Nicaragua | Nummer 475 - Januar 2014

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Präsident Ortega lässt sich eine Verfassung maßschneidern

Die Verfassungsreform Ortegas setzt dessen Politik der letzten Jahre fort. Die Macht des Parlaments wird beschnitten, seine Wiederwahl möglich und positive Neuerungen sind kaum zu finden. Dennoch wurde das Projekt am 10. Dezember durchs Parlament gewinkt.

Ralf Leonhard

Verfassungsänderungen, speziell, wenn sie wesentliche Teile des Grundgesetzes betreffen, sind in den meisten Ländern Gegenstand einer breiten Debatte. Nicht so in Nicaragua. Die regierende Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) schickte einen Vorschlag ins Parlament, der das Wesen der Republik entscheidend verändert. Was Präsident Daniel Ortega seit Beginn seiner zweiten Amtszeit 2007 nach und nach an autoritären Strukturen aufgebaut hat, lässt er sich jetzt per Verfassung nachträglich absegnen. Am 10. Dezember winkte das Parlament die Verfassungsreform durch. Doch selbst die eigenen Abgeordneten wussten wenige Tage vorher noch nicht, was ihnen zur Abstimmung vorgelegt wird. Die Opposition zog aus Protest aus dem Plenarsaal aus.
Schon im Oktober 2009 befand der Oberste Gerichtshof auf Zuruf, die Verfassungsbestimmung, die eine Wiederwahl des Präsidenten ausschließt, sei verfassungswidrig. Dank der Reform werden solche juristischen Trapezakte in Zukunft nicht mehr notwendig sein. Die Wiederwahl, die in den meisten lateinamerikanischen Ländern zwecks Verhinderung von Diktaturen verboten wurde, wird in Nicaragua unbegrenzt erlaubt sein. Abgeschafft wird zudem die Stichwahl: künftig soll die relative Mehrheit ausreichen, egal wie gering der Prozentsatz oder wie knapp der Abstand zum engsten Rivalen ist. Durch Verfügungen Ortegas können demnächst auch Funktionäre legal ihre Amtszeit überziehen.
Offizieller Anlass für die Verfassungsreform ist die Veränderung des Staatsgebietes durch die Schiedssprüche des Haager Gerichtshofes über die Grenzstreitigkeiten mit Kolumbien und Honduras. Herausgekommen ist ein im engsten Führungskreis fabrizierter Entwurf, der 39 der 200 Artikel modifiziert oder streicht. Vor allem werden jene Reformen beseitigt, mit denen die Verfassungsreform von 1995 die sandinistische Verfassung von 1987 demokratisiert hatte.
Die Empörung bei der Opposition war entsprechend groß, als der Entwurf am Allerheiligentag das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Mit diesen Reformen, so urteilt der Schriftsteller und ehemalige Vizepräsident Sergio Ramírez in seinem Blog, „wird die Demokratie entbehrlich“. Für den Verfassungsrechtler Gabriel Álvarez würde eine solche Reform den Todesstoß für die Gewaltenteilung Nicaraguas und seine jetzt schon extrem geschwächten Institutionen bedeuten. So wird der Dialog mit Unternehmerverbänden und Gewerkschaften als ständiger Mechanismus der direkten Demokratie verankert, während das Parlament nur mehr eine Statistenrolle einnehmen soll. FSLN-kontrollierte Gremien wie die sogenannten „Familienkabinette“ bekommen Verfassungsrang. Die Gabinetes de la Familia, Comunidad y Vida wurden von Rosario Murillo, First Lady und Kommunikationssekretärin, geschaffen und sollen die soziale Kontrolle an der Basis sicherstellen.
Ebenso der Vorspann des Reformprojekts, der die Motive der Veränderungen erläutert, verrät die Handschrift von Rosario Murillo. Es ist mit Schlagworten wie Evolution, Leben oder Familie gespickt, die in ihren fast täglichen Rundfunkbotschaften eine zentrale Rolle spielen. Sie gilt als die starke Frau hinter dem Präsidenten, die nicht nur die Information monopolisiert und die öffentliche Verwaltung kontrolliert. Murillo signalisierte bereits, dass sie die Nachfolge ihres Mannes antreten will.
