Aktuell | Indigene | Nummer 587 - Mai 2023 | Panama

„Wir dekolonisieren die Technologie“

Interview mit dem indigenen Waldüberwacher Carlos Doviaza

Mittels Drohnen und geografischen Informationssystemen verhilft Carlos Doviaza indigenen Territorien in Panama zu Rechtssicherheit und schützt sie vor illegalem Holzeinschlag. International bekannt wurde er für eine von Hilfsorganisationen hoch gelobte, interaktive Karte zur Überwachung der Pandemiesituation, die die täglichen Covid-Infektionszahlen in den Distrikten sowie die Lage und den Hilfsgüterbedarf von indigenen Gemeinschaften veranschaulichte. Im Gespräch mit LN erzählt er von seinen Tätigkeiten für die indigene Territorialverteidung.

Interview: Martin Schäfer

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Kenntnisse, die ermächtigen Carlos Doviaza gibt eine Fortbildung zu geografischen Informationssystemen (Foto: Carlos Doviaza)

Wie ist allgemein die rechtliche Situation indigener Gebiete in Panama heute?

Es gibt zwei Arten offizieller indigener Gebiete: Neben den comarcas, die meist den Status von Provinzen haben, gibt es seit 2008 so genannte Kollektivgebiete, durch die auch indigene Gemeinschaften außerhalb der comarcas anerkannt werden.
Die Behörden auf Gemeinde- und Landesebene haben trotzdem immer noch die Vorstellung, dass es zwar indigene Gemeinschaften gibt, aber kein indigenes Land. Bis zur Erlangung eines Landtitels haben Kollektivgebiete keine Rechtssicherheit. Die Gemeinschaften legen vor Ort ihre Wege an, aber das bedeutet nicht, dass sie von nicht-indigenen Menschen respektiert werden. Selbst in der comarca der Emberá und Wounaan gibt es jetzt ein Problem mit Invasionen. Wenn die Gemeinschaften nicht organisiert sind und sich jede nur ihrer eigenen Landwirtschaft, ihrem Überleben widmet, wird die territoriale Grenze immer bedroht sein.

Sie setzen moderne Technik wie Drohnen ein, um indigene Gebiete besser zu schützen. Was ist die Idee dahinter?

Meine Arbeit besteht darin, die technischen Fähigkeiten der indigenen Gemeinschaften zu stärken. Es begann 2015 mit einem Projekt zur Waldüberwachung per Fernerkundung, das die Dachorganisation der indigenen Gemeinschaften in Panama (COONAPIP) gemeinsam mit der Welternährungsorganisation (FAO) entwickelt hat, um für die in COONAPIP organisierten Gruppen eigene Techniker auszubilden. Das waren damals acht Personen, darunter ich.
Die FAO schulte uns im Umgang mit Drohnen, GPS und geografischen Informationssystemen, in der Erstellung von Karten und in der Satellitenüberwachung. So können wir indigenen Autoritätspersonen Werkzeuge an die Hand geben, wenn sie illegalen Holzeinschlag, Abholzung, Brandrodung usw. anzeigen. Die staatlichen Behörden wie das Umweltministerium und die Staatsanwaltschaft schenken diesen Beschwerden leider keine Beachtung, wenn sie nur mündlich vorgebracht werden. Ziel war es also, diese Lücke jeweils durch einen technischen Bericht mit Koordinaten, Drohnenfotos und Karten zu schließen, den die Autoritätspersonen bei der Anzeige von Umweltverbrechen den Regierungsbehörden übergeben können.

Wie sieht eine typische Situation vor Ort aus, wenn Sie hinkommen?

Panama ist nicht wie Brasilien, Ecuador oder Peru, wo bei illegalem Holzeinschlag Zerstörung in großem Ausmaß herrscht. Hier geht es eher um Holzdiebstahl, bei dem man keine großen Schäden am Wald bemerkt. Aber wenn wir unsere Satellitenkarten betrachten, kann man die Spuren oder Narben der Veränderung der Waldbedeckung sehen.
Vor einigen Wochen waren wir etwa in einer Wounaan-Gemeinschaft namens Aruza in der Provinz Darién. Dort lief bereits ein Verfahren zur Erlangung eines offiziellen Landtitels, aber etwa 70 Siedler kamen, haben sich einen Anwalt genommen und ausgenutzt, dass die indigene Seite einige Verfahrensschritte ausgelassen hatte. So konnten sie das Verfahren letztes Jahr stoppen, sich Land aneignen und Wald abholzen, sogar mit Genehmigung vom Ministerium.
Die Mitglieder der Gemeinschaft meinten, nichts gegen die Abholzung unternehmen zu können, da die Siedler Besitzrechte hätten und die lokalen Behörden sie nicht unterstützten. Wir sind also zu dem betreffenden Gebiet hin, haben die Drohnenflüge programmiert und durchgeführt (die Drohne überfliegt dabei nach einem bestimmten Muster das Gebiet und macht Fotos, die später zu einer größeren Satellitenkarte zusammengesetzt werden, Anm. d. Red.). Dadurch haben wir gemerkt, dass es bei der Abholzung mehrere Gesetzesverstöße gab, Mindestabstände zwischen gefällten Bäumen oder zu Wasserläufen wurden etwa nicht eingehalten. Wir fuhren weiter auf einem anderen Weg, der gar nicht mehr zu dem genehmigten Gebiet gehörte, und auch dort war abgeholzt worden. Die Siedler mit ihrem Anwalt waren ziemlich überrascht und sehr erschrocken über diese Situation. Sie erschrecken mittlerweile, sobald sie mich nur sehen, weil sie unsere Fähigkeiten kennen, solche Situationen zu analysieren. Die Gemeinschaft von Aruza wehrt sich jetzt mit rechtlichen Mitteln, im Moment muss ich die Karten für die Staatsanwaltschaft zusammenstellen, damit diese den Fall untersuchen kann. Sie sieht uns als sehr wichtig an für all diese Situationen, in denen es um Holzeinschlag geht.

