Migration | Nummer 251 - Mai 1995

“Wozu brauchen wir ein Vaterland?”

Die Übersetzerin und Autorin Marianne Frenk-Westheim

Gleich um die Ecke von der Deutschen Botschaft im Stadtteil Polanco lebt Marianne Frenk-Westheim allein im achten Stock eines Apartmenthauses, Mit ihren 96 Jahren ist sie die Älteste der wenigen noch lebenden deutschen Exilantlnnen in Mexiko. Die gebürtige Hamburgerin ist Jüdin und lebt seit 65 Jahren in Mexiko-Stadt.

Barbara Beck

1930 war sie mit ihrem ersten Mann Ernst Frenk, einem Arzt, und ihren zwei Kindern Margit und Silvestre, nach Mexiko aus- gewandert, weil ihr, wie sie sagt, der Antisemitismus in Deutschland die Luft zum Atmen nahm, und sie zusammen mit ihrem Mann davon überzeugt war, daß Deutschland “ein unmögliches Land für Juden werden würde”.
Im Unterschied zu den deutschen Flüchtlingen, die zehn Jahre später in Mexiko ein Exil fanden, konnten sich die Frenks noch aussuchen, wohin sie gingen. Die Wahl fiel auf Mexiko, weil Marianne Frenk schon in Hamburg, nach dem Studium der spanischen und portugiesischen Sprache, als Übersetzerin gearbeitet hatte und daher mit der Sprache des Gastlandes vertraut war. Außerdem hatte ihr Mann hier, im Gegensatz zu anderen Ländern die Möglichkeit, als Arzt weiterzuarbeiten. Im Unter-schied zu vielen anderen deutschen ExilantInnen waren die Frenks auch von Anfang an dazu entschlossen, in Mexiko zu bleiben, unabhängig davon, wie sich die Situation in Europa entwickeln sollte. Wie allen anderen sich im Ausland aufhaltenden deutschen Juden wurde auch den Frenks von den Nationalsozialisten 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Wenig später erhielten beide einen mexikanischen Paß.
Für Marianne Frenk-Westheirn ist das jedoch nur Papierkram. Sie glaubt nicht an Nationalitäten, sondern hält es mit Heine: “Wozu brauchen wir eigentlich ein Vaterland?”. So sei sie “von ganzem Herzen Hamburgerin”, fühle sich aber in erster Linie “als Teil der Menschheit”, “als eine Frau auf der Erde unter dem Himmel”.
Das Leben in einer anderen Kultur ohne Aufgabe der ursprünglichen eigenen Kultur und Sprache hat Marianne Frenk-Westheim für sich immer als enorme Bereicherung empfunden, und die kulturelle Übersetzung” wurde zu ihrer Berufung und Profession. Es erschien ihr zwar verständlich, aber absurd, daß viele deutsche ExilantInnen nicht mehr deutsch sprechen oder lesen wollten:”Wie kann man einer Sprache die Schuld geben?”
Ungeachtet ihres hohen Alters arbeitet sie auch heute noch als Übersetzerin und Autorin. Ungewöhnlich an dieser Tätigkeit ist, daß sie, seitdem sie in Mexiko lebt, sowohl vom Spanischen ins Deutsche wie auch vom Deutschen ins Spanische übersetzt hat. So machte sie einerseits den Deutschen das Gesamtwerk des bedeutenden mexikanischen Romanciers Pedro Paramo zugänglich. Andererseits übersetzte sie fast alle Schriften des deutschen Kunstkritikers Paul Westheim, der 1941 aus dem besetzten Frankreich nach Mexiko flüchtete, ins Spanische. Da West- heim, der nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls in Mexiko blieb. zwar weiterhin sehr viel produzierte, aber bis an sein Lebensende nicht auf Spanisch schrieb, übersetzte Marianne auch seine dort entstandenen Werke über altmexikanische und zeitgenössische Kunst. Diese intensive Zusammenarbeit mündete 1959, zwei Jahre nach dem Tod von Ernst Frenk, in der Eheschließung beider.
Neben ihrer Tätigkeit als Übersetzerin arbeitete Marianne Frenk-Westheim zwölf Jahre lang als Professorin für deutsche Literatur an der mexikanischen Nationaluniversität (UNAM). Zwischen 1972 und 1986, als sie schon lange das Pensionsalter überschritten hatte, war sie eine enge Mitarbeiterin von Fernando Gamboa, dem Direktor des Museums für Moderne Kunst in Mexiko-Stadt.
Vor knapp drei Jahren er-schien ihr Buch “… y mil aventuras”, “und tausend Abenteuer”, ein Band mit Aphorismen, Erzählungen, Fabeln und anderen “unklassifizierbaren Schriften”. Auf die Frage, ob sie plant, weitere Bücher zu veröffentlichen, antwortet die alte Dame: “Ich bin größenwahnsinnig und habe die Hoffnung -no hay peor lucha que la que no se hace” es gibt keinen schlimmeren Kampf als den, den man nicht führt”.

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