El Salvador | Nummer 201 - März 1991

“Wir werden unseren Namen nicht ändern”

Interview mit Shafik Handal, dem FMLN-Kommandanten, Leiter der Verhandlungskommission und Generalsekretär der Kommunistischen Partei EI Salvadors, am 23. Februar 1991 in Frankfurt am Main

LN

Frage: Die FMLN wird die Wahlen nicht boykottieren. Heißt dies,daß sie die Convergencia aktiv in ihrem Wahlkampf unterstützen wird? Die UDN wird sich ebenfalls an den Wahlen beteiligen. Ist das nicht eine Zersplitterung der Linkskräfte? Warum konzentriert man sich nicht auf ein Bündnis?

Tatsächlich hat sich die FMLN entschieden, die Wahlen nicht einseitig zu boykottieren. Die Teilnahme der UDN ist keine Zersplitterung der Linken in E1 Salvador. Die Oppositionsparteien haben eine einheitliche Plattform vereinbart. Eine Plattform, die eine Demokratisierung auf der Grundlage der Demilitarisierung propagiert, und die im wesentlichen mit den Forderungen der FMLN übereinstimmt. Warum also keine formale Koalition? Nach dem bei uns herrschenden Wahlsystem werden die kleineren Parteien, wenn sie eine Listenverbindung eingehen, benachteiligt. Es gehen in dieser Form bei der Auszählung Parlamentssitze verloren. (Anders sieht es bei den Präsidentschaftswahlen aus.) Es gibt also einen gemeinsamen Block der Opposition, aber keine Einheitsliste.

Diesmal geht es – vielleicht…

Zurück zum Anfang der Frage; warum boykottiert die FMLN die Wahlen nicht, was unterscheidet diese von all den vorangegangenen Wahlen? Nicht etwa, daß diese Wahlen frei und demokratisch seien. In der aktuellen Konjunktur hat sich ein breiter Zusammenschluß oppositioneller Strömungen ergeben. Wie auch immer das Regime sich dazu verhalten wird und ob sich die Oppositionsparteien im letzten Augenblick noch dazu entschließen, sich aus dem Wahlprozeß zurückzuziehen oder nicht, dieses Zusammengehen der Opposition wird die Kräfteverhältnisse in E1 Salvador nachhaltig verändern. Es handelt sich bei der augenblicklichen Konjunktur um eine große politische Schlacht, und die Aufgabe der FMLN ist es natürlich, sie zu fördern, nicht sie zu behindern. Wollte man in dieser Situation fragen, ob diese Wahlen nicht die Gefahr in sich bergen, das Regime zu legitimieren oder ob sie demokratisch sind oder nicht, würde man von der realen und konkreten Konjunktur abstrahieren. Die Antwort müßte zweifelsohne dazu führen, die Wahlen zu boykottieren. Die FMLN wird dies nicht tun, um sich der aktuellen politischen Mobilisierung und dem Zusammenströmen der Kräfte nicht in den Weg zu stellen.
…trotz tiefgreifender Kritik

Gleichzeitig hält die FMLN eine sehr tiefgreifende Kritik an dem herrschenden Wahlsystem und diesen Wahlen aufrecht. Die politische und soziale Opposition verfährt in diesem Punkt genauso. Sie säen keine Illusionen und falsche Hoffnungen, was den Charakter der Wahlen angeht. Gleichzeitig hat die FMLN beschlossen, nicht dazu aufzurufen, die eine oder andere Partei zu wählen. Wenn sich je doch die Parteien entschließen sollten, von einer Wahlteilnahme abzusehen, wird die FMLN diese Entscheidung mittragen. Und so kann es zu einem Boykott kommen, der mehr ist, als ein rein militärischer Boykott. Festzuhalten bleibt, daß wir auf keinen Fall unsere Meinung geändert haben und nun proklamieren, daß die Wahlen der Weg zur Demokratie sei. Es geht vielmehr darum, alle Formen des Kampfes möglichst optimal zu kombinieren, so daß alle je nach ihren Möglichkeiten zu diesem Kampf beitragen können.

