Honduras | Nummer 454 - April 2012

Zäher Kampf gegen die Straflosigkeit

Homo- und Trans*-Organisationen fordern restlose Aufklärung von Putsch-Verbrechen

Fast drei Jahre nach dem Putsch in Honduras sind die zahlreichen homo- und transphoben Morde noch immer nicht aufgeklärt. Viele Mitglieder der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Trans* (LGBT)-Community setzen sich weiter für ein Ende der Straflosigkeit ein. Verstärkt gehen sie in die Öffentlichkeit und kämpfen für das Recht auf freie Entfaltung für alle.

Sebastian Henning

Monat für Monat, an jedem 13., ziehen sie vor das Gebäude der honduranischen Staatsanwaltschaft und fordern die Aufklärung der Morde, denen seit dem Putsch am 28. Juni 2009 Trans*, Schwule und Lesben zum Opfer fielen. Mit den Kundgebungen erinnern die beteiligten LGBT-Organisationen an jenen 13. Dezember 2009, an dem Walter Tróchez ermordet wurde. Der 27-jährige schwule AIDS-Aktivist und Menschenrechtsverteidiger war zugleich Mitglied der breiten Bewegung gewesen, die sich gegen den Putsch engagierte. Er hatte sich an der Karawane des roten Kreuzes an die nicaraguanische Grenze beteiligt, als wegen des Ausnahmezustands keine Medikamente mehr ins Land kamen. Er hatte zu Demonstrationen mobilisiert, Polizeigewalt dokumentiert und auf die Komplizenschaft der honduranischen Bischofskonferenz mit der Putsch-Regierung hingewiesen. Außerdem hatte er internationale Menschenrechtsorganisationen alarmiert, als klar geworden war, dass nicht nur Aktivist_innen des Widerstands, kritische Journalist_innen und Protestierende gezielt ermordet wurden, sondern auch Mitglieder der LGBT-Community.
Laut einer Untersuchung des honduranischen Lesbennetzwerks Cattrachas wurden allein in den ersten sechs Monaten nach dem Putsch 19 homo- und transphobe Morde begangen – mehr als in den fünf Jahren zuvor. Tróchez hatte sich in seinem Engagement nicht beirren lassen: weder durch seine erste Verhaftung noch durch die Entführung durch Maskierte in einem Wagen ohne Nummernschild, bei der er mit Schlägen traktiert und über seine Kontakte im Widerstand befragt worden war. Nach seinem Entkommen erstattete er hartnäckig Anzeige bei der Polizei. Zwei Wochen später wurde er auf offener Straße erschossen. Bis heute hat keine Aufklärung des Falls stattgefunden. Auch der Mord an den Vorsitzenden der Trans*-Organisation Colectivo Unidad Color Rosa, Imperia Gamaniel Parson und Neraldys, vom 31. August 2010 bleibt im Dunkeln. Ebenso wie Dutzende andere Morde.
Nur aufgrund des internationalen Drucks, unter anderem aus der EU, den USA und von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, sah sich De-Facto-Präsident Porfirio Lobo dazu genötigt, die Vulnerabilität von LGBT einzugestehen. Trotzdem fand allein der Fall Tróchez Eingang in den Mitte letzten Jahres vorgelegten Bericht der offiziellen Wahrheitskommission CVR. Immerhin kamen FBI-Beamt_innen aus den USA, um die Aufklärung der Morde zu unterstützen. Im November 2011 wurde außerdem eine Sondereinheit für sexuelle Vielfalt bei der Kriminalpolizei (DNIC) geschaffen. Die mit einem eigenen Staatsanwalt ausgestattete Einrichtung hat ihren Sitz in San Pedro Sula im Norden, wo die meisten Taten verübt werden, und in Tegucigalpa. Dass die Gründung der Institution tatsächlich zu nachhaltigen Aufklärungsbemühungen – und Ergebnissen – führt, stößt bei den „Betroffenen“ auf Skepsis.
