El Salvador | Nummer 324 - Juni 2001

Wir sind wieder da!!

Das neue Bild der Armee in El Salvador

„Bürger von San Cayetano Istepeque; die Streitkräfte von El Salvador laden Sie herzlich ein, der Übergabe der 1384 provisorischen Häuser beizuwohnen, welche die Armee in dieser Gemeinde und in Tepetitán erstellt hat. Die Bürgermeister beider Gemeinden und ein Abgeordneter des Departements San Vicente werden uns bei diesem Festakt begleiten.” Erneut dröhnt Musik von Techno bis Salsa aus den Lautsprechern auf einem Dorfplatz im Departement San Vicente, der bis vor kurzem noch von malerischen Lehmhäusern umringt war. Auch die an der östlichen Seite thronende Kirche gibt es nicht mehr, das Erdbeben vom Februar dieses Jahres machte in San Cayetano Istepeque 95 Prozent der Familien obdachlos. Während der Oberst die Grußworte spricht, sitzen die beiden Bürgermeister und der Abgeordnete brav am Ehrentisch. Sie gehören alle der oppositionellen FMLN an, welche noch vor zehn Jahren die selbe Armee mit den Waffen bekämpft hatte. Die Remilitarisierung El Salvadors ist in vollem Gang.

Franco Weis

Während der Friedensverhandlungen Anfang der 90er Jahre waren die Punkte betreffs der Streitkräfte und deren unzählige Menschenrechtsverletzungen nicht grundlos heikel und zeitraubend. Nach langen Monaten gab die FMLN nach und die Armee blieb als solche bestehen. Weder wurde sie abgeschafft, noch mit außenstehenden Elementen angereichert. Im Gegenzug hielt sich die Armee recht genau an das Abkommen, verkleinerte sich, schluckte das stagnierende Budget jahrelang ohne Widerrede und zog sich in die Kasernen zurück.
Politisch und moralisch belegte eine unabhängige Wahrheitskommission die Verantwortung von Armee und Polizei für über 90 Prozent der begangenen Menschenrechtsverletzungen während des Krieges. Strafverfolgungen allerdings wurde mit einer Blitzamnestie vorgebeugt, deren Gültigkeit bis heute umstritten ist (Argentinien läßt grüßen). Die geschassten Generäle verließen die Armee durch die Hintertür, wurden allerdings großzügig abgefunden und gehen heute als Geschäftsleute ihren Interessen nach. Dass die Armee sich mit ihrer neuen Rolle abgefunden hat und diese entsprechend spielt, wurde im Lande allgemein anerkannt und als ein Erfolg des Friedensprozesses gewertet.

1998: Mitch verursacht Überschwemmungen

Im November 1998 überflutete der Lempafluss nach den Niederschlägen, die der Wirbelsturm Mitch verursacht hatte, weite Landstriche im Mündungsgebiet. Hunderte von Familien wurden abgeschnitten. Die linken Gemeinderegierungen und die in dieser ehemaligen Guerillahochburg arbeitenden NRO sowie Basisorganisationen forderten den Einsatz von Hubschraubern. Indem die Armee nicht nur zahlreiche Luftrettungen durchführte, sondern Hilfsaktionen auch mit Lastwagen und Soldaten unterstütze, kam sie auf alle Titelseiten.
Die “selbstverständliche“ Bereitschaft der Armee, die Polizei in ihren Bemühungen gegen die Kriminalität zu unterstützen, stieß in dieser Zeit nur auf schwache Proteste. Der Großteil der Leute hat im gewalttätigsten Land Lateinamerikas Angst vor Delinquenten und die Armee vermittelte eine vermeintliche Sicherheit.

