Yacyretá auf dem Prüfstand?
NRO Sobrevivencia erwirkt Überprüfung des Staudammprojektes
Der Yacyretá-Staudamm ist mit 2700 Megawatt geplanter Stromleistung einer der größten Staudämme der Welt. In den siebziger Jahren entworfen und seit 1983 im Bau sollte das Projekt am Rio Paraná mit der argentinischen Stadt Posadas auf der einen Seite des Flusses und dem paraguayischen Ort Encarnación auf der anderen 2,6 Milliarden US-Dollar kosten. Mittlerweile liegen die Kosten des als “Denkmal der Korruption” bekannt gewordenen Dammes bei über acht Milliarden US-Dollar.
Ginge es nach den beiden Regierungen, würden Damm und Kraftwerk privatisiert und der Wasserspiegel auf das geplante Endniveau von 83 Meter über dem Meeresspiegel angehoben – in den Augen der NROs eine Katastrophe. Die Umsiedlung von über 34.000 der 50.000 Menschen droht dann endgültig. Betroffene des Projektes und NRO hatten sich in den vergangenen Jahren immer wieder an die beiden Banken, die Betreibergesellschaft Entidad Binacional Yacyretá und die Regierungen gewandt und auf fehlende Kompensationen, Vertreibung und ökologische Folgen aufmerksam gemacht.
Nachdem die Weltbank 1993 ihr Beschwerdepanel eingerichtet hatte, und die IDB mit einem sogenannten Beschwerdemechanismus folgte, war im September 1994 der Zeitpunkt gekommen. Sobrevivencia legte den Banken in Vertretung mehrerer Betroffener eine ausführliche Beschwerde vor, in der sie aufzeigte, welche Richtlinien die Banken bei der Durchführung des Projektes verletzt haben.
Land unter
Die Liste ist lang und umfaßt die Bereiche Zwangsumsiedlungen, Umweltverträglichkeit, Indigene Völker, Kultur und nicht zuletzt Beobachtung und Prüfung des Projektes. So hatte beispielsweise das mangelnde Abräumen der Vegetation vor der ersten Flutung und ungeklärte Abwässer das See- und Grundwasser verseucht.
Obwohl die Umsiedlungsrichtlinie der Weltbank vorsieht, daß ZwangsumsiedlerInnen nach der Maßnahme mindestens das gleiche Einkommensniveau erreichen wie vorher, haben Tausende ihre Jobs verloren oder Einkommensein bußen erlitten, ganz abgesehen von den zerstörten Sozialstrukturen. Die über tausend Keramikarbeiter der Gegend verloren ihr Arbeitsmaterial, den Ton: im Wasser versunken. Andere verloren Kunden oder hatten durch größere Entfernungen zu Arbeitsplatz und Schulort unvorhergesehene Kosten, so daß auch mal der Schulbesuch eines Kindes eingestellt werden mußte.
Während auf der Seite der Entschädigung offensichtlich geknausert wurde, investierten die Banken auf der anderen Seite aberwitzige Summen für fragwürdige Einrichtungen. Eine Fischleiter, die den aufwärts wandernden Fischen eine Hilfe sein sollte, kostete 30 Millionen US-Dollar und hat laut Sobrevivencia kaum etwas bewirkt. Erstens wurde die Leiter nur betrieben, wenn Bankbesuch anstand, zweitens erfassen solche Leitern nur Bruchteile der Fischmengen und drittens migrieren viele Fischarten den Paraná nicht nur hinauf, sondern auch hinunter – im Gegensatz zu den Fischen des nordamerikanischen Columbia River, der als Vorbild gedient hatte. Strömungsveränderungen, Wasserverschmutzung und mangelnde Wandermöglichkeiten zeigten Wirkung:
Die Anzahl der Fischarten und ihr Reichtum gingen zurück. In ihrer Schlußfolgerung forderten die Kläger die Banken auf, die Verantwortlichen zu identifizieren und einen Weiterbau bzw. die Privatisierung solange zu stoppen, bis die Notwendigkeit nachgewiesen und ein verantwortungsvoller Umgang mit Mensch und Natur gewährleistet ist.
Beschwerde auf Umwegen
Die Weltbank reagierte ungehalten: Das Projekt sei ökonomisch sinnvoll und man habe sich kaum etwas vorzuwerfen. Wie in dem Beschwerdeprozeß bei der Weltbank üblich, wurden Klage, Verteidigung und erste Untersuchung mit einer Empfehlung des Beschwerdepanels dem Exekutivdirektorium zur Entscheidung vorgelegt.
