El Salvador | Nummer 331 - Januar 2002

Wozu Wahlen gewinnen?

Bei der FMLN wurden die Parteiämter besetzt

In etwas mehr als zwei Jahren wird die FMLN (Frente Farabundo Martí para la liberación nacional) zum 3. Mal seit Abschluss des Friedensabkommens vor 10 Jahren die friedliche Eroberung des Präsidentensessels versuchen. Und obwohl in der Linken vieles schief läuft, sind die Chancen dafür recht gut. Als Generalprobe hierfür gelten die Parlaments- und Gemeindewahlen im Frühjahr 2003. Als Vorspiel dafür hat die FMLN Ende November interne Parteiwahlen abgehalten.

Franco Weiss

Der 25. November 2001 war aller Wahrscheinlichkeit nach ein bedeutender Tag für die politische Demokratisierung El Salvadors. Im ganzen Land wurden die Ämter der Partei FMLN durch allgemeine und geheime Wahlen besetzt. Ein Novum für das Land. Nicht weniger als neun, teilweise hochkomplizierte Wahlzettel waren auszufüllen, um die ParteivertreterInnen auf lokaler, departamentaler und nationaler Ebene zu wählen. 72.000 eingeschriebene WählerInnen waren aufgerufen, an über 800 Wahlurnen ihre Stimme abzugeben. Neben Anschuldigungen und Polemiken zwischen den verschiedenen Parteifraktionen, den so genannten Tendenzen, verlief der Wahlkampf ohne größere Zwischenfälle.
Selbst der vom Parteigericht überraschend verfügte Ausschluss der Galionsfigur der ReformistInnen, Facundo Guardado, immerhin Präsidentschaftskandidat vor 2 Jahren, konnte die gute Grundstimmung kaum beeinträchtigen. Guardado wurde vorgeworfen, in wichtigen Themen wie der Dollarisierung von der Parteilinie abgewichen und ohne Rücksprache mit einer Regierungsdelegation nach Spanien gereist zu sein, die um Hilfe für den Wiederaufbau nach den Erdbeben ersuchte.
Auf lokaler und departamentaler Ebene wurden Diskussionsveranstaltungen mit allen KandidatInnen durchgeführt. Hier trugen diese den Anwesenden ihre jeweiligen Programme vor. Zwar ergaben sich erwartungsgemäß keine tief greifenden ideologischen Debatten, aber ein offener Raum entstand, der es den Parteimitgliedern ermöglichte zu intervenieren und sich eine eigene Meinung für die Stimmabgabe zu bilden.
Auch der Wahltag selbst verlief friedlich. Dazu beigetragen hatte sicher die ebenso erstaunliche, wie Besorgnis erregende Tatsache, dass weniger als die Hälfte der Parteimitglieder ihre Stimme überhaupt abgab. Die Gründe dafür müssen in den kommenden Monaten genauer ausgeleuchtet werden. Dabei hat die Frustration über die Partei, deren Energien seit Monaten auf die internen Konflikte konzentriert sind, eine Rolle gespielt. Die vor allem vom sozialdemokratischen Parteiflügel, den so genannten Reformer, betriebene aggressive Einschreibepolitik, bei der es vor allem um Quantität ging, dürfte ein weiteres gewichtiges Element sein. Schließlich dürfte die Komplexität des Wahlvorgangs nicht wenige Menschen, vor allem mit niedrigerem Bildungsstand, abgeschreckt haben. Für eineN AnalphabetenIn war es beinahe unmöglich, die Wahlzettel korrekt und in der vorgegebenen Frist auszufüllen. Technische Probleme haben die Stimmauszählung wie erwartet behindert. Erst über eine Woche nach dem Urnengang wurden die Endresultate bekannt gegeben.

Interne Wahlen: Kit oder Zentrifuge?
Danach hat der so genannte orthodoxe Parteiflügel – offiziell „revolutionär-sozialistische Strömung“ – um Salvador Sánchez Cerén und Schafik Handal eine satte Mehrheit errungen. Der Kandidat dieser Linie, Sánchez Cerén, hat laut Hochrechnungen etwa gleichviele Stimmen erhalten, wie der „Reformer“ Roberto Roca und Gersón Martínez. Letzterer trat für die dritte Strömung, die UnionistInnen oder auch FMLNistInnen an. Diese stellen eine Art Sammelbecken von Leuten dar, die sich keiner der beiden ursprünglichen Strömungen zugehörig fühlen. Dieses klare Übergewicht der Orthodoxen wird sich auch im nationalen Leitungsgremium niederschlagen, in dem sie von 35 Mitgliedern 28 VertreterInnen stellen werden. Es scheint, dass einzig emblematische Figuren wie Schafik Handal oder der momentane Bürgermeister der Hauptstadt Hector Silva, die Tendenz der listenbezogenen Stimmabgabe durchbrechen konnten.
Der erdrückende Wahlsieg der orthodoxen Parteilinie ermöglicht es dieser, den Parteiapparat zu kontrollieren und dazu einzusetzen, die restlichen Sektoren an die Wand zu drücken. Dass dies durchaus der Fall sein könnte, zeigt das Verhalten von Schafik Handal, der als Person mit den meisten Stimmen für die Parteileitung eigentlich Vizegeneralsekretär werden müsste. Handal aber hat den Posten des Fraktionsvorsitzenden beansprucht und vorgeschlagen, das Amt der Parteivizekoordination an die meistgewählte Frau abzutreten. Da es sich dabei um die ihm nahe stehende Norma Guevara handelt, dürfte dieses in den Statuten nicht vorgesehene „Angebot“ kein Zufall sein.
Es bleibt zu hoffen, dass diese Haltung Handals nicht dazu führt, dass den Angehörigen anderer Parteifraktionen kaum mehr als die bedingungslose Gefolgschaft oder der Parteiaustritt bleiben. Dies hätte für die labile Einheit der Partei und die Wahlchancen negative Folgen. Deren erhoffte Stärkung als Resultat der internen Wahlen könnte sich zu einem Bumerang entwickeln könnte, indem das politische „Exil“ vieler alter KämpferInnen, die sich aus dem aktiven parteipolitischen Leben weit gehend zurückgezogen haben, weiter anschwillt.