Vom Retter in der Not …

Mit rund 30.000 SoldatInnen (es gibt auch einige Frauen) ist die Armee nach wie vor erheblich umfangreicher als zum Beispiel die Polizei. Da kommt es der Zentralregierung natürlich gelegen, diese Kapazitäten zu nutzen, denn im ersten Moment werden die Staatsfinanzen dadurch nicht beansprucht.
Nach den verheerenden Erdbeben im Januar und Februar dieses Jahres setzte die Armee ihre wenigen, aus Kriegszeiten verbliebenen Hubschrauber ein. Allerorts begann die Armee Präsenz zu markieren. Zuerst fragten sie noch respektvoll die „señores alcaldes“, ob es diesen auch genehm sei, wenn die Soldaten bei der Trümmerräumung helfen würden.
Mittlerweile ist dies nicht mehr nötig. Die Armee hat sich wieder legitimiert und wird allerseits in den höchsten Tönen gelobt. Selbstlos unterstützt sie die, von der Regierung privatisierte – aber an ARENA nahe stehende Unternehmen vergebene – Koordination der Hilfsleistungen und gewährt mit grimmig behelmten Militärpolizisten die Sicherheit der durchgeführten Hilfsgütertransporte. Dass General Perdomo, verantwortlich für die Abwicklung der Operation, von einem französischen Gericht wegen Mordes an der Krankenschwester Madeleine Lagedec international zur Verhaftung ausgeschrieben ist, scheint dabei niemanden zu stören.
Das Wohnproblem ist nach den beiden Erdbeben, die 20 Prozent der Bevölkerung obdachlos gemacht haben, zu dem wichtigsten Punkt für den Wiederaufbau des Landes avanciert. Auch hier darf die Armee nicht fehlen. Mit 15 Millionen US-Dollar sollen rund 70.000 provisorische Behausungen von Armeeangehörigen vorfabriziert und installiert werden. Weitere Wohneinheiten werden von Häftlingen gefertigt. Dass dafür auch noch ein Wohnbauministerium existiert, schien niemandem aufgefallen zu sein. Dessen Budget wurde für 2001 nicht erhöht und stagniert bei umgerechnet fünf Millionen US-Dollar.
Währenddessen haben in San Cayetano Istepeque und in Tepetitán 1384 Familien mit durchschnittlich 5 bis 6 Mitgliedern das zweifelhafte Glück, die kommende Regenzeit in Wellblechbaracken von 3 auf 4 Metern erwarten zu dürfen, die im Volksmund „Mikrowellengrills genannt werden.
Da alles militärisch organisiert ist, bleibt weder Zeit, die Leute zu fragen, ob sie Wünsche anzubringen hätten, noch deren Mitarbeit zu organisieren. Die Koordination mit den Gemeinderegierungen und anderen lokalen Akteuren wird – außer für die Einladung zur Einweihung – überhaupt nicht gesucht.
Nun bleibt die Armee allerdings nicht hier stehen, sondern blickt forsch in die Zukunft. So hat derselbe General Perdomo im Namen der Streitkräfte bereits die Aufgabe übernommen, anläßlich der mit Sicherheit eintretenden Notsituationen in der von Mai bis November dauernden Regenzeit, die offiziellen Flüchtlingslager einzurichten und zu verwalten.
Diese neuen Aufgaben werden damit von einer, ihrem Mandat nach denkbar ungeeigneten Institution betrieben. Denn lokal abgestützte, demokratischere und basisorientierte Kapazitäten könnten nicht nur in Krisensituationen schneller, effizienter und bedürfnissorientierter reagieren. Stattdessen wird nun eine zentralstaatliche Stelle gestärkt, die historisch für die Unterdrückung der Bevölkerungsmehrheit und zahllose Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist.

… zur omnipräsenten Institution

Laut einer Zeitungsmeldung vom 5. April hat das Straßenbauministerium der Armee 51 Straßenbaumaschinen übergeben, damit sie in jedem Teil des Landes eingesetzt werden können. Dies ist unter anderem die Folge einer Personalreduktion von rund 5000 auf 700 Angestellte (durch massive Frühpensionierungen und abgefundene Entlassungen) in eben diesem Ministerium – gerade einmal 45 Tage nach dem schweren Erdbeben. Somit sind die Gemeinderegierungen zukünftig gezwungen bei der Armee anzuklopfen um anzufragen, ob diese vielleicht Zeit und Lust hätte, gewisse Straßen zu reparieren.
Eine weitere Schlagzeile derselben Woche titelt, dass nun “die Armee gegen Entführerbanden” eingesetzt werden soll. Die Häufung von Entführungen, vor allem auch von Mitgliedern reicher Familien – die Mittelschicht bezahlt und reicht meistens gar keine Klage ein –, hat die offiziellen Kreise aufgeschreckt. Angesichts der bewusst herbeigeführten Unfähigkeit einer kastrierten, militarisierten und politisierten Polizei und eines korrumpierten und ineffizienten Justizwesens ist die Armee einmal mehr der Rettungsanker.
Bereits seit Jahren begleiten Soldaten die Polizei – in einem Verhältnis von sechs zu eins – auf Patrouille im Landesinnern. Eine seriöse Auswertung darüber hat nie stattgefunden. Aber die Tatsache, dass die Kriminalität weiterhin eine der Hauptsorgen der Bevölkerung ist, könnte als Indiz für die relative Erfolglosigkeit dienen. Andererseits kann die Armee so ihr Prestige verbessern und die Bevölkerung wieder an Olivgrün im Straßenbild gewöhnen.

