Argentinien | Nummer 348 - Juni 2003

“Wenn sie uns nicht reinlassen, dann machen wir eben draußen weiter“

Interview mit Delicia Righini, Arbeiterin von Brukman

Anderthalb Jahre lang haben 58 Arbeiterinnen in der Fabrik Brukman in Eigenregie eine Textilfabrik betrieben. Jetzt hat die Polizei den Eingang des Gebäudes verbarrikadiert. Die Arbeiterinnen sitzen im Kreis auf der anderen Straßenseite und trinken Mate. In der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag wurde die Fabrik geräumt. Ein Versuch am darauf folgenden Montag, die Fabrik wiederzubesetzen wurde von der Polizei brutal niedergeschlagen. Seither ist das Viertel um Brukman voller Polizisten. Doch die Arbeiterinnen haben ein Zelt errichtet und bewachen die Fabrik rund um die Uhr. Auch Piqueteros, StudentInnen, Menschenrechtsorganisationen und linke Parteien sind mit kleineren Zelten vor Ort.

Cecilia Pavón, Timo Berger

Frau Righini, wie ist die aktuelle Situation, gab es Gespräche mit der Regierung?

Wir haben uns mit der Arbeitsministerin, Graciela Camaño, getroffen. Sie hatte in der Presse behauptet, wir wollten nicht verhandeln. Und deshalb sind wir zu ihr gegangen. Aber dabei ist nichts herausgekommen. Denn das, was sie uns anbot, war eine Halle mit Nähmaschinen. Sie schlug uns vor, dort die Arbeit wiederaufzunehmen. Wir wollten wissen, um was für Maschinen es sich handelt, sie wollte es uns aber nicht sagen. In der Brukman-Fabrik haben wir computergesteuerte Maschinen, sie wollte uns wahrscheinlich welche mit Pedal andrehen. Außerdem verlangte sie von uns, dass wir für die Maschinen und die Halle Miete bezahlen. Das kommt aber für uns nicht in Frage.

Haben Sie sich die Halle angesehen?

Nein. Aber das bedeutet nicht, dass wir den Dialog einseitig abgebrochen hätten. Wir sind bereit, weiter zu verhandeln. Aber die andere Seite soll bitte mit ernsthaften Vorschlägen kommen. Es ist offensichtlich, dass die Regierung auf der Seite der Besitzer steht. Ihr einziges Ziel ist es, uns von Brukman wegzubekommen. Wir sollen von hier verschwinden. Aber ihre Angebote sind keine ernst zu nehmende Option. Wir werden uns weiter mit der Ministerin treffen, aber solange sie die Interessen der Besitzer vertritt und nicht anerkennt, dass Brukman uns gehört, werden wir nichts akzeptieren. Denn wir haben schließlich die Fabrik anderthalb Jahre betrieben und in Stand gehalten, wir haben die Maschinen repariert, die sie uns bei den Räumungsversuchen zerstört hatten, wir haben einen neuen Kundenstamm aufgebaut, wir haben die Schulden für Strom und Wasser bezahlt. Und jetzt wollen sie, dass wir verschwinden. Wir werden aber nicht verschwinden.

Hat die Regierung eine Erklärung zum gewaltsamen Polizeieinsatz am Tag der Räumung abgegeben?

Nein, die Regierung schweigt. Wir alle wurden geschlagen. Sehen Sie sich das an (Sie zeigt blaue Flecken an ihrem Oberarm). Die Polizei kam wie eine Bande von Einbrechern. In der Fabrik befanden sich zu dem Zeitpunkt fünf Arbeiterinnen und sie kamen mit 3800 Polizisten, 3800 für fünf Arbeiterinnen! Sofort kamen Anwohner und Leute von den verschiedensten Organisationen. Aber viele waren auch wegen der Feiertage nicht in der Stadt. Die Polizei hat den Zeitpunkt für die Räumung sehr geschickt gewählt. Sie hatten sich genau überlegt, wie sie uns rauskriegen konnten. An einem anderen Tag hätten sie es nicht geschafft.

Was verlangen Sie von der Regierung?

