Literatur | Nummer 438 - Dezember 2010

Worte auf Spuren der Gewalt

Arturo Alape zwingt den Blick auf den erschütternden Alltag in Kolumbien

Ramón und Nelson wachsen mit vier Geschwistern im Elend von Ciudad Bolívar auf, einem der größten Slumviertel von Bogotá. Als Kinder fliehen sie nach Medellín und werden zu Killern. Mit neunzehn Jahren reist Ramón im Gespräch mit einem Autor zehn Jahre zurück in seine Erinnerungen und erzählt die Geschichte der letzten Pulsschläge einer Kindheit, die nie eine war.

Tina Weber

Die Erfahrungen Ramóns, welche die LeserInnen des Romans Porträt des Killers als junger Mann durch dessen Erzählungen miterleben, sind irritierend und erschreckend. Der heutige Vater einer kleinen Tochter wühlt in seiner Vergangenheit und gräbt Leichen aus.
Ramóns Vater, unfähig zu kommunizieren, ein Säufer und Schläger, bleibt immer ein Fremder. Die Mutter, der einzige Mensch, der Ramón Liebe erfahren lässt, zieht Tag für Tag als Müllsammlerin durch die Straßen, um ihre Kinder zu ernähren. Die Ehe der Eltern ist eine Hölle voller Hass und Gewalt. Mit neun und zwölf Jahren hauen Nelson und Ramón nach Medellín ab. Dort geraten sie in die Fänge des Clanchefs Don Luis, der die Jungs in seine Armee der Todesengel aufnimmt. Nun beginnt das Leben, von dem die Brüder scheinbar immer geträumt haben: ab und zu ein (blutiger) Job, dazwischen Geld, Klamotten, Partys, Drogen und Nutten. Doch der Tod ist auch über das eigene Gewerbe hinaus ständiger Begleiter. Ein Kollege nach dem anderen wird ermordet, letztendlich auch Don Luis und ganz zum Schluss, man weiß es von Anfang an, verliert Ramón Nelson, seinen Bruderschatten. Zurück bleiben der Erzähler, allein auf der Flucht vor seinen Gedanken, und die LeserIn, erschüttert und voller Fragen.
Die Geschichte von Ramón und Nelson entführt uns in die brutale und kaltblütige Welt des Terrors in Kolumbien. Kinder werden hier im Kampf ums eigene Überleben zu MörderInnen, ohne auch nur zu ahnen, wen sie in wessen Auftrag warum töten. Was den Roman zu einem Kunstwerk macht, ist Alapes Virtuosität im Umgang mit der Sprache, welche Richard Groß in eindrucksvoller Übersetzung ins Deutsche zu übertragen vermag. Von der ersten Zeile an schonungslos und ohne die Konstruktion moralischer oder jedweder Distanz schlitzen die Sätze aus dem Munde Ramóns kalt und messerscharf die Bilder aus Bogotá und Medellín in den Kopf des Lesers und evozieren in ihrer Dichte und Eindringlichkeit die Grausamkeit des sinnlosen Geschäftes mit dem Tod.
Dabei zeigen sie exemplarisch und kommentarlos die erschütternden Zustände in Kolumbien auf. Der Erzähler eignet sich mittels brutal-vulgärem Vokabular eine Vergangenheit an, welcher er sich nicht anders als gewaltsam zu nähern vermag; mit einem dreckigen Slang voller Hass und Gewalt, welcher die Illusion eines gewissen Maßes an Macht und Kontrolle erzeugt. Dazu bringen Zitate aus der Musik der Slums die düstere Trost- und Ausweglosigkeit auf den Punkt.
Der im Jahr 2006 verstorbene kolumbianische Maler, Schriftsteller, Journalist und Historiker Arturo Alape war selbst Opfer von Repressionen und wurde mehrfach zum Leben im Exil gezwungen. Mit diesem Roman gelingt ihm ein beeindruckendes Zeugnis der schockierenden Zustände in Kolumbien und anderen Ländern der Welt, in denen Angst und Gewalt soziale Mechanismen sind. Ein Traumbild am Schluss steht für das Unbegreifliche und die Ohnmacht der Menschen in Kolumbien: „Im Hof, an den Wäscheleinen, hängen Hunderte blutbefleckter Laken, wie festgezurrt an einem endlos verschlungenen Knoten.“

Arturo Alape // Porträt des Killers als junger Mann // Krimi & Co. Edition Köln // Köln 2010 // 170 Seiten // Paperback: 9,95 Euro, eBook: 7,- Euro

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