Film | Nummer 511 – Januar 2017

WER IST KUBA?

Die Dokumentation Somos Cuba erzählt den kubanischen Lebensalltag aus der Perspektive dreier Familien – gefilmt mit der Handkamera

Von Robert Swoboda

Medien und Politiker auf der ganzen Welt verhalten sich zu Fidel Castros Tod, urteilen, ehren oder verschmähen den máximo líder. Doch wie sahen ihn die Kubaner*innen noch vor seinem Tod? Was denken Sie über die Revolution? Mit welchen Alltagsproblemen haben sie zu kämpfen? Wer eine ehrliche Antwort auf solche Fragen wünscht, möge sich diesen Film ansehen. Gedreht hat ihn Andres, er lebt in einem Stadtteil Havannas, in Marianao. Die Kamera, mit der er filmt, hat er aus Deutschland mitgebracht. Er hat dort ein paar Monate gearbeitet, mehr erfahren wir nicht. Wichtig ist vielmehr, was er filmt: Das Leben in seiner Nachbarschaft über sieben Jahre von 2008 bis 2014. Menschen, mit denen er, seine Tochter und deren Tante den Alltag teilen. Sie geben ihm und der Kamera gegenüber offen Antworten auf seine Fragen oder lassen ihn einfach filmen, wenn er etwas festhalten möchte. Wenn ein Nachbar auf einem Dach stehend lautstark ruft „Nieder mit Fidel!“, weil seine Frau – Mitglied der oppositionellen Bewegung Damas en Blanco (Frauen in Weiss) – wiedereinmal von der Polizei festgenommen wurde.
Die Aufnahme seines Protests verbreitet sich ungewollt bis in das amerikanische Fernsehen von Miami, welches viele Kubaner*innen empfangen können. Während im staatlichen Fernsehen politische Diskussionen und Lehrfilme laufen, sehen jene mit Satellitenanschluss den Ausschnitt verbotenerweise. Das Zubehör für den Empfang kann leicht auf dem Schwarzmarkt erworben und inoffiziell installiert werden. Wie die sich selbst helfenden Handwerker berichten, würde die kubanische Führung Neuigkeiten von außerhalb nur nach Wochen oder, bei ungewollten Nachrichten, gar nicht im Staatsfernsehen senden.
Ein anderer Nachbar züchtet in seinem Haus regelmäßig Schweine, welche ihm durch den Verkauf ein geringes, aber wichtiges Einkommen bringen. Ein Beispiel für die notwendige und oft beeindruckende Kreativität der Kubaner*innen im Alltag, wenn der Lohn nicht zum Leben reicht oder es nur informelle Arbeit gibt.
An der Liebe zu seiner Heimat lässt Andres keinen Zweifel. Gleich im ersten Satz verrät er, „nichts war so schön in meinem Leben, wie meine Rückkehr nach Kuba.“ Dennoch stellt er vieles in Frage, wie die fehlende Meinungsfreiheit. Andres bewundert seine Nachbarn für deren Mut, sich gegen das System zu stellen. Alle in seiner Nachbarschaft würden so denken, aber sich nicht trauen, das zu sagen, betohnt er. Bei seiner kleinen Tochter Leydis stößt er allerdings auf Widerstand, sie verteidigt den überlebensgroßen Revolutionsführer mit reichlich Argumenten, die zum kubanischen Allgemeinwissen gehören. Doch als sich für Leydis später die Möglichkeit ergibt, eine andere Heimat in Mexiko bei Ihrer Cousine zu wählen, entscheidet sie sich dafür. Andres sieht dort eine bessere Zukunft für seine Tochter. Während deren Wunsch nach einer anderen Umgebung wächst, lässt der gestellte Ausreiseantrag auf seine Antwort warten.
Der Film hat neben den politischen Diskussionen intime, lustige und feierliche Bilder kubanischen Lebens zu bieten. Er erzählt eine echte und ungeschönte Geschichte, die dem Zuschauer damit keine pauschale Schlussfolgerung nahelegt. Der Film zeigt noch einmal deutlich, dass auch die sozialistische Ideologie Kubas ihren Anspruch an der Wirklichkeit messen lassen muss – und diese hängt von der Perspektive derjenigen ab, die sie beschreiben.

Somos Cuba // Annett Ilijew // Deutschland 2015 // 91 min
Lichtblick-Kino Berlin 19. + 20. Dezember 2016

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