Wir sind hier!
Lateinamerikanische Kollektive positionieren sich zu den Bundestagswahlen


Ni unx menos red – Nürnberg
Existenzrecht jenseits von Nützlichkeitsfragen
Jetzt mehr denn je knüpfen wir Netzwerke in Deutschland. Wir müssen uns organisieren, um Hass, Rassismus und staatlicher Gewalt zu begegnen, denen wir als Migrant*innen ausgesetzt sind. Die Wahlen in Deutschland waren ein wichtiger Moment, um über die Rolle von Migrantinnen in dieser Gesellschaft nachzudenken. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass, Frauen, rassifizierte Menschen und Andersdenkende als erste leiden, wenn der Faschismus auf dem Vormarsch ist. Als Netzwerk NiUnxMenos prangern wir die strukturelle Gewalt an, der wir ausgesetzt sind: Arbeitsplatzunsicherheit, bürokratische Hürden, institutioneller Rassismus und das Fehlen einer Politik, die unsere Realitäten anerkennt. Die Bedürfnisse von Migrant*innen werden systematisch ignoriert und wir befürchten, dass die neue Koalition unsere Existenz weiter erschweren wird.
Lateinamerikanische Migrantinnen leisten einen enormen Beitrag zur Wirtschaft, sowohl in der Lohnarbeit als auch in der unbezahlten Sorgearbeit. Dennoch werden wir weiterhin in rechten Diskursen als Sündenböcke benutzt, während unser Leben abgewertet werden. Wir fordern unser Recht auf Existenz und Widerstand jenseits der Logik der Nützlichkeit, die uns auferlegt wird, um als „gute Migrant*innen“ zu gelten. Wir wollen Zugang zu Wohnraum, Bildung und reproduktiven Rechten, eine umfassende Gesundheitsversorgung und wirksame Maßnahmen gegen alle Formen von Gewalt. Wir haben nicht alle gewählt, aber wir alle leiden unter den Folgen. Redet nicht über uns ohne uns! Nicht eine weniger, nicht ein Recht weniger!
// Übersetzung: Josefina Lehnen

Colectiva Borregas Moradas – Bonn und Köln
Wir weigern uns „die guten, assimilierten Migrant*innen“ zu sein! Am 8. März spannten wir eine Wäscheleine voller migrantischen Geschichten in der Bonner Innenstadt auf. Ein lateinamerikanischer Mann kam zu uns und sagte, sexuelle Belästigung sei die Schuld der Männer, die als Geflüchtete in Deutschland leben. Wir versuchten, ihn dazu zu bringen, die schmerzhaften und komplexen Geschichten von weiblichen und queeren Migrant*innen zu lesen, aber er weigerte sich. Er sagte, er sei nicht wie andere Migranti*nnen, er arbeite und passe sich an. Dieses Gespräch geschieht vor dem Hintergrund des einwanderungsfeindlichen Diskurses, der in der Politik, in den Medien, zwischen den Menschen zu spüren ist und sich in letzter Zeit verstärkt. Als Latinxs werden wir manchmal als die „guten Migrant*innen“ beurteilt, weil viele von uns für ein Studium oder eine formale Arbeit kommen, weil wir nicht so viele sind, weil unsere Länder christlichen Religionen angehören. Wir weigern uns, diese Verkürzung zu akzeptieren. Wir glauben nicht an den Mythos der „guten Migrant*innen“. Wir erleben Rassismus und Prekarität, egal, wie wir in dieses Land gekommen sind, wie viel Deutsch wir sprechen und wie angepasst wir sind. Wenn wir auf die Straße gehen, werden wir exotisiert, gefürchtet und nur dann für gut befunden, wenn wir uns ruhig verhalten und alles, was uns von anderen unterscheidet, auslöschen. In diesem Kontext von Angst und Desillusionierung werden wir weiterhin unsere Solidarität mit anderen Gruppen stärken, die von diesem Rechtsruck betroffen sind.
// Übersetzung: Josefina Lehnen