Frage: Noch vor kurzem vertrat die UNTS die Meinung, daß sie sich nicht an den Wahlen beteiligen werden. Sie gingen sogar so weit zu sagen, daß wenn sich Linksparteien zur Wahl stellen, wäre dies ein CIA-Projekt. Jetzt sind zwei Führungspersonen der UNTS auf der Kandidatenliste der UDN. Hat es da einen Meinungswechsel gegeben?

Es hat über diese Frage in allen Organisationen – auch der FMLN – Debatten gegeben. Was Du sagst ist richtig, aber diese Phase ist mittlerweile überwunden. Die UNTS unterstützt inzwischen die gemeinsame Vorgehensweise, die ich eben
skizziert habe.

Kommunikationsprobleme

Frage: Es gibt also keine gemeinsame Liste, sondern eine gemeinsame Plattform. Gibt es denn Absprachen über gemeinsame Kandidaturen, damit über die Verteilung der Bürgermeisterämter keine Konkurrenzen auftreten? Konkret: Wieviel Kandidaten gibt es für das Bürgermeisteramt von San Salvador?

Was konkret den Kandidaten für das Bürgermeisteramt von San Salvador angeht, gab es bis zum letzten Augenblick gewaltige Anstrengungen, einen Einheitskandidaten der Opposition aufzustellen, weil hier eine sehr wichtige Auseinandersetzung mit ARENA stattfinden wird. Als dann eine Regelung gefunden wurde, war die gesetzlich festgelegte Frist bereits verstrichen.

Frage: Was heißt das nun? Gibt es jetzt vier Kandidaten?

Einschließlich des ARENA-Kandidaten werden es vier sein.

Frage: Wenn beim wichtigsten Kandidaten die Convergencia und die UDN
zwei verschiedene Personen gegeneinander aufstellen, kann es sich doch nicht um ein gemeinsames Vorgehen handeln, sondern offensichtlich um zwei getrennte Wege. Das hört sich doch verrückt an?

Klar, das wäre logisch und wünschenswert, aber die Sache ist nun einmal so, wie
ich sie geschildert habe. Eine Übereinkunft ist in dieser Frage nicht zustandegekommen. Es hat tatsächlich große Anstrengungen gegeben. Die PDC ist vorgeprescht mit einer Kandidatur und erhob so ihren Anspruch. Man hatte sich kurz vorher schon fast auf die der PDC nahestehende Amanda Viliatoro geeinigt, aber die PDC machte da nicht mit und stellte Frau Azcúnaga auf. Dann gab es den Versuch, wenigstens einen Kandidaten für UDN und Convergencia zu nominieren, aber das hat dann auch nicht geklappt. So sieht es aus. In anderen Orten ist es jedoch gelungen, einheitliche Kandidaten der Opposition aufzustellen.

Frage: Ist die Teilnahme der Opposition an den Wahlen dahingehend zu interpretieren, daß sie nun in Zukunft mehr auf den zivilen Weg setzt, als auf den militärischen? Es gibt da das Beispiel Kolumbien.

Keine Änderung der Strategie

Für die FMLN kann ich versichern, daß wir nicht vorhaben, unsere politische Strategie zu verändern. Was das kolumbianische Beispiel angeht, so wird die Demobilisierung zweier Guerillaorganisationen gerne als Ergebnis der internationalen Ereignisse interpretiert. Das sehen wir nicht so. Sie hat viel früher eingesetzt, als die Veränderungen in Osteuropa und haben damit zu tun, daß es diesen Organisationen in ihrem jahrelangen Kampf nicht gelungen ist, sich in der Bevölkerung hinreichend zu verankern und von daher seit einiger Zeit angefangen haben, nach anderen Strategien Ausschau zu halten. Richtig ist sicherlich, daß die Ereignisse im Osteuropa die Erosionsprozesse beschleunigt haben. Eine ähnliche Situation liegt bei der FMLN nicht vor.

Frage: Wird es für die in den von der FMLN kontrollierten Zonen lebenden
Menschen möglich sein, zur Wahl zu gehen?

