„Wir wollen Homosexualität sichtbarer machen“
Ein Gespräch mit dem kolumbianischen Psychologen Pedro Patiño
Kolumbien ist ein stark militarisiertes Land. Oft geht die Militarisierung mit sehr traditionellen Moralvorstellungen und Männlichkeitsbildern in der Gesellschaft einher.
Das stimmt. Das Land ist sehr militarisiert, wir leben im Krieg und unsere Regierung ist extrem rechts. Aber die sozialen Bewegungen haben in den letzten Jahren nicht geschlafen. Der Kongress verhandelt zurzeit über ein Gesetz zur Legalisierung und rechtlichen Absicherung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, zum Beispiel in Bezug auf die Sozialversicherung. Das Gesetz ist bereits durch die erste Instanz und das ist schon ein historischer Erfolg! Aber es gibt auch massive Menschenrechtsverletzungen. In Kolumbien werden immer wieder Menschen umgebracht, weil sie homosexuell sind.
Wer steckt hinter solchen Morden?
Unterschiedlich. Manchmal Personen, die mit den Opfern bekannt waren, aber auch ultrarechte Gruppen, Paramilitärs. In Bogotá sind immer wieder Transvestiten, die als Prostituierte arbeiten, umgebracht worden. Öffentlichkeit und Justiz behandeln solche Morde meist als Racheakte zwischen lokalen Drogenhändlern. Aber einiges weist darauf hin, dass dahinter Gruppen stecken, die ein Programm so genannter „ethnischer Säuberung“ verfolgen. Das sind Paramilitärs, die im Auftrag von Leuten aus der Nachbarschaft angeblich „schädliche“ Personen umbringen: Kleinkriminelle, Drogenkuriere, und eben auch Transvestiten und Homosexuelle, die in der Prostitution arbeiten.
Es gibt auch Leute, die einfach mit einem Baseballschläger auf der Straße Transvestiten angreifen. Ich habe vor einigen Jahren eine Untersuchung zu homophober Gewalt gemacht. Fast alle Transvestiten, die ich befragte, waren schon einmal auf der Straße krankenhausreif geschlagen worden.
Das neue Zentrum, das ihr gerade aufbaut, soll die LGBT Szene sichtbarer machen. Wie sichtbar ist sie denn bisher in Bogotá und in Kolumbien?
Insgesamt sehr wenig. „Aus dem Schrank herauszukommen“, wie wir hier sagen, also sich zu outen, hat oft problematische Konsequenzen. Viele bekommen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder werden aus ihrer Wohnung geworfen. Das Zentrum soll auch ein Ansprechpartner sein für Menschen, die sich nicht gleich outen wollen. Diskretion und ein respektvoller Umgang sind grundlegend.
Wir wollen zunächst Homosexualität an sich sichtbarer machen. Zeigen, dass es eine LGBT Gemeinde in Bogotá gibt, und dass wir alle hier zusammenleben können, unabhängig von unserer sexuellen Orientierung. Unser Ziel ist nicht, dass sich möglichst viele Leute outen, sondern dass ein gesellschaftlicher Lernprozess stattfindet und sich Formen des Zusammenlebens jenseits der Homophobie entwickeln. Dass Schwule und Lesben nicht anders behandelt werden als Heterosexuelle, dass Homosexualität nicht als Krankheit betrachtet wird. Grundlegend ist dabei immer, eine so genannte „Reviktimisierung“ zu vermeiden – also, dass Schwule und Lesben auf eine Opferrolle reduziert werden.
Wie wird Eure Arbeit konkret aussehen?
Das Zentrum ist als Begegnungs- und Beratungszentrum für die LGBT Gemeinde und als Brücke zu anderen Teilen der Gesellschaft von Bogotá gedacht. Wir organisieren Kampagnen und kulturelle Veranstaltungen mit möglichst breitem Kommunikationseffekt, Filmfestivals, Geschichten- und Fotowettbewerbe. Darüber hinaus bieten wir Rechtsberatung und psychologische Begleitung für Gruppen, Einzelpersonen oder Familienangehörige an. Für bereits bestehende Projekte soll das Zentrum ein Raum sein, Infrastruktur und Unterstützung für eigene Ideen zu bekommen. Dabei wollen wir auch die Zusammenarbeit zwischen schwul-lesbischen Gruppen und anderen Institutionen stärken, um Diskriminierung entgegenzuwirken.