Conuco – Leipzig
Die Angst transformieren
Conuco ist ein Kollektiv, das an die gemeinschaftliche Kooperation und den Widerstand glaubt. Unser Name („Conuco“ bedeutet kleiner Anbauplatz auf der Sprache der Taínxs. Das Wort wird in der Karibik verwendet, Anm. d. Red.) ehrt den Kampf derer, die das Land schützen und nicht nur Nahrung, sondern auch Unterstützungsnetzwerke sähen. Wir treffen uns, diskutieren, lernen und entwickeln Strategien, um Angst in Chancen zu verwandeln.
Angesichts der Wahlen in Deutschland belastet uns die Instabilität und Unsicherheit. Angst ist in den Gesprächen, im Schweigen der Unterdrückten und in der Vorsicht der über ihren Aufenthalts- und Sicherheitszustand besorgten Migrant*innen fühlbar. In der Arbeit mit Geflüchteten sehen wir, dass sie nicht mehr willkommen sind. Ihr Leben befindet sich in einem Schwebezustand zwischen einem falschen Zukunftsversprechen und einer nicht wiederherzustellenden Vergangenheit. Im Kulturbereich erfahren wir die Kürzungen, die künstlerische Ausdrucksformen ersticken und zensieren. In der Wissenschaft sehen wir, wie die Leugnung des Klimawandels Ökosysteme, Gemeinschaften und Klimagerechtigkeit gefährdet.
Aber Angst kann nicht durch Unterwerfung bekämpft werden, sondern durch Aktion, Zusammenarbeit und die Rückeroberung von Räumen, die uns fast entrissen wurden. Wir können es uns nicht leisten zu erstarren. Die aktuelle Situation ist ein Aufruf zur Stärke und Einheit, aufzustehen, die Angst in Trotz und Motivation zu verwandeln und unsere Geschichten sichtbar zu machen.
// Übersetzung: Daniel Sarmiento

Bloque latinoamericano – Berlin
Ein weiterer Schritt in Richtung Vergangenheit
Die Wahlen haben keinen Zweifel daran gelassen: Wir erleben einen Aufstieg der Rechten (CDU) und der extremen Rechten (AFD). Gleichzeitig strafte die Bevölkerung die Ampelkoalition für ihre kriegstreiberische, wirtschaftlich und sozial nachlässige Politik ab. Diese Entwicklungen kamen jedoch nicht überraschend, überraschend waren vielmehr die Ergebnisse der Partei Die Linke: Eine fast nicht mehr existierende Partei, die ihre Stimmenzahl verdoppeln konnte und Zehntausende neuer Aktivist*innen für den Wahlkampf gewinnen konnte.
Dies zeigt: Die aktuelle institutionelle und wirtschaftliche Krise wirkt sich direkt auf die „gemäßigten“ Parteien aus. Angesichts der tiefgreifenden Probleme entscheidet sich die Bevölkerung für radikale Lösungen. Zweitens war und ist die Migration das zentrale Thema, das herangezogen wird, um den Abbau sozialer Rechte und die Repression gegen die Bevölkerung zu rechtfertigen.
Gleichzeitig gelang es der CDU, in einer expliziten Demonstration von Lobbyismus und politischem Zynismus, ein Maßnahmenpaket zu verabschieden, das darauf abzielt, die Wirtschaft durch die Kriegsindustrie wiederzubeleben. Die Zukunft wird also von Kürzungen in unproduktiven Bereichen und verstärkten Investitionen in die Rüstung geprägt sein. Wie uns die Geschichte bereits gezeigt hat, werden Waffen hergestellt und auch eingesetzt. Aber die Toten werden immer von der arbeitenden Bevölkerung gestellt. Welches Land wird als nächstes die „europäischen Werte“ übernehmen sollen, koste es, was es wolle?
// Übersetzung: Carla Venneri