Wir haben dazu folgende Position: Es wird keine Wahlen in den Konfliktzonen geben. Aber wir werden nichts unternehmen, um die Menschen daran zu hin- dem, in den jeweiligen Provinzhauptstädten zu wählen. Die Wahlen finden im offenen Krieg statt, und damit sind sie immer auch in einer militärischen Logik und als militärischer Vorgang zu sehen. Wir können nicht erlauben, daß es militärische Operationen in den von uns kontrollierten Zonen stattfinden. All dies natürlich nur unter der Voraussetzung, daß die Parteien bis zum Schluß dabei bleiben, an den Wahlen teilnehmen zu wollen.

Frage: Gibt es in der KP unterschiedliche Einschätzungen zur Sowjetunion?

Eigenen Kopf benutzen!

Innerhalb der PCS gibt es keine großen Meinungsverschiedenheiten über die Entwicklung der SU und der jüngeren Entwicklung. Wir sind uns einig darüber, daß es im Grunde nie um ein sozialistisches Modell ging. [..I. Worüber es eine große Debatte in unserer Partei gibt, ist die Frage nach der Erneuerung des sozialistischen Denkens. Wir müssen in dieser Frage unseren eigenen Kopf benutzen und aufhören, uns Modelle aus anderen Teilen der Welt überzustülpen. Wir nehmen aktiv teil an der Diskussion der gesamten lateinamerikanischen Linken. Im letzten Jahr gab es ein sehr wichtiges Treffen linker Organisationen und Parteien – nicht nur von kommunistischen Parteien – in Sao Paulo; im Mai dieses Jahres wird ein weiteres in Mexiko stattfinden.
Wir salvadorianischen Kommunisten sind der Auffassung, daß es jetzt nicht darum gehen kann, eine neue Art der Kommunistischen Internationale in Lateinamerika aufleben zu lassen. Wir sind für einen breiteren Ansatz, für einen .Austausch der verschiedenen linken – auch nicht-kommunistischen Kräfte. Die Übernahme des sozialistischen Modells aus der Sowjetunion hat eine Art kirchliches Sektierertum hervorgerufen, mit dem wir in El Salvador schon in den 70er Jahren gebrochen haben. Unseren Namen werden wir jedoch nicht ändern.

Frage: Offensichtlich werden die Perspektiven des Sozialismus in E1 Salvador mit unterschiedlichen Stoßrichtungen, einschließlich sozialdemokratischer Orientierung diskutiert. Kannst Du näher erläutern, welche Positionen in der FMLN und in der KP besprochen werden?

Demokratische Revolution und Sozialismus

Wir sagen, daß wir uns in der Etappe der demokratischen Revolution befinden, wobei wir darauf beharren, daß die demokratische Revolution eine Etappe auf dem langen Weg zum Sozialismus ist.’ Wir verzichten nicht auf das sozialistische Projekt. Wir gehen davon aus, daß für Lateinamerika und für die gesamte sogenannte Dritte Welt keine Alternativen innerhalb des kapitalistischen Systems zur Verfügung stehen. Im allgemeinen werden in der lateinamerikanischen Linken die Entwicklung in Osteuropa nicht als Triumph des Kapitalismus verstanden, sondern in erster Linie als Niederlage des Sozialismus, genauer gesagt als Niederlage einer bestimmten Interpretation des Sozialismus. Das ganze Elend, das wir in Lateinamerika täglich erleben, hat untrennbar etwas mit der kapitalistischen Ordnung zu tun. Wir halten die Vorstellung, nach der es möglich sei, unsere Form von Kapitalismus in eine andere umzuwandeln, eine Form, wie sie beispielsweise in Westeuropa existiert, für außerordentlich naiv. Es hat in diese Richtung in der Vergangenheit viele Anstrengungen gegeben, die alle gescheitert sind. Es gibt für uns keine Möglichkeit, die Dritte Welt zu verlassen und Teil der ersten Welt zu werden. Es handelt sich dabei nicht um Entwicklungsstufen, die nacheinander zu durchlaufen sind. Es ist unmöglich, daß dieser abhängige Kapitalismus aufhört, als solcher zu existieren. Er funktioniert nur im Rahmen des weltweiten kapitalistischen Systems. Die logische Schlußfolgerung daraus ist, daß eine Entwicklungsperspektive für unsere Länder nur durch einen Bruch mit dem kapitalistischen System von Zentrum und abhängiger Peripherie denkbar ist. Unsere Meinung nach ist dies keine ideologische Frage, sondern eine praktische. Wir müssen freilich einräumen, daß die Realisierung eines neuen Modells, das weder kapitalistisch noch staatssozialistisch ist, zur Zeit nicht auf der Tagesordnung steht.

