Mexiko | Nummer 431 - Mai 2010

ZapatistInnen unter Mehrfachbeschuss

In Chiapas spitzt sich die Situation für die zapatistische Bewegung zu

Im mexikanischen Bundesstaat Chiapas wird der Spielraum für alternative Bewegungen wie die ZapatistInnen derzeit immer enger. Diffamierungskampagnen der Medien verbinden sich mit Überfällen auf AktivistInnen. Auch MenschenrechtsverteidigerInnen geraten dabei zunehmend in die Schusslinie.

Thomas Zapf

„Marcos demaskiert“ titelte die konservative mexikanische Tageszeitung Reforma in ihrer Ausgabe vom 27. März. Als Beweis diente ein unscharfes Foto eines bärtigen Mannes, das neben einem der bekannteren Fotos des Subcomandante mit der gewohnten Maskierung und Pfeife abgedruckt wurde. Im dazugehörigen Artikel präsentierte die Zeitung einen angeblichen Deserteur des bewaffneten Teils der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN), welcher der Reforma ein 83-seitiges Dokument mit einer Auflistung von Namen, Fotos und Telefonnummern verschiedener Verantwortlicher innerhalb der zapatistischen Strukturen zugespielt habe. Zudem behauptet der Informant, über Belege für eine Finanzierung der EZLN durch die baskische Untergrundorganisation ETA zu verfügen. Verschiedene mexikanische und europäische Medien reproduzierten diese vermeintliche Sensation unkritisch. Schon seit Jahren werfen einige der EZLN eine Verbindung zur ETA vor, ohne dies jemals mit konkreten Beweisen zu unterfüttern. Die ZapatistInnen selbst hatten bereits 2005 öffentlich erklärt, keine Beziehungen zu anderen bewaffneten Gruppen in Mexiko oder anderswo zu unterhalten und sich von den Methoden der ETA distanziert.
Die Demaskierung Marcos’ entpuppte sich auch bald als Ente. Bei dem Abgebildeten handelte es sich um einen italienischen Menschenrechtsbeobachter namens Leuccio Rizzo, der die Reforma prompt zu einer Gegendarstellung aufforderte und mögliche rechtliche Schritte gegen die Zeitung ankündigte. Verschiedene italienische Solidaritätsgruppen verurteilten die Falschmeldung als offensichtlich beabsichtigt, die im Zusammenhang mit der „Kriminalisierung der zapatistischen Bewegung“ stehe. Ähnlich äußerten sich mehrere mexikanische sowie internationale Organisationen und AktivistInnen in der Erklärung „Die Solidarität ist unser Recht“. In dieser stellten sie eine aktuelle Kampagne in Mexiko und Lateinamerika fest, die versuche, „den Akt der Solidarität mit den sozialen Bewegungen, und in diesem Fall speziell mit den zapatistischen Gemeinden, zu stigmatisieren, zu delegitimieren und letztlich zu kriminalisieren“.
Das Hervorheben der Solidarität mit den ZapatistInnen kommt nicht von ungefähr: Die Kommentatorin Magdalena Gómez erinnerte in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada daran, dass auch die letzte militärische Großoffensive der mexikanischen Armee gegen die zapatistische Guerilla im Februar 1995 von Meldungen über die vermeintliche Identität des militärischen Chefs der EZLN sowie weiterer Mitglieder ihrer Führungsstruktur begleitet worden war. Damals waren es die massenhaften Proteste der mexikanischen Zivilgesellschaft, die ein Ende des Angriffs erreichten.
