Guatemala | Nummer 612 - Juni 2025

Widerstand gegen Mülltrennung

In Guatemala wehren sich die Ärmsten gegen moderne Abfallwirtschaft

In vielen Ländern Europas ist Mülltrennung in Privathaushalten seit Langem eine Selbstverständlichkeit. Doch in anderen Teilen der Welt wird das Thema nach wie vor kontrovers diskutiert. Dabei geht es oft um wirtschaftliche Interessen armer Bevölkerungsgruppen. Eine Reportage aus Guatemala für LN.

Andreas Boueke, Guatemala-Stadt
Proteste in Guatemala-Stadt: Die Demonstrierenden versperren die eine wichtige Zufahrtsstraße zum Flughafen (Foto: Andreas Boueke)

In der Mittagshitze der Zone 3 von Guatemala-Stadt trägt eine sanfte Brise den Geruch der nahegelegenen Mülldeponie herüber. Abgase mischen sich mit dem Gestank verrottender Lebensmittel und brennender Gummis. Schwarzer Rauch steigt von den Resten verkohlter Autoreifen auf, die noch vor kurzem lodernd brannten.
Ein Mann mit rußverschmiertem Gesicht verbietet die Durchfahrt zur Mülldeponie. Barrikaden aus gestapeltem Abfall blockieren die Straße. Eine Frau mit langem, grauem Zopf erklärt, warum die demonstrierenden Anwohnerinnen wütend sind: „Wenn wir nicht mehr auf der Müllhalde arbeiten können, dann bekommen unsere Kinder nicht genug zu essen. Die Behörden wollen uns den wertvollsten Teil des Abfalls wegnehmen. Aber davon leben viele alleinstehende Frauen, junge Leute, Großeltern. Wir alle brauchen den Müll.“

Doña Maria ist vor einer Woche 65 Jahre alt geworden. Doch über ein Leben als Rentnerin hat sie noch nie nachgedacht. „Seit ich sieben Jahre alt bin, arbeite ich auf der Müllhalde. Wenn hier wirklich bald nur noch Restmüll geliefert wird, verliere ich mein Einkommen. Was sollen meine Enkel dann essen? Wir sind auf das Recycling angewiesen. Aber den Politikern ist das egal. Die haben ihre Einkommen.“

Der guatemaltekische Staat will eine neue Recyclingvorschrift durchsetzen: Die Bevölkerung soll ihren Müll bereits zu Hause in drei Kategorien trennen – organisch, recycelbar und Restmüll. Dieses Vorhaben macht Doña Maria große Sorgen: „Ich verstehe nicht, warum die Behörden sich da einmischen. Sie haben sich doch sonst nie um uns gekümmert. Der Müll ist die Voraussetzung dafür, dass unsere Kinder essen können. Er ist die Quelle für das Einkommen der Armen. Mit dem, was wir auf der Müllhalde finden, sichern wir unser Überleben.“

Das neue Recycling-Gesetz

Bereits 2021 hat das guatemaltekische Umweltministerium ein Dekret zur Mülltrennung erlassen. Doch erst in diesem Jahr sollte die Vorschrift tatsächlich umgesetzt werden. Offenbar haben die Behörden nicht mit einem solch heftigen Widerstand gerechnet. Doña Maria jedenfalls meint, sie habe keine andere Wahl, als sich gegen das Gesetz aufzulehnen: „Vor fünf Monaten wurde mein Sohn ermordet. Auch er hat auf der Deponie gearbeitet. Ich weiß nicht, wer ihn erschossen hat. Aber ich weiß, dass ich mich jetzt um die Ernährung seiner fünf Kinder kümmern muss. So ist mein Leben als Großmutter.“

In Guatemala-Stadt und Umgebung leben rund zweieinhalb Millionen Menschen, die Tag für Tag mehr als 4000 Tonnen Müll produzieren. Normalerweise wird ein Großteil dieses Abfalls von 775 Lastwagen über eine abschüssige Straße zur Deponie der Zone 3 gebracht. Doch während des Streiks fährt dort kein einziger dieser Mülltransporter. Don Guayo sitzt auf einer ausgedienten Bank aus einem Buswrack. Er ist wütend. „Hier soll ein Monopol entstehen“, schimpft er. „Das Recyclinggeschäft soll von einer großen Firma übernommen werden, die bestimmt keine Leute ohne Schulabschluss einstellen wird. So kann das nicht funktionieren. Die Bürokraten haben doch keine Ahnung, wie viele Menschen auf der Müllhalde ihren Lebensunterhalt verdienen.“

Blick auf Guatemala-Stadt (Foto: Andreas Boueke)

Verschmutzende Mülldeponie

Die größte Mülldeponie Guatemalas ist seit dem Jahr 1953 in Betrieb. Damals lag die Schlucht des Rio La Barranca weit abseits von den Wohngebieten der Hauptstadt. Heute befinden sich zahlreiche eng bewohnte Siedlungen direkt neben dem Müll. Doch der Abfall wird noch immer fast ausschließlich von informellen Arbeiterinnen sortiert – ohne Werkzeug, ohne Ausbildung und nahezu ohne Schutzmaßnahmen. Viele Frauen, Männer und Kinder durchstöbern den Müll mit bloßen Händen, auch Don Guayo. Sobald ein Lastwagen abgeladen hat, sucht er nach recycelbaren Materialien und Gegenständen, die noch einen Wert haben.
Don Guayo ist Vater von fünf Kindern. Zwar wäre er froh, wenn sie in einer sauberen Umwelt aufwachsen würden, aber er schimpft: „Die Umweltschützer interessieren sich nicht dafür, ob unsere Familien genug zu essen haben. Wenn wir kein Geld verdienen, werden unsere Kinder krank und unterernährt.“
Seit seinem neunten Lebensjahr arbeitet Don Guayo als Müllsammler. Das Recyceln betrachtet er als eine würdevolle Aufgabe: „Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die die Müllhalde für einen ekelhaften Ort halten. Aber in Wahrheit produziert doch jeder Mensch Müll. Wie kann es sein, dass Du dich vor dem Abfall ekelst, den du selbst produziert hast? Wir finden im Müll alles, was wir zum Überleben brauchen. Hätten wir diese Möglichkeit nicht, könnten wir es uns nicht leisten, unsere Kinder zur Schule zu schicken. Gott sei Dank gibt es den Müll. Durch ihn haben unsere Familien Hoffnung auf eine bessere Zukunft.“