Wie hat die Regierung auf Ihre Arbeit reagiert?

Für das anfängliche Projekt bekam COONAPIP eine Förderung direkt von der FAO. Als die Regierung sah, dass es Gemeinschaften gibt, die sich mit Wissen zu GPS und Drohnen ermächtigten, blockierte sie die Finanzierung für die FAO. Dafür gibt es zwar keine Beweise, aber ich habe keine Zweifel daran. Als die FAO keine Mittel mehr zur Verfügung stellte, wurde die Finanzierung sehr bürokratisch. Das Team der acht Techniker löste sich auf, nur ich und mein Partner Eliseo Quintero blieben übrig. Wir haben dann später GeoIndígena gegründet, selbstständig weitergearbeitet und dafür von der Rainforest Foundation Mittel bekommen, um die Arbeit mit den Gemeinschaften der COONAPIP weiterzuführen und das erworbene Wissen nicht zu verlieren.

Der Regierung ist es letztlich aber nicht gelungen, Ihre Arbeit zu unterbinden…

Ein Schlüsselereignis war 2018 ein Zusammentreffen mit dem Umweltminister Emilio Sempris, nachdem Hunderte Wounaan aus dem Osten der Provinz Panamá, einem sehr konfliktreichen und unzugänglichen Niemandsland, den Eingang des Umweltministeriums blockiert hatten. Es ging um Protest gegen das Eindringen von Siedlern in ihr Gebiet und darum, dass das Ministerium die Genehmigung für ihren Landtitel erteilen sollte. Den Titel vergibt die Nationale Landbehörde ANATI, aber das Umweltministerium muss dazu zunächst eine Stellungnahme abgeben, da sich fragliche Gebiete häufig mit einem Schutzgebiet überschneiden. Seit 2011 hatte sich das Ministerium einfach nicht mehr geäußert, sondern immer nur verschoben, alles stagnierte. Schließlich sagte der Minister, „Okay, lasst uns mit den indigenen Völkern reden, um zu sehen, was sie wollen”. Er setzte sich mit den Autoritätspersonen der COONAPIP zusammen, denn er wollte wissen, welche indigenen Gebiete sich mit Schutzgebieten überlappten. Ich zeigte es ihm mit meinem Computer, aber er begann mir lauter Fragen zu stellen: „Zeigen Sie mir die Wassereinzugsgebiete auf nationaler Ebene”, „Zeigen Sie mir das Wassernetz”, „Wo sind die Provinzen?” Ich zeigte ihm alles und er wartete darauf, dass wir irgendeinen Fehler machen würden, was aber nicht passierte. Schließlich sagte er: „Ok, wir werden die Resolution unterschreiben”, in der er zwar noch nicht die finale Zustimmung gab, aber die Analyse der Akten zur Landtitelvergabe anordnete, was den jahrelangen Stillstand auflöste. Der Minister bat mich noch um meinen Lebenslauf, um zu sehen, ob ich für ihn arbeiten könnte – der Staat will dich auf seine Seite ziehen, damit du nichts tust. Damals hat die Regierung verstanden, dass die indigenen Gemeinschaften Spezialisten haben, die sich um die Landfrage kümmern, auch vor Ort zur Waldüberwachung.

Hat dies auch den indigenen Autoritätspersonen gezeigt, wie wichtig Ihre Arbeit ist?

Ja, bei diesem Treffen haben sie erkannt, wie wichtig es ist, ein technisches Team an der Seite zu haben, wenn es um Landfragen geht. Das war ein wichtiger Meilenstein für uns als Techniker, denn am Anfang wurden wir von unseren Autoritätspersonen nicht anerkannt, wir waren nur Teil eines Projekts. Seitdem wissen sie unsere Fähigkeiten zu schätzen und rufen uns, damit wir ihnen sagen, was wir bei der Territorialverteidigung tun können. Wir als Jugend haben uns der Technologie ermächtigt. Sehr wichtig bei all dem ist aber: Auch wenn ich technisch versiert bin, muss ich politische Fähigkeiten im Umgang mit den traditionellen Autoritätspersonen haben.