Wahlen gewinnen mit Links?
Die Niederlage anlässlich der Präsidialwahlen 1999 und die im Jahr 2000 errungenen Wahlerfolge auf lokaler Ebene und für das Parlament haben klar gezeigt, dass eine geeinte linke Partei wie die FMLN, mit KandidatInnen wie zum Beispiel dem heutigen Bürgermeister der Hauptstadt und meistgenannten Präsidentschaftskandidaten Héctor Silva, durchaus auch außerhalb der Stammwählerschaft Stimmen holen kann. Andererseits ist selbst eine Person wie Silva nicht in der Lage, die Frentestimmen ohne eindeutige Identifikation mit der Partei zu mobilisieren. In diesem Sinne ist eine „offene“ Partei, die derartigen Identifikationsfiguren einen Spielraum eröffnet genauso wichtig, wie die Respektierung von Prizipien, die während der vergangenen 30 Jahre die ideologische Basis des bewaffneten und politischen Kampfes in El Salvador darstellten. Somit bleibt abzuwarten ob die politische Reife der ProtagonistInnen gestiegen ist nachdem sie die goldene Chance von 1999 wegen interner Zwiste verspielt hatte. Damals standen nicht nur erstklassige KandidatInnen zur Verfügung, sondern die salvadorianische Rechte befand sich auch in einem relativen Tief.
Sollte der Wahlsieg 2004 nicht gelingen, dürfte es das nicht geringe historische Verdienst der salvadorianischen Linken des 20. Jahrhunderts gewesen sein, der Oligarchie eine bürgerliche Revolution abgetrotzt zu haben.

Komplexe Ausgangslage
Doch selbst wenn die FMLN im Verbund mit anderen, nicht parteigebundenen Sektoren die Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden könnte, wäre die Ausgangslage, um es gelinde auszudrücken, äußerst komplex. Die salvadorianische Wirtschaft hängt größtenteils von den USA ab. Ein Großteil der traditionellen Ausfuhrprodukte (Kaffee, Krabben, Zucker etc.) wird genauso in die USA verkauft, wie die Textilproduktion der Weltmarktfabriken, bei denen mittlerweile Zehntausende von miserablen Arbeitsplätzen abhängen. Und da das Land im Wesentlichen von den Überweisungen der SalvadorianerInnen in den USA über Wasser gehalten wird, hängt seine Wirtschaft auch erheblich von der US-Migrationspolitik ab. Null Spielraum also für ein Land das mittels der Dollarisierung außerdem seine Geldhoheit unlängst an Washington abgetreten hat.
Nach der Privatisierung von Renten, Telekommunikation und Elektrizität, der beabsichtigten Konzessionierung von See- und Flughäfen, sowie Straßenunterhalt und der eingeleiteten Privatisierung von Gesundheitswesen, Erziehungssystem und Wasserversorgung, sowie der Umkehrung der Steuerlast zu Ungunsten der armen Mehrheit und ansteigender staatlicher Haushaltsdefizite und Verschuldung, ist der Spielraum für jede Regierung mittlerweilen derart eng, dass ein Regierungswechsel beinahe zwangsläufig zu einer herben Enttäuschung für die eigene Wählerschaft würde. Das Beispiel Nicaragua hat gezeigt, dass Oligarchie, katholische Krichenhierarchie und US-Imperialismus alle Register ziehen, wenn sie ihre Interessen auch nur im Entferntesten in Gefahr sehen. Somit verblieben in der momentanen Weltlage selbst für eine so genannt linke Regierung nur zwei Möglichkeiten: Im Rahmen der minimalen Spielräume zu versuchen, den sozialen Kahlschlag des Neoliberalismus punktuell abzufedern oder aber sich mit übermächtigen Kräften wie der internen Oligarchie im Verbund mit Kirchen und US-Imperialismus anzulegen.