Demo vor dem Umweltministerium

Zwei Tage später findet eine Demonstration vor dem Gebäude des Umweltministeriums statt, ein paar hundert Meter vom Flughafen entfernt. „Wir sind hierhergekommen, um zu protestieren“, schimpft eine Demonstrantin. „Wir wollen den Müll weiterhin so recyceln, wie wir es immer gemacht haben. All die Menschen, die heute demonstrieren, sind auf diese Arbeit angewiesen – auch die Lastwagenfahrer und ihre Helfer. Aber das will die Umweltministerin nicht verstehen.“
Während Beamte des Ministeriums und Vertreterinnen der Müllsammlerinnen drinnen um einen Konsens ringen, machen die Demonstrierenden draußen Lärm. Nach und nach treffen auch Dutzende Müllwagen ein. Angeblich wollen sich die Fahrerinnen mit den Müllsammlerinnen der Deponie solidarisch zeigen. Einer erklärt: „Wir sind gekommen, um die Leute der Müllhalde zu unterstützen. Dieses neue Gesetz ist ganz plötzlich aufgetaucht, obwohl wir schon seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten. Warum soll das jetzt geändert werden?“
Tatsächlich aber sind es die Besitzerinnen der Müllfahrzeuge, die seit Jahrzehnten eine Modernisierung der Abfallentsorgung verhindern. Für sie ist die Müllabfuhr eine unerschöpfliche Einkommensquelle, die sie eifersüchtig verteidigen. Im Dialog mit den Behörden verweigern sie sogar die Herausgabe so grundlegender Informationen wie den Verlauf ihrer Routen. Sie haben keine feste Zeitplanung, sodass auch zu Stoßzeiten hunderte Müllwagen das Verkehrschaos der Hauptstadt verschlimmern.

Mit der Zeit wird die Demonstration immer größer und lauter. Guatemaltekische und internationale Journalistinnen machen Fotos und Interviews. Der TV-Reporter Rainer Ruis berichtet live: „Jetzt drohen sie damit, den Abfall tagelang liegen zu lassen. Heute gab es keine Müllabfuhr in den Wohngebieten. Viele Straßen sind verschmutzt.“
Vor laufender Kamera bittet einer der Repräsentanten der Müllwagenfahrerinnen die Bevölkerung Guatemalas um Verzeihung: „Nie zuvor haben wir Sie im Stich gelassen. Aber jetzt geht es um das Überleben vieler Menschen. Außerdem könnte der Preis für die Müllabfuhr steigen, wenn das Recyceln nicht mehr unter unserer Kontrolle ist.“

Der Reporter Rainer Ruis hat schon oft über die ineffiziente Abfallwirtschaft in Guatemala berichtet. Er weiß, dass das Thema viele Facetten und eine lange Vorgeschichte hat: „Regierungen sind gekommen und gegangen, ohne dass sie der Problematik die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet haben. Es ist ja nicht so, dass die Familien, die im Abfall arbeiten und vom Müll leben, dies aus freien Stücken tun. Sie finden schlichtweg keine andere Einkommensmöglichkeit. Längst ist offensichtlich, dass es so nicht weitergehen kann. Die Müllentsorgung braucht dringend eine geordnete Lösung.“

Unkontrollierte Landflucht, fehlende Infrastruktur und eine rasant wachsende Bevölkerung führen zu einem verworrenen Wachstum der Städte, sagt Rainer Ruis: „Bedauerlicherweise schneiden wir in vielen Studien gerade im Bereich der Umweltverschmutzung besonders schlecht ab. Die Mülldeponie der Zone 3 ist ein Ort, der das Land so sehr verschmutzt wie kein anderer.“

Ein Müllkompromiss

Marlyn Loarca ist Tochter und Enkelin von Müllsammlerinnen. Selbst engagierte Müllsammlerin, bemüht sie sich seit Jahren, ihre Kolleginnen zum Beitritt in die Vereinigung zu bewegen, um gemeinsam bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen. Ihrer Ansicht nach liegt die eigentliche Ursache des Konflikts um das neue Gesetz darin, dass ihre Leute nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen wurden: Sie ist wütend, dass der Gesetzgeber einmal mehr die Realität des Landes ignoriert. „Zum Beispiel schreibt das Dekret vor, dass jeder Lastwagen nach dem Abladen des Mülls gereinigt werden muss. Wie soll das funktionieren? In der Umgebung der Deponie gibt es ja nicht einmal genug Wasser.“

Schließlich wird bei den Verhandlungen ein Kompromiss erreicht: Zumindest in der Hauptstadt soll der Müll vorerst nicht mehr in drei, sondern nur noch in zwei Kategorien getrennt werden – organische Abfälle und sonstiger Müll. Daraufhin beenden die Lastwagenfahrerinnen und Müllsammler*innen ihren Streik. Doch ein entscheidender Punkt bleibt ungelöst: Es gibt weiterhin keinen Plan, wie verhindert werden könnte, dass sich die beiden Müllsorten während des Transports in den Lastwagen wieder vermischen.


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