Unidas por la paz – Berlin
Berlin – Das letzte gallische Dorf?
Die Bundestagswahl endete ohne große Überraschungen. Wir wussten bereits, wer der nächste Kanzler sein wird und dass die Rechtsextremen abräumen werden, denn die Vorwahlkampfzeit war von einem einzigen Thema geprägt: Migration.
In Deutschland wie in der ganzen Welt verschiebt sich die Politik nach rechts. Die AFD hat erfolgreich einen rassistischen, einwanderungsfeindlichen Diskurs normalisiert, in dem jede Person, die nicht zu dem Standardaussehen der Mehrheitsbevölkerung passt, als potenzielle Gefahr für die Gesellschaft gebrandmarkt wird, ob sie nun einen deutschen Pass besitzt oder nicht. Die zugewanderte Bevölkerung muss sich nach diesem Diskurs den vermeintlichen Normen und Werten einer weißen Mehrheit unterwerfen. Wer sich nicht unterordnet, soll besser gehen. Jede*r Asylbewerber*in ist ein potenzieller Terrorist, der, da er nicht im Mittelmeer ertrunken ist, am besten an der Grenze erschossen werden sollte. Zu diesen faschistischen Tendenzen haben sich Figuren wie die einst kommunistische Wagenknecht gesellt, bei der glücklicherweise die Rechnung nicht aufging. Wir, in den migrantischen Communities, insbesondere jenen unten links, beobachten dieses Phänomen mit Sorge und Angst um unsere Zukunft in diesem Land, auf diesem Kontinent, auf diesem Planeten. Vielleicht ist es deshalb so erfreulich, ein wenig Licht im Dunkel zu sehen – wie die Tatsache, dass in Neukölln oder Kreuzberg Hunderte von deutschen Bürger*innen mit offensichtlichem Migrationshintergrund, z.B. Dutzende von Frauen mit Hidschab, für die einzige wirkliche Alternative zu dieser faschistischen Welle gestimmt haben: Die Linke. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat dieser Teil der Bevölkerung in so großer Zahl gewählt. In Neukölln gewann der kurdischstämmige Ferat Koçak mit 30 Prozent der Stimmen. Es ist das erste Direktmandat für den Bundestag, das Die Linke in Westdeutschland gewinnt. Noch ist nicht alles verloren, auch wenn Berlin das letzte gallische Dorf zu sein scheint.

Asamblea en Solidaridad con Argentina – Berlin
Internationale Solidarität statt Repression und rechte Hetze!
Die Wahlen haben ein alarmierendes Bild hinterlassen: Die extreme Rechte hat zugelegt, mit der AfD als zweitstärkster Kraft. Noch besorgniserregender ist jedoch, dass traditionelle Parteien wie die CDU, deren einwanderungsfeindlichen Diskurs übernehmen. Die Linke erreichte 8,77 %, teilweise mehr aus Angst, aus dem Parlament ausgeschlossen zu werden, als aufgrund eines bereits konsolidierten Wiederaufstiegs. Dennoch erzeugte dies Enthusiasmus und neue Mitgliedschaften in der Hoffnung, dass die Parteistruktur erneuert werden kann. Während die Bundesregierung die Grenzkontrollen verschärft und soziale Rechte abbaut, hat sie inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise den Militärausgaben Vorrang eingeräumt. Dies folgt dem gleichen Muster, das wir in Argentinien unter der Regierung von Javier Milei sehen: brutale Kürzungen, Abbau des Staates und Repressionen. Wir prangern diese Politik und ihre Auswirkungen an. Der Widerstand ist nicht nur lokal, sondern international: Der Kampf gegen Austerität und Repression erfordert die Artikulation von Kämpfen überall. Die Wahlbeteiligung von 83 % zeigt, dass die Politik wieder im Mittelpunkt steht. Aber das Wachstum der extremen Rechten erfordert den Aufbau echter Alternativen. Es reicht nicht aus, sich der extremen Rechten entgegenzustellen: Wir brauchen Vorschläge, die Rechte verteidigen und soziale Gerechtigkeit garantieren. Von Berlin aus setzen wir unseren Kampf fort, in Solidarität mit Argentinien und mit allen, die sich dem reaktionären Vormarsch entgegenstellen.
// Übersetzung: Josefina Lehnen

Latinas unidas – Frankfurt
Migrantische Feminismen – eine politische Kraft!
Die Wahlergebnisse zwingen uns als Migrant*innen in Deutschland zum Nachdenken. Obwohl Migration im Mittelpunkt des Wahlkampfes stand, haben die meisten von uns kein Wahlrecht. Stattdessen sind wir mit Rassismus, prekären Arbeitsverhältnissen, fehlendem Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und Kriminalisierung konfrontiert. Es ist an der Zeit, den Status quo in Frage zu stellen, der die Konstruktion von Bürger*innen erster, zweiter und dritter Klasse normalisiert. Der antifaschistische Schutzwall muss uns alle einschließen, denn die derzeitigen Spielregeln garantieren keine egalitäre und demokratische Gesellschaft.
Deutschland kann seinen multikulturellen Charakter nicht verleugnen. Von den Gastarbeiter*innen bis heute tragen Migrant*innen die Wirtschaft. Wir sind nicht nur Arbeitskräfte, wir sind kulturelles, akademisches und soziales Kapital. Das Narrativ eines bedrohlichen „Anderen“ weitet sich jedoch aus und lateinamerikanische Frauen und disidencias leben an der Schnittstelle von Rassismus, Patriarchat und Gewalt. Der Aufstieg der extremen Rechten bringt uns in Gefahr. Die Krise wird als Vorwand genutzt, um einwanderungsfeindliche und rüstungspolitische Maßnahmen zu verstärken und unser Leben aus einer merkantilistischen Logik heraus zu einem Druckmittel zu machen, wie es auch bei dem Völkermord in Palästina der Fall ist.
Unser Kampf ist feministisch, antirassistisch und antikapitalistisch. Wir wählen nicht, aber wir leisten Widerstand. Wir sind keine Opfer, wir sind eine politische Kraft.
// Übersetzung: Josefina Lehnen