Wozu Wahlen gewinnen?
Dazu kommt im Falle El Salvadors, dass das aktuelle Wahlsystem eine parlamentarische Mehrheit einer linken Partei weit gehend verhindert. So lange in städtischen Ballungsräumen für einen Parlamentssitz bis zu dreimal mehr Stimmen nötig sind als in konservativen ländlichen Provinzen, bleibt es sehr schwer, die rechte Mehrheit zu durchbrechen.
Dass der Verlust der alleinigen Macht für die Rechte dennoch ein reales Szenario darstellt unterstreichen verschiedene Tatsachen. Einerseits wird die Dollarisierung in diese Richtung gedeutet, da damit die in der Praxis seit Jahren betriebene Politik der stabilen Wechselkurse nurmehr gesetzlich festgeschrieben, also gegen allfällige Regierungswechsel abgesichert wurde. Andererseits ist die neue Leitung der Regierungspartei ARENA ein Indiz dafür, dass die realen EigentümerInnen des Landes nun das Heft selbst in die Hand nehmen, was sie ja nur zu tun pflegen, wenn reale Notwendigkeit besteht. Wie ein Auszug aus dem „Who is Who“ des wirtschaftlichen Lebens El Salvadors liest sich der Anfang Oktober abgesegnete Parteivorstand. Dem Biermonopolisten und neuen Parteichef Murray Meza wurde freie Hand gelassen und dieser hat in der Folge alle treuen Parteisoldaten aus Parlament und Provinzen durch gestandene UnternehmerInnen ersetzt. Der wichtigste Bankier des Landes ist ebenso vertreten wie der größte Schuhimporteur und ein Vertreter des Quasi-TV-Monopols. Neben weiteren Koriphäen aus dem Dienstleistungssektor durfte gerade noch eine Vertreterin der einstmals allmächtigen KaffeepflanzerInnen im erlauchten Gremium Platz nehmen, während nur noch zwei Personen der Regierung direkt angehören.
Was viele als „Privatisierung“ der Partei bezeichnet und kritisiert haben, hat vor allem die Marginalisierung der fanatisch antikommunistischen GründerInnengeneration mit sich gebracht. Politisch an den Rand gedrängt scheinen diese zwischen dem Kampf um Parteiquoten und der Gründung einer neuen politischen Formation zu schwanken, wobei beide Vorhaben mit wenig Chancen verbunden sein dürften.

Welche soziale Bewegung?
Von wem soll jedoch ein eventueller Regierungswechsel getragen werden? In den Siebzigerjahren waren die sozialen Bewegungen fähig Hunderttausende zu mobilisieren. Der, wenn auch häufig inflationäre Gebrauch von Begriffen wie el pueblo oder el movimiento social war also auch angebracht. Heute jedoch ist der Gebrauch dieser Begriffe schon beinahe grundsätzlich zu hinterfragen. Nur punktuell und oft isoliert spielt sich soziale Mobilisierung ab, zumeist anhand sehr unmittelbarer Interessen und Bedürfnisse, was kaum eine Basis für kontinuierliche Aktivitäten darstellt. Bei Themen mit gesellschaftlicher Sprengkraft wie der Umweltfrage oder der Geschlechtergleichstellung, respektive Frauenbefreiung, ist eine zunehmende Institutionalisierung (NRO-isierung) festzustellen, in der internationale Geldgeber vermehrt Lobbying und runde Tische fördern und Basisorganisationen und soziale Kämpfe ohne Luft und Ressourcen lassen.
Die Benutzung derartiger Organisationen als Sprungbrett für persönliche politische Karrieren ist genauso ein Problem wie die fehlende Repräsentanz derselben, da sie weitgehend von den sozialen Sektoren abgekoppelt sind, die sie zu vertreten anstreben. Exemplarisch tragisch war die Unfähigkeit der verschiedenen Organisationen, sich nach dem Wirbelsturm Mitch und den Erdbeben auf eine gemeinsame politische Linie zu einigen und den gelinde gesagt diletantischen Wiederaufbauplänen der Regierung einheitliche Vorschläge entgegenzusetzen.

Soziale Organisation
Dabei zeigt das Beispiel der Organisation der Kriegsversehrten der FMLN, dass soziale Organisation durchaus möglich ist. Nicht nur zählt die Organisation ALGES über 3.500 Kriegsversehrte zu ihren Mitgliedern (mit steigender Tendenz), sondern hat es auch geschafft, parlamentarische Vorstöße mit anderen Behindertenorganisationen abzustimmen, unter anderem derjenigen der ehemaligen Armeeangehörigen mit bleibenden Verletzungen. Außerdem ist es ALGES gelungen, sich aus den internen Parteizwistigkeiten herauszuhalten und innerhalb der Mitglieder ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln, das sich unter anderem auch in erstaunlichen Resultaten in Projekten im Bereich ländlicher Kleinunternehmensförderung ausdrückt.
Solche bedürfnisorientierte Organisationen deren Handeln von Basisnähe, Transparenz und Ermutigung zu aktiver Teilnahme geprägt ist, sind in El Salvador nicht nur dringend notwendig, sondern stellen auch ein riesiges und das möglicherweise wichtigste Tätigkeitsfeld einer linken Partei wie der FMLN dar, mit dem langfristig die Bedingungen für reale Veränderungen im Land geschaffen werden könnten.

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