Alles hat seinen Preis

Die grundsätzliche Frage, ob für Häuserbau, Nahrungsmittelverteilung, Luftrettung, etc. überhaupt eine Armee benötigt wird, ist allerdings noch nicht beantwortet. Auch nicht die Frage nach dem Preis. Diesen beginnen die Militärs nun zu berrechnen.
Neue Helikopter würden sie in erster Linie benötigen, da die Hilfsoperationen diese arg in Mitleidenschaft gezogen hätten. Und so macht sich die Verteidigungskommission des Parlaments auf, die USA um neue Helikopter anzubetteln. Denn diese wurden schon zu Kriegszeiten jeweils gratis geliefert. Selbst die FMLN-ParlamentarierInnen stimmen in diesen Chor ein.
Und auch aus der so genannten Zivilgesellschaft sind keine kritischen Stimmen zu vernehmen. 30 Millionen sollen die sechs neuen Hubschrauber (ohne die militärische Ausrüstung) kosten – knapp ein Drittel des aktuellen Jahresbudgets der Armee. Dabei ist keine Rede davon, dass diese Luftfahrzeuge viel sinnvoller der Polizei, einer Katastrophenschutzorganisation oder wem auch immer zur Verfügung gestellt werden könnten.
Die Militärs haben durchaus strategische Interessen zu vertreten. Im Jahre 2004 sind in El Salvador Präsidentschaftswahlen und falls sich die Linke nicht erneut zerstreitet, könnte das Land einen historischen Wechsel erleben. Die Wunden des vergangenen Krieges sind bei weitem nicht verheilt und – Argentinien, Uruguay und Chile lassen grüssen – weite Kreise könnten Gerechtigkeit und damit Verfahren und Verurteilungen gegen die Haupttäter einfordern. Eine in der Bevölkerung breit verankerte, nützliche und omnipräsente Armee wäre unter diesen Umständen sehr viel weniger angreifbar.
Mittel- und langfristig befindet sich die salvadorianische Gesellschaft in einer tiefen wirtschaftlichen und moralischen Krise, die durch die Erdbeben noch zusätzlich verschärft wurde. Die stetige massive Migration – bereits rund 20 Prozent der Bevölkerung leben unter anderem in den USA, schicken jeden achten US-Dollar des Bruttosozialproduktes quasi als Geschenk ins Land an ihre Familien – zerrüttet die Gesellschaft und zerstört die letzten Reste von kultureller Identität.

Sehnsucht nach der starken Hand

Gegenüber einer ineffizienten Polizei und einem korrumpierten Justizapparat scheint die einheitlich und effizient auftretende Armee für viele die richtige Adresse um eine harte Hand gegen die grassierende Kriminalität einzufordern. Denn nicht wenige erinnern sich positiv an die Militärdiktatur von Martínez, der vor 60 Jahren noch Dieben die Hand abhacken ließ.
Dass er anläßlich eines Indianeraufstandes 1932 auch noch 30.000 Indigenas umbringen ließ, ist im Geschichtsbewusstsein der Bevölkerung kaum verankert. Sie lassen die Sehnsucht nach Identifikationsfiguren deutlich werden.
Aber weder vom Präsidenten noch von irgendeiner anderen Person aus der völlig verrufenen politischen Klasse fühlen sich die meisten SalvadorianerInnen vertreten. Die katholische Kirche erinnert sich unter dem Opus Dei Erzbischof Saenz Lacalle mit Wehmut an den gesellschaftlichen Einfluss von Monseñor Romero, und die sozialen Organisationen sind schwach, zersplittert und teilweise in der Vergangenheit gefangen.
Diese Abwesenheit von nationalen Identifikationsfiguren, sei es im guten oder schlechten Sinne, bereitet somit, zusammen mit der tief greifenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Krise, das Terrain für die Armee vor. Denn es besteht die Gefahr, dass sie sich angesichts des Rufes nach harter Hand und Verlässlichkeit in Zukunft erneut als Retter der Nation aufspielen und präsentieren wird.

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