Welche Institutionen sind das?
Zum Beispiel die Polizei. Es gibt viele Fälle von polizeilichen Übergriffen auf Homosexuelle. Bei Drogenrazzien geht die Polizei gegen Schwule und Lesben oft besonders brutal vor. Typisch ist auch, dass Homosexuelle sich ausziehen müssen, was sonst nicht der Fall ist. Wir versuchen, sowohl die Leute über ihre Rechte aufzuklären, als auch die Polizei zu sensibilisieren.
Ist die Polizei dazu bereit?
Wir müssen strategisch vorgehen. Da das Zentrum von der Stadt unterstützt wird, werden wir wahrscheinlich dauerhaft einen Polizisten vor Ort für die Sicherheit haben. Auf diesem Weg entsteht also auf jeden Fall ein Kontakt. Durch diese Präsenz versuchen wir, eine gewisse Sensibilisierung der Polizei zu erreichen und daraus langfristig Aktivitäten im größeren Rahmen zu entwickeln, Seminare mit größeren Gruppen von Polizisten.
Da das Zentrum mit Unterstützung der Stadtregierung aufgebaut wird, kommt es in gewisser Weise „von oben“. Stoßt ihr auch auf Misstrauen in der LGBT Gemeinde?
Bei einigen ja. Wir spüren, dass es teilweise Widerstand gegen das Zentrum gibt, sowohl von Seiten der Bevölkerung im Allgemeinen als auch von einigen Menschen aus den LGBT Gruppen selbst. Manche haben Angst, dass das Stadtviertel Chapinero zu einem Ghetto für Schwule werden könnte. Andere wiederum unterstützen uns sehr. Wir versuchen, mit denen zu arbeiten, von denen wir Unterstützung bekommen, und dabei offen für alle zu sein. Wichtig ist, dass immer Raum zur Diskussion bleibt.
Und die Reaktionen aus der restlichen Bevölkerung?
Es hat negative Reaktionen gegeben, in den lokalen wie in den nationalen Medien. Zum Beispiel Nachbarschaftsinitiativen, die sagen, wir wollen das Zentrum nicht in unserer Nähe haben, es bringt die Prostitution in unsere Wohnviertel, Chapinero wird zum Rotlichtbezirk…Sie haben was falsch verstanden. Das Zentrum ist keine Bar, es wird dort keinen Alkohol und natürlich auch keine Prostitution geben. Es ist ein Beratungszentrum.
Du hast vorhin das neue Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften erwähnt – welche Bedeutung hat so ein Gesetz in Kolumbien?
Für die gesellschaftliche Akzeptanz solcher Lebensgemeinschaften reicht natürlich ein Gesetz nicht aus. Deshalb versuchen wir mit unserer Arbeit auch, Formen von Familie sichtbar zu machen, die vom klassischen heterosexuellen Modell abweichen.
In Kolumbien findet in den letzten Jahren eine Entwicklung statt. Vor zwanzig Jahren war es gesellschaftlich kaum akzeptiert, dass Eltern sich trennen und dann noch Kinder mit einem anderen Partner bekommen. Kinder aus solchen Scheidungsfamilien hatten einen niedrigeren sozialen Status. Ich glaube, die junge Generation von heute hat dieses Problem so nicht mehr. Auch dass ein unverheiratetes Paar Kinder hat, ist inzwischen – in den Städten – weitgehend akzeptiert.
Aber zwei Mütter und ein Kind?
Zwei Mütter oder zwei Väter, die ein Kind haben, das ist nach wie vor nicht akzeptiert. Bei vielen herrscht immer noch die Vorstellung, dass das Kind dann auch homosexuell wird oder dass so eine Konstellation automatisch zu Missbrauch führe. In Bogotá gibt es eine Gruppe lesbischer Mütter, die genau zu dem Thema arbeiten. Sie werden im Zentrum sehr präsent sein.
Eine Freundin von mir, die die Gruppe gegründet hat, lebt seit langem mit ihrem Sohn und ihrer Partnerin zusammen. Ich kenne den Sohn gut – und der ist ein ganz normaler verwöhnter Jugendlicher. So wie Tausende andere Jugendliche in Kolumbien.