Die Angehörigen der ermordeten Journalist_innen und Bauernaktivist_innen im Bajo Aguán warten bislang ebenfalls vergeblich auf eine Verfolgung und Bestrafung der Täter. LGBT-Aktivist_innen, wie José Zambrano oder Alexander David Sánchez Álvarez, sind nach wie vor von Drohungen betroffen. Auch die Morde gehen weiter. Den letzten fielen im Februar die Travestis „Montserrat“ (offizieller Vorname: Jonathan José) Pineda und Ivis Rolando „Dulce“ Mejía García, im März dann José Enrique „Shakira“ Castro und eine Unbekannte in San Pedro Sula zum Opfer.
Neben der Strafverfolgung muss jedoch auch die Gewaltprävention stärker in den Blick genommen werden. So plant die Organisation ARCOIRIS Sensibilisierungstrainings für die Polizei. Dem Respekt vor der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierungen stellen sich allerdings konservative Kräfte entgegen. Gestärkt durch den Rechtsruck des Putschs wird auf fundamentalistische Positionen gesetzt – koste es, was es wolle.
Zwei Beispiele aus dem vergangenen Jahr zeigen, welch seltsame Blüten ein solcher Dogmatismus treiben kann. Im August brachte die honduranische Organisation Libre Expresión (Freie Äußerung) zwei Großbanner an Gebäuden der Nationalen Autonomen Universität von Honduras (UNAH) an. Das eine der beiden Banner warb im Rahmen der Toleranzkampagne „Vos decidís“ („Du entscheidest“) für die Achtung vor den verschiedenen Ethnien und Religionen, das andere für Respekt vor Lesben, Schwulen und Trans*. Letzteres stieß bei Konservativen auf Kritik. Einen Tag vor Beginn des neuen Semesters drangen Unbekannte in die Universität ein und entwendeten das Transparent, sein Verbleib ist bis heute unbekannt. Obwohl die Universitätsleitung die Kampagne unterstützte, wurde kein neues Banner aufgehängt.
Ein zweiter Vorfall ereignete sich im Oktober, als der in Lateinamerika überaus populäre Musiker Ricky Martin im Rahmen einer Tournee ein Konzert in Tegucigalpa geben wollte. Der Puertoricaner hatte sich ein Jahr zuvor als schwul geoutet. Mit seinem Partner hat er zwei Kinder, die von einer Leihmutter stammen. Seit seinem Outing wird er von christlichen Fundamentalist_innen angegriffen. So bezeichnete ihn eine evangelikale Predigerin als „Gesandten des Teufels“ und der puertoricanische Kardinal Luis Aponte verurteilte das „unmoralische Verhalten der Homosexuellen“ und warf Martin vor, „die Jugend zu verderben“. Ähnliches ließ sich vor dem geplanten Termin dann von Innenminister Áfrico Madrid vernehmen. Die Erlaubnis für das Konzert müsse „auf Grundlage der moralischen und ethischen Prinzipien unserer Gesellschaft überprüft werden“. Gefordert hatten dies Vertreter_innen der christlichen Kirchen, die ins Feld führten, die Familienkonstellation des Künstlers sei kein gutes Vorbild. Es sei nicht „diese Art von Familie, die von den honduranischen Gesetzen und der honduranischen Gesellschaft angestrebt werde“; man wolle „dieses Modell nicht unter den Jugendlichen und der übrigen Gesellschaft verbreiten oder unterstützen“. Schließlich durfte das Konzert dann doch stattfinden, nur Kindern unter 15 Jahren wurde der Zutritt untersagt.
Die Community lässt sich von derlei Gebaren jedoch nicht einschüchtern. Neben den monatlichen Kundgebungen vor der Staatsanwaltschaft demonstriert sie im Mai zum Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie und geht auch zum Christopher Street Day (CSD) auf die Straßen. Dieser wurde in Honduras erstmals 2001 durchgeführt, von der Comunidad Gay Sampedrana in San Pedro Sula. Bei einer anderen Aktion hielt die Organisation ARCOIRIS im August letzten Jahres vor dem Kongress symbolisch die Eheschließung einer Homo-Ehe ab, um für ein Referendum über das Thema einzutreten. Im Jahr 2005 hatte der Kongress einmütig beschlossen, das Verbot der Ehe und der Adoption für gleichgeschlechtliche Paare in der Verfassung zu verankern. Dies geschah auf Druck evangelikaler Gruppen als die Regierung nach jahrelangem Ringen drei Homo-Organisationen offiziell zugelassen hatte.