Die Falschmeldung in der Reforma ist der jüngste Vorfall in einer Reihe von Berichterstattungen über indigene Bewegungen in Chiapas, bei denen Tatsachen verdreht oder Meldungen einfach erfunden werden. Bedenklich stimmt, dass es sich dabei keineswegs nur um regierungsnahe Medien handelt. So behauptete die als links und bewegungsnah geltende La Jornada am 25. November 2009, der chiapanekische Kongress hätte auf Bitte von VertreterInnen der zapatistischen Räte der Guten Regierung, den regionalen Entscheidungsinstanzen der zapatistischen Autonomie, einen Aufruf zur Anerkennung der zapatistischen Strukturen an den Gouverneur des Bundesstaates weitergeleitet. Am nächsten Tag dementierten alle fünf zapatistischen Räte die Meldung in jeweils eigenen Erklärungen. Hinzu kommen in der Jornada immer wieder Artikel, in denen indigene Bewegungen betreffende Initiativen der Bundesstaatsregierung gelobt werden, ohne die Betroffenen zu konsultieren. Mitunter werden gar soziale Proteste diffamiert und deren AnführerInnen kriminalisiert. Ein generelles Problem der mexikanischen Tageszeitungen ist, dass sie finanziell auf den Abdruck von Regierungsanzeigen angewiesen sind, die oft erst auf den zweiten Blick oder gar nicht als solche zu erkennen sind. So begründete Luis Hernández Navarro, Leiter der Meinungssektion der Jornada, auf einer Konferenz diese Praxis seiner Zeitung bezüglich Anzeigen der chiapanekischen Regierung mit der „wirtschaftlichen Notwendigkeit“. Zwar bleibe laut Hernández Navarro die redaktionelle Freiheit davon unberührt. Doch drängt sich bisweilen der Verdacht auf, dass es sich die Jornada sich mit ihren Anzeigenkunden nicht verscherzen will.
Die medialen Schüsse gegen die ZapatistInnen und andere oppositionelle indigene Gemeinden gehen mit realer Repression und Konfrontationen einher, die in den vergangenen Monaten zugenommen haben. Deren Ursache ist der Widerstand der Dörfer gegen wirtschaftliche und infrastrukturelle Projekte, die ihnen ihr Land und damit ihre Lebensgrundlage entziehen würden. Häufig werden dabei regierungstreue Organisationen und Gemeinden gegen die Aufständischen instrumentalisiert.
Dies ist Fall der indigenen Gemeinde Bolom Ajaw, die am 6. Februar Schauplatz eines Übergriffes von Mitgliedern der teilweise paramilitärisch agierenden Organisation zur Verteidigung der Rechte der Indigenen und Kleinbauern (OPDDIC) aus dem Nachbardorf Agua Azul auf zapatistische Gemeindemitglieder war. Laut dem Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas war der Auslöser der Konfrontation die Kontrolle über noch unberührte Wasserfälle nahe dem zapatistischen Dorf, neben denen nach Regierungsplänen eine luxuriöse Hotelanlage gebaut werden soll. Im entsprechenden Bericht des Menschenrechtszentrums zu dem Vorfall heißt es, die Unterlassungen und mangelnde Untersuchung des Übergriffs seitens der staatlichen Stellen „lassen die Annahme zu, dass die bewaffneten Handlungen der Bewohner von Agua Azul von den mexikanischen Behörden toleriert und gestützt werden, wobei das große touristisch-kommerzielle Interesse an der Region, in der sich die zapatistische Gemeinde befindet, und hier unter anderem die Realisierung des Centro Integralemente Planeado Palenque [ein Infrastrukturprojekt zur Förderung des Tourismus‘ in der Region um Palenque und Agua Azul; Anm. des Autors] als Indiz gelten“.
Bolom Ajaw steht dabei in einer Reihe ähnlicher Vorfälle. So erklärt Marina Pages vom Internationalen Friedensdienst (SIPAZ): „Verschiedene Ökotourismusprojekte, die von der chiapanekischen Regierung gefördert werden, befinden sich auf indigenem Gebiet. Aber die betroffenen Gemeinden werden meist nicht konsultiert und bei Widerstand gegen diese Projekte Opfer von Repression.“ Die Koordinatorin des internationalen Programmes, das seit 15 Jahren in Chiapas im Bereich der Konfliktschlichtung und der punktuellen Begleitung von sozialen Prozessen arbeitet, weist auf ein generelles Klima der Spannung in Chiapas sowie im ganzen Land hin. „Wir befinden uns in einer Situation extremer Verwundbarkeit in Mexiko. Dies betrifft nicht nur die sozialen und indigenen Bewegungen, sondern auch die Arbeit von MenschenrechtsverteidigerInnen“, so Pages, die bereits seit 13 Jahren in Chiapas arbeitet.