Frage: Welche Vorstellungen gibt es bei der FMLN bezüglich einer neuen Wirtschaftsordnung in El Salvador?

Gemischte Wirtschaft muß erkämpft werden

Wir haben natürlich keine fertigen Rezepte, keine bis ins Detail ausgearbeitete Pläne. Dennoch gibt es einige Elemente einer neuen Ordnung. Nach unseren Vorstellungen ist die Pluralität verschiedener Formen des Eigentums an Produktionsmitteln ein Bestandteil der demokratischen Revolution. Eine derartige gemischte Wirtschaft setzt allerdings tiefgreifende Eingriffe in der Eigentumsfrage voraus. An erster Stelle ist hier die Agrarreform zu nennen.
Ein weiteres Element ist die Suche nach alternativen Formen der Integration in den von den kapitalistischen Zentren beherrschten Weltmarkt, die Suche nach Spielräumen oder Marktlücken. Weiterhin müssen die Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern Lateinamerikas ausgebaut werden, Stichwort Süd-Süd-Kooperation. Eine Abkopplung vom Weltmarkt wird es nicht geben. Das bedeutete Autarkie. Nein, das ist unmöglich. Die Frage ist, wie wir uns in den Weltmarkt integrieren. Die Antwort auf diese Frage ist außerordentlich schwierig, und zur Zeit weiß wohl kaum jemand, wie dies genau zu bewerkstelligen ist.
Das Wirtschaftsmodell muß die Entwicklung der Produktivkräfte, eine Modernisierung der Technologie, sicherstellen. Natürlich müssen wir bei diesen Überlegungen von der aktuellen Realität ausgehen, und zwar so, daß wir die produktiven Fähigkeiten des ganzen Volkes zugunsten einer tatsächlichen Entwicklung kombinieren. Oder wie es die Chinesen zu Beginn ihrer Revolution ausdrückten; Der Gang mit einem traditionellen und einem modernen Bein.
Demokratische Partizipation gegen die Armut

Wir sind davon überzeugt, daß der Schlüssel für eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung darin liegen muß, die Partizipation der Massen in einem höchst- möglichen Maße zu garantieren. Um diese Partizipation zu erreichen, muß die Revolution ein Interesse an den Alltagsproblemen zeigen und ihre Fähigkeit beweisen, die Menschen in diesen Problembereichen zu organisieren. Ich beziehe mich dabei auf die brennenden Probleme des Massenelends, also die Mangelernährung, mangelnde Gesundheitsversorgung, Ausbildung und Wohnungen. Der einzige Weg, diese Probleme zu lösen ist die Beteiligung aller. Es handelt sich dabei um ein Modell des Übergangs hin zu einer Produktionsweise und einer Gesellschaft, die den Bedürfnissen der Menschen gerechter wird als die derzeitige.

Frage: Es ging vorhin um die Etappe der demokratischen Revolution. Ist das das strategische Konzept oder ein Übergangsmodell?

In dieser Konzeption hat die Demokratisierung tatsächlich ein strategisches Gewicht. Es handelt sich aber nicht um die Fortsetzung des bürgerlichen Wahldemokratie und der Gewährung bestimmter Freiheiten. Es geht um eine in jeder Hinsicht basisnahen Demokratie. Die Demokratisierung, die demokratische Revolution, ist nicht nur für die aktuelle Phase eine strategische Kategorie, sondern auch für alle zukünftigen Phasen, in denen die Massen, das Volk, zu bestimmen haben werden. Das scheint uns der richtige Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft.

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