Kurz zuvor war in San Pedro Sula die einzige Schwulenbar geschlossen worden. Dabei konnte sich die Stadt auf das „Gesetz über Polizei und gesellschaftliches Zusammenleben“ von 2002 berufen. Dessen Artikel 142 bietet die Möglichkeit, Verstöße „gegen das Schamgefühl, gegen die guten Sitten oder die öffentliche Moral“ zu sanktionieren. Bis heute kann dies von der Polizei dahingehend interpretiert werden, dass Lesben, Schwule oder Trans* kein Recht auf die Präsenz im öffentlichen Raum haben. Einschränkungen der Freiheit, Erpressung, Erniedrigung sowie weiteren Repressalien sind damit Tür und Tor geöffnet. Insbesondere Trans*-Frauen, die nachts als Sex-Arbeiterinnen tätig sind, bekommen dies zu spüren. Diese, vor allem, wenn sie aus ärmeren Bevölkerungsschichten stammen, sehen aufgrund der Diskriminierungen im Bildungssystem und der Arbeitswelt oft keine andere Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Durch die gesellschaftliche Stigmatisierung ihrer Opfer haben gewalttätige Freier, Polizist_innen und Bewaffnete leichtes Spiel.
Doch trotz der anhaltend gefährlichen Lage und des Unwillens der Behörden, ernsthaft für den Schutz der Bürger_innen einzutreten, gibt es auch Positives zu berichten. Durch die Zuspitzung der Situation und bestärkt durch die nationale und internationale Solidarität begreifen sich immer mehr „Betroffene“ als Subjekte, und nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand. Die beharrlichen Kundgebungen vor der Staatsanwaltschaft und die sichtbare Beteiligung an den anderen Protesten der Widerstandsbewegung zeigen, dass die LGBT-Community sich keinesfalls einschüchtern lässt.
Auch innerhalb der Linken haben Vorkämpfer_innen wie Walter Tróchez den Weg für eine größere Offenheit und den Respekt vor sexueller Vielfalt geebnet. Seit Oktober 2010 gibt es mit der Bewegung der Vielfalt im Widerstand (MDR) überdies eine eigenständige Plattform, ein Bindeglied zwischen Community und Widerstandsfront. Honduranische Medien nehmen die verstärkte Präsenz wahr und rücken allmählich von stereotypisierenden Beschreibungen ab. Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Diskriminierung und Gewalt wird etwas größer. Zwei neue Clubs für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans* haben in Tegucigalpa geöffnet, die Sichtbarkeit im öffentlichen Leben nimmt zu. Ein weiterer Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins war ein im Dezember erstmals abgehaltenes landesweites Forum zu sexueller Vielfalt und Menschenrechten, an dem über 200 Menschen aus ganz Honduras teilnahmen. Es bleibt die Hoffnung, doch noch einen grundlegenden Wandel zu erreichen, auch wenn dies Jahre in Anspruch nehmen wird.

Glossar
LGBT // (engl.) Abkürzung für Lesbian-Gay-Bisexual-Transgender = Lesbisch-Schwul-Bisexuell-Transgender.

Trans* // Der Terminus umfasst als Oberbegriff sowohl Transgender, die das Überwinden von Geschlechterkategorien anstreben, als auch Transsexuelle, die eine Geschlechtsangleichung innerhalb der gegebenen Kategorien wünschen.

Travesti // (span.) Subkulturelle Selbstbezeichnung für Transgender mit ursprünglich männlicher Zuordnung, die selbstbestimmt ihre geschlechtliche Identität leben und definieren sowie teilweise ihre Körper modifizieren, etwa mittels der Einnahme weiblicher Hormone und der Injektion von Silikon

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