Denn nicht nur die indigenen Widerstandsbewegungen sind Zielscheibe der Regierung und Objekt tendenziöser Berichterstattung. Zunehmend werden auch die Organisationen und Personen, die soziale Prozesse begleiten, Opfer von Diffamierung, Drohungen und direkten Angriffen. Mitte 2009 war das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas wochenlang einer Diffamierungskampagne diverser lokaler Zeitungen ausgesetzt unter dem Vorwurf, sie würden Kriminelle verteidigen. Hinzu kam, dass verschiedene MitarbeiterInnen der Organisation im selben Zeitraum von Unbekannten überwacht wurden, die sie dem mexikanischen Geheimdienst zurechneten. Dieses Klima hat dann auch dazu beigetragen, dass einer der Anwälte des Zentrums, Ricardo Lagunes, nach einem Aufenthalt in einem indigenen Dorf am 18. September 2009 in einen Hinterhalt gelockt und tätlich angegriffen wurde. Zwischenzeitlich waren mehrere Personen, die an dem Angriff auf Lagunes beteiligt waren und der OPDDIC zugerechnet werden, inhaftiert worden. Sie kamen aber alle recht bald wieder auf freien Fuß, eine Aufklärung des Falles steht bis heute aus.
Der Angriff auf Ricardo Lagunes ist kein Einzelfall. Drohungen und Gewaltanwendung scheinen auch ein Mittel zu sein, wenn die Polizei in die Situation gerät, sich für Amtsmissbrauch rechtfertigen zu müssen. So im Falle der Familie von Adolfo Guzmán, Mitarbeiter der mit Kleinbauern und -bäuerinnen arbeitenden Organisation namens Verbindung, Kommunikation und Befähigung in der Gemeinde Comitán, die am 8. November 2009 Opfer einer gewaltsam durchgeführten Hausdurchsuchung der Polizei wurde. Nachdem Guzmán und seine Frau Margarita Martínez dagegen Anzeige erstatten hatten, erhielten sie mehrfach Morddrohungen mit der Aufforderung, die Anzeige zurückzuziehen. Am 25. Februar, einen Tag vor der Aufnahme ihrer Aussagen durch die Sonderstaatsanwaltschaft für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern, wurde Margarita Martínez von Unbekannten um die Mittagszeit entführt und gefoltert, kurz darauf aber wieder freigelassen. Allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz machte die Familie am nächsten Tag ihre Aussagen.
Die jüngsten Entwicklungen in Chiapas stehen in starkem Kontrast zu den offiziellen Feierlichkeiten der mexikanischen Regierung anlässlich des hundertsten Jahrestages der Revolution (1910-1919). Paradox mag es anmuten, dass in dieser Zeit der Erinnerung an die letzte landesweite soziale Umwälzung der tolerierte Rahmen für friedliche soziale Veränderungen von unten mehr und mehr beschnitten wird. Selbst der Vertreter des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen bezeichnete die Diffamierung von MenschenrechtsverteidigerInnen als „VerteidigerInnen von Kriminellen“ durch staatliche Stellen als inakzeptabel. Klar ist, dass sich AktivistInnen in Mexiko derzeit in einer äußert schwierigen Situation befinden. Viele MexikanerInnen hoffen, dass dieses symbolträchtige Jahr der Startschuss für einen erneuten Massenaufstand für sozialen Wandel wird. Umgekehrt erklärt sich die jüngste Steigerung der Repressionspolitik der Regierung als Präventionsmaßnahme gegen einen solchen.

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