Erst lange Diskussionen und viel Überzeugungsarbeit brachten die hier gebildeten klassischen Lager der nördlichen und südlichen RegierungsvertreterInnen zu einem Konsens. Im Februar 1997 haben die Exekutivdirektoren der Weltbank eine Prüfung des Yacyretá-Staudamm durch das weltbankeigene Inspection Panel befürwortet, und damit auch die Interamerikanische Entwicklungsbank massiv unter Druck gesetzt. Diese hatte zwar nach der Einrichtung des Weltbank-Beschwerdepanels 1993 flugs nachgezogen, aber daß dieser nun tatsächlich gefordert wurde, traf auf Unwillen.
Mit der endgültigen Einwilligung zu einer Untersuchung wird das erste Mal ein Megaprojekt der Entwicklungshilfe, an dem zwei Länder und zwei Banken beteiligt sind, kurz vor seiner Fertigstellung untersucht. Damit, daß die Beschwerdekommission die kleinen und großen Schwächen der Bank, der Betreiber und der Regierungen bei der Prüfung nicht durchgehenlassen wird, kann gerechnet werden. Bei der Prüfung eines geplanten Staudammes in Nepal hatte das vernichtende Urteil der Kommission dazu beigetragen, daß der Damm nicht gebaut wurde. Eine Besuchsmission in das Projektgebiet wird nun in Kürze starten.
Open end
Der Endbericht der Untersuchung ökologischer und sozialer Probleme und Vorschläge für adäquate Maßnahmen wird für den 31. August erwartet. Mit dieser geschickten Formulierung bleibt allerdings offen, ob die IDB tatsächlich die Erfüllung der eigenen Richtlinien aufs Korn nimmt, geschweige denn, inwieweit sie für nachweisbare fehlende Kompensationen die Verantwortung übernimmt.
Die Argumentation des Managements gegenüber diesem ersten “Fall” des Beschwerdemechanismus und der Verantwortung ist simpel: Als das Projekt Anfang der achtziger Jahre in Angriff genommen wurde, existierten die meisten Richtlinien noch gar nicht, also sei man auch nicht zur Einhaltung verpflichtet. Sobrevivencia hält dagegen, daß das allerdings kein Grund ist, nicht die Verantwortung für Fehler zu übernehmen und Schlimmeres zu verhindern.
Wie die Untersuchungen nun ausgehen werden, hängt von vielen Faktoren ab, schließlich sind die Ergebnisse der beiden Prüfgruppen ein Politikum. Einerseits ist die IDB die größte Kreditgeberin in Lateinamerika und damit ein wichtiger Partner der Weltbank. Sie ist aber auch eine im Gegensatz zur Weltbank vom “Süden” dominierte Bank, in der gerade Argentinien eine wichtige Rolle spielt.
Eine vernichtende Kritik durch das eigene Panel wird die Bank nicht akzeptieren, andererseits muß das Ergebnis ernstzunehmend sein, will man hinter der Weltbank nicht zurückstehen. Für diese spielen noch andere Aspekte eine Rolle: Weltbankpräsident Wolfensohn will Leichen aus dem Keller holen und der Bank ein besseres Image verschaffen. Die Mitglieder der Prüfgruppen werden sich einerseits profilieren, anderseits wird ein zu weites Herauslehnen auch zu zukünftigen Knebeln führen. Viel wird also davon abhängen, wie die NROs den Prozeß begleiten und bewerten und wie die Öffentlichkeit in Argentinien und Paraguay, aber auch in allen anderen Mitgliedsländern beider Banken den Fall bewerten.
Für die NROs ist jetzt erst einmal wichtig, daß der Prüfmechanismus der IDB einmal in Gang kommt. Das Beispiel Yacyretá, so ist zu hoffen, wird in der Region Schule machen und Betroffenen von Entwicklungshilfeprojekten (wieder) Mut, sich gegen die Projekte zu wehren, auch wenn es spät erscheint. Unterstützung finden sie dafür bei dem Netzwerk Red Bancos, einem Zusammenschluß von NROs aller Couleur in der Region mit der Zielsetzung, das Verhalten von IDB und Weltbank in Lateinamerika zu beobachten.
Für deutsche NROs stellt sich die Frage, obwohl oder gerade weil die deutschen Vertreter in den Banken (Liptau in der IDB und Schaffer in der Weltbank) sich in schon fast vorbildhaft zu nennender Weise für die Überprüfung eingesetzt haben, wann eigentlich die bilaterale Hilfe eine unabhängige Anlaufstelle für Beschwerden einrichtet – Problemprojekte gibt es wohl genug.