Die Besitzer der Fabrik Brukman schulden dem Staat sechs Millionen Pesos (rund zwei Mio. US-Dollar). Die Banco de la Nación hat ihnen Kredite in dieser Höhe gewährt. Mit anderen Worten: Brukman gehört eigentlich dem Staat. Wir fordern, dass der Staat die Maschinen und das Gebäude enteignet und sie unserer Kontrolle übergibt. Wir würden dafür im Gegenzug dem Staat Decken, Wäsche für Krankenhäuser und öffentliche Einrichtungen anfertigen. Seit dem Tag, als wir in der Fabrik blieben, vertreten wir diese Forderung. Aber vor allem soll die Regierung die Polizei aus dem Viertel abziehen und uns zurück in die Fabrik lassen. Das Viertel hier ist militarisiert, wie zu Zeiten der Militärdiktatur, wohin du auch gehst, triffst du auf Polizisten.

Wie halten Sie den Widerstand gegenüber der Räumung aufrecht?

Wenn es die ganzen Organisationen, die uns unterstützen, und die ganzen Leute, die zu uns kommen, nicht gäbe, dann wären wir wie Verbrecher im Gefängnis oder gleich „verschwunden”. Zum Glück sind alle hier, zelten mit uns – Piqueteros, Menschenrechtsorganisationen, einige Anwohner. Eine Gruppe von SchülerInnen hier aus dem Viertel hat auch ein Zelt aufgestellt. Und wir wechseln uns in der Wache ab, damit wir schlafen können. Wir werden hier bleiben, bis sie uns reinlassen. Deshalb müssen immer Leute vor dem Eingang sein. Außerdem warten 3.000 Hosen auf ihre Auslieferung. Wir wollen wieder rein, um an unseren laufenden Aufträgen weiterzuarbeiten. Unsere Kunden warten. Zurzeit halten wir uns nur durch die Unterstützung der Organisationen über Wasser, die vor Ort sind, und durch die Leute, die uns Essen bringen.

Sind die Eigentümer hier schon erschienen? Haben Sie mit ihnen geredet?

Sie waren am Tag der Räumung da, aber danach haben sie sich nicht mehr blicken lassen. Sie trauen sich nicht, weil sie wissen, dass wir sie nicht reinlassen würden. Deswegen verbreiten sie jede Menge Lügen in den Medien. Die Eigentümer behaupten, es gäbe 60 Arbeiterinnen, die dafür seien, dass sie zurückkehrten. Aber das stimmt nicht. Es handelt sich höchstens um 15 bisherige Arbeiterinnen. Den Rest haben sie neu angestellt. Weiter behaupten sie, wir würden Fahnen nähen für die Partido Obrero (Arbeiterpartei). Eine Lüge. Wir müssen Anzüge schneidern, um sie zu verkaufen, wir haben überhaupt keine Zeit für Politik. Wir sind keine Delinquenten, wie das gerne in der Presse verbreitet wird. Wir haben die Fabrik nicht mit vorgestreckter Pistole besetzt. Die Besitzer sind nicht mehr erschienen. Sie haben sich nicht mehr hergetraut, weil sie uns den Lohn zahlen müssten, den sie uns schuldeten. In den letzten zwei Wochen bevor sie verschwanden, bezahlten sie nur noch 2 Pesos die Woche (damals 2 US-Dollar). Sie schuldeten uns jahrelang Urlaub und Überstunden, die sie nicht abfeiern ließen. Außerdem bezahlten sie weder die Beiträge für die Rente noch für die Krankenversicherung. Seit Jahren. Was wir wollen, ist nur wieder arbeiten, nicht mehr und nicht weniger. Außerdem wurden wir nie entlassen, nie bekamen wir ein Kündigungsschreiben. Sie haben die Fabrik im Stich gelassen. Wir sind geblieben, weil es sich um unsere Arbeitsplätze handelt. Wenn wir nicht arbeiten, können wir unseren Kindern nichts zu essen geben.

Wie wollen Sie jetzt weitermachen?

Zusätzlich zum Zelt, organisieren wir verschiedene Veranstaltungen. Zuletzt gab es hier ein Rockkonzert. Tausende Laute sind gekommen, vor allem junge Leute. Bald gibt es wieder ein Konzert. Außerdem werden wir Nähmaschinen aufstellen, die man uns geliehen hat. Und wir werden auf der Straße anfangen zu nähen. Wenn sie uns schon nicht reinlassen, dann machen wir es eben draußen. Wir werden Decken und Kleidung für die Leute anfertigen, die im Augenblick von den Überschwemmungen in der Provinz Santa Fe betroffen sind.

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