Eine weitere Neuerung beseitigt das in der bisherigen Verfassung verankerte Verbot, dass aktive Militärs Verwaltungsaufgaben übernehmen dürfen. In den erläuternden Bemerkungen wird diese Änderung mit der „Stärkung der nationalen Sicherheit“ begründet. Die Opposition sieht darin eher den Versuch, die bisher politisch neutrale Armee enger an die Regierungspartei zu binden.
Ratlosigkeit hingegen hinterlässt die Bestimmung, wonach alle Datenbanken und Internetprovider physisch im Lande verbleiben müssen. Der Staat beansprucht die Kontrolle über alle Sendeanlagen und Datenbanken im Inland. Den Verdacht, dass damit die Überwachung und das Ausspionieren der Kommunikation erleichtert werden sollen, wies TELCOR-Chef Orlando Castillo zurück. Auch Alba Palacios, die Leiterin des parlamentarischen Ausschusses, der den Entwurf begutachtete, sieht dafür keine Anhaltspunkte. Vielmehr diene die Bestimmung dem Datenschutz. Denn das Bespitzeln durch ausländische Geheimdienste werde dadurch erschwert. Eine Erklärung, die jede_r Hacker_in lachhaft findet. Denn Landesgrenzen haben noch keinen Angriff auf Datenbanken abgehalten.
Anlass für Spekulationen ist auch die Streichung des Absatzes, wonach der Staat die Teilnahme und Existenz aller politischen Kräfte garantiert, solange diese nicht die Wiedereinführung der Diktatur anstreben. Die Oppositionsparteien Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS) und Konservative Partei (PCN) wurden schon 2008 wegen angeblicher Formalfehler ihrer Rechtspersönlichkeit beraubt und können sich nur im Rahmen von Allianzen an Wahlen beteiligen. Politische Konkurrenz wird außerdem dadurch beschränkt, dass Bürger_innenlisten nicht mehr zugelassen werden. Zahlreiche Bürgermeister_innen kamen in der Vergangenheit über solche Listen zu Amt und Würden. Statt dem Parteienpluralismus werden jetzt die Slogans aus dem Wahlkampf Daniel Ortegas in die Verfassung gehoben: Zu Grundfesten der Nation werden künftig „die christlichen Werte, die sozialistischen Ideale und solidarische Praktiken“. Einen Widerspruch zum säkularen Charakter des Staates sehen die Autor_innen der Verfassungsreform offenbar nicht.
Verfassungsrechtlich abgesichert wird außerdem der umstrittene Kanalvertrag. In diesem tritt die Regierung einem chinesischen Investor für den Bau eines interozeanischen Kanals, über dessen Route dieser frei entscheiden kann, die Souveränität über das an den Wasserweg angrenzende Staatsterritorium ab: für zunächst 50 Jahre, die zweimal verlängert werden können.
Regierungsvertreter_innen haben auf die Empörung in der Opposition und den wenigen kritischen Medien kaum reagiert. Roberto Rivas, Präsident des Obersten Wahlrates, verteidigt die Entscheidung, dass jedes Hindernis für die unbeschränkte Wiederwahl des Präsidenten entfernt wird: „Warum sollte man sich davor fürchten, dass ein Volk entscheidet, ob der Präsident gute oder schlechte Arbeit geleistet hat?“
Positive Neuerungen entdecken die Kritiker_innen des Reformpaketes nur wenige. So sollen, entgegen der sonstigen Tendenz, die Autorität und den Durchgriff der Exekutive zu stärken, auch die Bürger_innenrechte aufgewertet werden. Der reformierte Artikel 26 garantiert das Recht jedes und jeder, Einsicht in die Akten zu bekommen, die die verschiedenen Behörden gesammelt haben. Ob das aber auch auf die Geheimdienste zutrifft, bleibt offen. Verankert werden zudem soziale Rechte, wie der Anspruch auf unentgeltliche qualitätsvolle Bildung und Gesundheitsversorgung.
Dennoch: Nach dem Urteil der meisten Expert_innen wird Nicaragua durch die Verfassungsänderung in einen Ständestaat umgemodelt, in dem das Parlament nur eine untergeordnete Rolle spielt und der Präsident die meisten Angelegenheiten per Dekret regeln kann. In der kommenden Legislatur, die am 10. Januar beginnt, muss die parlamentarische Approbation bestätigt werden. Angesichts der Verfassungsmehrheit der FSLN wird das ein reiner Formalakt.

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