Kam es bei Ihrer Arbeit schon zu riskanten Situationen?

Wir waren einmal für technische Begleitung im Kollektivgebiet einer anderen Wounaan-Gemeinschaft unterwegs – Majé Chimán im Osten der Provinz Panamá – das die lokale Gemeindeverwaltung aber nicht anerkannte. Sie sah sich befugt, einen Teil des Landes an einen Siedler zu vergeben, ohne das Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung der indigenen Gemeinschaften zu achten.
Man gelangt nur mit dem Boot dorthin, es sind zwei, drei Stunden von der Panamericana aus. Wir stiegen arglos in das Boot des Gemeindevertreters ein und fuhren los. Während der Fahrt fragten sie uns aus: „Wer seid ihr eigentlich? Und wie viele seid ihr?”. Ich dachte mir, es ist zweifelhaft, wenn man mich so etwas mitten im Nirgendwo fragt. Wir sagten dann, dass wir insgesamt 40 Leute seien, die in ständigem Kontakt stehen. Dann gaben sie Ruhe. Aber wenn ich ihm gesagt hätte, dass in dem Moment nur Eliseo und ich diese Arbeit machten? Sie hätten uns wohl etwas angetan, denn beim Thema Land verstehen sie keinen Spaß.
Nach unserer Ankunft konnten wir den Siedler dabei aufnehmen, als er sagte: “Dieses Land gehört niemandem, der Bürgermeister hat es mir gegeben und es kann nicht sein, dass man mich wegholen will, nur weil diese Indigenen hier sind“. Für ein Treffen mit Vertretern des Ministeriums und des Bürgermeisters haben wir dann schnell ein Video vorbereitet und damit gezeigt, wie der Siedler die Behörden einbezogen hat und dass diese verantwortlich sind. Sie waren sehr beeindruckt, dass wir so schnell ein Video vorbereiten konnten, denn sie dachten immer noch, dass die indigenen Gemeinschaften keine wesentlichen Fähigkeiten haben, um so einer Situation gegenüberzutreten.

Sehr viel scheint von Ihnen und Ihrem Team bei GeoIndigena abzuhängen. Geben Sie Ihre Fähigkeiten auch weiter?

Ja, wir wollen sie an Menschen vor Ort weitergeben, damit sich das von selbst trägt. Vor einem Jahr hing noch alles von uns ab. Wir machten Schulungen. Inzwischen gibt es etwa im Volk der Naso ein eigenes technisches Team. Das Führungsgremium der Naso kümmert sich um die interne Ausbildung und Logistik, und wir als GeoIndígena bilden neue Ausbilder aus. Im Moment machen wir hauptsächlich Bürokram, aber von Zeit zu Zeit gehen wir auch ins Feld.

Gibt es ähnliche Initiativen auch in anderen Ländern?

Ich war beispielsweise mehrmals im Petén, Guatemala, und habe dort Erfahrungen mit Gemeinschaften (von der Asociación de Comunidades Forestales de Petén, Anm. d. Red.) ausgetauscht, die über Waldkonzessionen verfügen. Dadurch können sie den Waldüberwachern ein Gehalt zahlen. In Panama ist dies nicht der Fall; wir sind auf internationale Zusammenarbeit angewiesen.Im Moment teilen wir unser Wissen mit dem Volk der Miskito in Honduras und dem Volk der Mayangna in Nicaragua. Für die Arbeit dort bekommen wir Mittel von der Ford-Stiftung. Wir wollen, dass GeoIndígena die regionale Plattform für Wissensaustausch in Mittelamerika wird. Die indigenen Gemeinschaften brauchen diese Stimme der Ermutigung, dass wir etwas tun und uns selbst mit Technologie befähigen können. Mit den Worten eines befreundeten Anthropologen, wir dekolonisieren die Technologie.

CARLOS DOVIAZA

gehört zur indigenen Gemeinschaft der Emberá, ist in der panamaischen Provinz Darién aufgewachsen und Sohn eines ehemaligen Kaziken der Kollektivgebiete Emberá-Wounaan. Gemeinsam mit Eliseo Quintero hat er die Organisation GeoIndígena gegründet, die technische Kenntnisse für die Territiorialverteidigung in indigenen Gemeinschaften fördert und mit der indigenen Dachorganisation COONAPIP kooperiert, in der zwölf verschiedene indigene Selbstverwaltungen der Gemeinschaften der Bribri, Buglé, Emberá, Guna, Naso, Ngäbe und Wounaan organisiert sind. Carlos Doviaza studiert Risikoprävention und Umwelt.

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