenärztin durchgeführt. Danach erhält man allerdings noch einen Vortrag darüber, dass das hoffentlich nie wieder vorkommt. Dabei wird man über Verhütungsmittel und dergleichen aufgeklärt. Eine gute Sache, auch wenn der typische Anteil Moralpredigt nicht fehlt.

Es gibt Schätzungen, die besagen, dass von 300.000 Schwangerschaftsabbrüchen in Kolumbien jährlich lediglich 300 im sicheren medizinischen Rahmen durchgeführt werden, dabei ist die Todesrate bei privat durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen hoch. Wenn es doch solche Einrichtungen gibt, weshalb werden sie relativ selten genutzt?
Eine große Rolle spielt dabei ganz klar das Geld. Der Eingriff in einer solchen Einrichtung ist nicht kostenfrei. Sie verlangen eine bestimmte Summe, die abhängig von dem Einkommen der Familie ist. Das geht dann bei ungefähr 100.000 Pesos (zirka 40 Euro) für die ärmsten Familien los. Das klingt erst mal nicht viel, aber in Kolumbien ist das sehr viel Geld. Ich habe 500.000 Pesos bezahlt. Das ist etwa der monatliche Mindestlohn dort. Die geringe Nutzung der guten und sicheren Einrichtungen könnte auch mit Unwissen zu tun haben, mit fehlender Aufklärung. Das ist so ähnlich wie bei der Verhütung. Viele wollen auch nichts davon wissen. Da spielt das soziale Umfeld die größte Rolle.

Welchen Zugang gibt es zur Verhütung?
Für ärmere Menschen gibt es die Pille und Kondome kostenfrei. Verhütung ist anders als der Schwangerschaftsabbruch nicht verpönt. Zum Beispiel die Kosten für die Pille, insofern man sie nicht umsonst bekommt, übernimmt normalerweise komplett das Mädchen oder die Mutter. Den Mann interessiert sowas nicht. Viele Mädchen sind auch viel zu jung und nicht genügend aufgeklärt. Wenn man will, kann man sich kostenlos beraten lassen, aber wer macht das schon?

Was sollte sich Ihrer Meinung nach ändern?
Man müsste die Doppelmoral loswerden. Diese alltägliche Scheinheiligkeit. Es ist wichtig zu wissen, wie die Wirklichkeit aussieht, damit der Gesellschaft endlich bewusst wird, wie lächerlich ein Verbot des Schwangerschaftsabbruches ist. Eine Frau, die in der Situation ist, für sich zu entscheiden, ob sie ein Kind bekommen möchte oder nicht, ist emotional genug belastet, als dass sie sich auch noch um Gesetze sorgen möchte.

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