Colombia solidaria – Hamburg
Weiße Vorherrschaft in ihren vielen Schattierungen
Deutschland hat uns in den Wahlen ein unerwünschtes Gesicht gezeigt. War dieses Potential an Gewalt schon immer unter uns? Die Antwort ist in verschiedenen Grautönen schattiert. Die AFD gewinnt an Einfluss und der politische Diskurs verschiebt sich nach rechts. Es gibt immer noch eine funktionierende und alltägliche weiße Vorherrschaft. Um sie loszuwerden, muss man nicht nur die eine oder andere Partei wählen. Es ist eine spirituelle Arbeit vonnöten, die darin besteht, den unendlich langen Faden nachzuzeichnen, der die menschlichen Beziehungen miteinander verwebt und uns alle durch die einfache Tatsache, dass wir leben, gleich macht. An diesem Punkt haben Deutschland, Europa und die weiße Gemeinschaft als solche eine unerledigte Aufgabe mit sich selbst. Dabei besteht glücklicherweise ein großes Potenzial, die koloniale Brutalität, die seit mindestens 500 Jahren fortbesteht, zu beenden und wiedergutzumachen.
Diese alltägliche, verinnerlichte rassistische Vorherrschaft hält den Großteil der Bevölkerung relativ gefügig, trotz grober Menschenrechtsverletzungen innerhalb, außerhalb und an den Grenzen dieses Landes. Ich möchte glauben, dass die Mehrheit der (weißen) Deutschen mit der herrschaftlichen Dynamik von Unterdrückung und Herrschaft nicht einverstanden ist. Aber was sie tun werden, um eine weitere Radikalisierung einer rassistischen Politik zu verhindern, bleibt offen. Deshalb ist die Frage, was wir als Migrant*innen tun können. ColSol organisiert Veranstaltungen, die sich mit dem Kampf gegen Rechts und Rassismus auseinandersetzen. Denn: Nie wieder ist heute!
// Übersetzung: Carla Venneri

Las Cayenas – Marburg
Mit erhobener Faust auf der Straße
Nach den Wahlen stehen wir aufrecht, mit brennenden Erinnerungen und erhobenen Fäusten. Der feministische Kampf ist vielfältig und vereint alle, die Widerstand leisten: feminisierte Körper, Dissidenten, Migrantinnen. Unsere Stärke liegt in der Vielfalt.
Der Feminismus im Süden ruft zum Streik auf, um die Welt daran zu erinnern, dass ohne uns nichts geht. Wir sind eine Flut, die Angst vertreibt und patriarchale sowie koloniale Macht herausfordert. Die Rechte erstarkt weltweit, mit ihrer hasserfüllten Rhetorik und ihren tödlichen Projekten. In Deutschland stellen rechte Kräfte Errungenschaften wie das Selbstbestimmungsgesetz in Frage und verweigern uns unsere Rechte, in dem sie den Paragraf 218 nicht streichen. Sie bedrohen unsere Existenz.
Migrant*innen erleben Prekarität und Ausgrenzung. Hohe finanzielle Hürden für Visa treiben uns in unsichere Arbeit, während wir Steuern zahlen, aber nicht mitbestimmen dürfen. Dazu kommen Sexismus und Gewalt in Alltag und Beruf. Die Rechte errichtet Mauern, schließt Grenzen und verweigert uns Dokumente. Sie können versuchen, uns auszulöschen, aber nicht von der Straße holen. Wir sind da, schreien, kämpfen und gehen vorwärts. Wir sind Wut, wir sind Protest und Widerstand. Unsere Stimmen brechen die Stille. Wir sind hier – und wir bleiben.
Kollektive:
Nu unx menos RED – Nürnberg
Colectiva Borregas Moradas – Bonn und Köln
Conuco – Lepzig
Bloque Latinoamericano – Berlin
Unidas por la Paz – Berlin
Asamblea en Solidaridad con Argentina – Berlin
Latinas Unidas – Frankfurt
Colombia Solidaria – Hamburg
Las Cayenas – Marburg