Wollmützen auf der Bühne
Morddrohungen und Anschläge auf CONPAZ-Mitarbeiter
Im Morgengrauen rückte sie an, die gefürchtete Justizpolizei. Mit Knüppeln bewaffnet sprangen die Männer aus ihren Kombis und schlugen wahllos auf die versammelten Indígenas ein, egal ob Männer, Frauen oder Kinder. Die Scheinwerfer der Polizeihubschrauber tauchten die Straßen der chiapanekischen Stadt Venustiano Carranza in helles Licht. Dann fielen Schüsse auf die rund 500 Menschen, die sich dort eingefunden hatten. Drei Personen starben an diesem 9. November, ein zwei Tage altes Baby wurde zum Halbwaisen. Seit Tagen hielten die Campesinos die Straße nach Tuxtla Gutiérrez besetzt. Ihre Forderungen waren eher bescheiden: Mehr Geld für den Mais, den sie anbauen und von dessen Verkauf sie leben. Sie hofften auf Verhandlungen mit der Regierung, auf die Erfüllung ihrer Forderungen. Doch die Machtinhaber in Chiapas schlugen hart zurück.
Knapp eine Woche zuvor, in der Nacht zum 4. November, hatten die berühmt-berüchtigten und allgegenwärtigen “Unbekannten” den Sitz der Coordinadora Nacional por la Pacificación (CONPAZ) in San Cristóbal de las Casas überfallen, Unterlagen und Lebensmittel entwendet und anschließend die Büros in Brand gesteckt. Sie hinterließen Sprüche wie “Tod den Zapatisten!” und “Weg mit den Zapatisten! Man will Euch nicht.” Am nächsten Tag fand sich auf dem Anrufbeantworter eine Morddrohung gegen 26 Mitarbeiter aller Nicht-Regierungsorganisationen, die sich in der CONPAZ zusammengeschlossen haben. “Wir werden Euch alle umbringen, einen nach dem anderen. Und da, wo es Euch am meisten weh tut: Auch Eure Kinder!” sprach eine finstere Stimme vom Tonband. Um die Drohung zu unterstreichen, entführten die Täter den Geschäftsführer von CONPAZ und seine ganze Familie, schlugen ihn vor den Augen seiner Kinder zusammen und entließen ihre Opfer mit kahlgeschorenem Kopf nach fast dreitägiger Haft.
Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser
Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt. Die Morddrohungen und die Entführung fanden just zu einem Zeitpunkt statt, als sich viele Augen nicht nur in Mexiko wieder einmal auf Chiapas und auf San Cristóbal richteten. Für den 4. November war ursprünglich die Einrichtung der “Kommission zur Verfolgung und Überwachung des Friedensabkommens von San Andrés Larráinzar” geplant. Hinter diesem komplizierten Namen verbirgt sich eine aus VertreterInnen der mexikanischen Regierung, der ZapatistInnen sowie der parlamentarischen (COCOPA) und der kirchlichen (CONAI) Vermittlerorganisationen zusammengesetzte Instanz zur Gewährleistung aller in Zukunft vereinbarten Abkommen zwischen den KontrahendInnen im Chiapas-Konflikt. Die Einrichtung einer solchen Kommission gehörte zu den zentralen Forderungen des EZLN, um die Sicherheit ihrer KämpferInnen und der überwiegend indigenen Bevölkerung in den umkämpften Zonen zu verbessern. Dieses “Eingeständnis” konnte die Bundesregierung offenbar nicht machen, ohne noch einmal eindrücklich zu zeigen, wer denn eigentlich Herr im Hause Mexiko ist. Drei Tage lang hielten sie die in San Cristóbal versammelte EZLN-Delegation hin, bevor die Kommission offiziell ihre Arbeit aufnehmen konnte. Die von der Regierung zu stellenden Vertrauensleute wurden, obwohl es drei Wochen vorher Zeit gegeben hätte, erst einen oder zwei Tage vor Termin angesprochen. Zudem waren die Delegierten zum Teil für die ZapatistInnen unannehmbar, so daß diese ihre Zustimmung versagten.
Doch als die Kommission am 7. November endlich offiziell ins Leben gerufen wurde, revanchierte sich die Guerilla auf ihre Weise. Ihr ursprünglich nicht eingeplanter Fußmarsch vom Ort der gleichzeitig stattfindenden Verhandlungen – von dem ehemaligen Kloster El Carmen zum Stadttheater von San Cristóbal – geriet zu einem regelrechten Triumphzug für die Comandantes mit ihren charakteristischen, nur Augen und Mund freilassenden Wollmützen. Auch im Saal des renovierten Theaters lagen die Sympathien der meisten Anwesenden eindeutig bei den ZapatistInnen. Doch es war nur ein kleiner propagandistischer Sieg in Anbetracht der Verzögerungstaktik der Bundesregierung. “Die Regierung will uns nur hinhalten und zum Aufgeben bringen,” zeigt sich denn auch Comandante Ramón etwas resigniert. Im Anschluß erklärt er zwar, das EZLN habe alle Zeit der Welt. Doch so ganz überzeugend klingt das nicht.
Nicht wenige politische Beobachter sind der Auffassung, daß der EZLN-Aufstand letzten Endes nur der Regierungspartei PRI genutzt habe. Das stimmt sicherlich nicht, diese Aussage muß zumindest auf die oppositionelle Partei der Nationalen Allianz (PAN) ausgeweitet werden. Die Rechtskonservativen haben erst am 24. November erneut ihre wachsende Popularität unter Beweis gestellt. Bei den Kommunalwahlen in mehreren Bundesstaaten konnte die PAN in vielen Städten Siege erringen und ließ die linke PRD (Partei der Demokratischen Revolution) deutlich hinter sich. Und überall dort, wo die PAN auf Bundesstaatsebene zum zweiten Mal die Regierung stellt, vor allem in Baja California, ist ein neues Phänomen zu beobachten: Die PRI, aufgrund der heterogenen Struktur mehr ein Regierungsapparat als eine Partei, zerfällt zusehends. Zumindest in der bisherigen Form sind ihre Tage gezählt. Diese Entwicklung werden wohl auch Wahlmanipulationen und Politikermorde nicht mehr aufhalten können. Dazu immerhin hat der ZapatistInnenaufstand wesentlich beigetragen.