Kunst | Nummer 399/400 - Sept./Okt. 2007

Zeichnend kämpfen

Karikaturen untergraben das Selbstbild mexikanischer PolitikerInnen – Interview mit dem Meister der politischen Satire El Fisgón

Rafael Barajas, den unter diesem Namen kaum einer kennt, versteht viel von der Macht des Bildlichen. Deswegen kennt auch jede und jeder, der einmal die mexikanische Tageszeitung La Jornada oder die Satirezeitung Chamuco aufgeschlagen hat, Rafael Barajas – allerdings unter seinem Künstlernamen El Fisgón („Der Schnüffler”). Als solcher ist Barajas einer der wichtigsten Karikaturisten Mexikos und „Teil einer langen Tradition der ‚kämpferischen Polit-Karikatur‘“, so Barajas über den Fisgón. Die LN sprachen mit ihm über die Rolle der Karikatur und die Arbeit der „kämpferischen Polit-Karikaturisten“ in Mexiko, über die Zensur und das Verhältnis von Kunst und Politik – sowie über die Frage, warum er uns unseren Tee in gelben Tassen serviert, auf denen die Präsidentschaft für López Obrador eingefordert wird, während er selbst aus einem schwarzen Becher mit dem Konterfei des Subcomandante Marcos trinkt.

Anna Susi, Börries Nehe

Rafael, woher kriegst du die Ideen für deine Karikaturen?

Die Musen der Griechen waren ja schöne Frauen. Unsere Musen hingegen sind fürchterliche Persönlichkeiten, Monster. Die politische Szene des Landes sind Leute wie Felipe Calderón, Carlos Salinas de Gortari und Carlos Slim. Meine Arbeit speist sich aus der Verärgerung, der Empörung und der Absurdität der nationalen Politik. Das Paradox in einem politischen Ereignis ist die Grundlage für einen Witz. Die politische Klasse Mexikos ist brilliant in dieser Hinsicht, quasi vorkarikiert für uns. Man schaue sich Calderón an: Ein beinahe kahlköpfiger Zwerg mit einem absurden Haartöllchen, pausbäckig und mit einer Brille auf der kugeligen Nase. Jedes Kind könnte ihn zeichnen.

Euer Beitrag ist doch die Transformation dieser vorkarikierten politischen Realität in ein Bild. Wie siehst du die Rolle der Karikatur in einem Land wie Mexiko, in dem wenig gelesen wird?

Die Karikatur ist ein sehr effizientes Genre in Mexiko: Zum einen ist ihre Verbreitung äußerst leicht. In der U-Bahn werden die Fotokopien unserer Karikaturen für ein paar Centavos verkauft, Ladenbesitzer kleben sie in ihre Fenster, sie dienen als Plakate. Zum anderen erlaubt die Karikatur die Verbreitung politischer Botschaften in Teile der Gesellschaft, in denen das Lesen von Zeitungen entweder nicht üblich oder unmöglich ist. Die Karikatur erreicht so auch die Analphabeten und Semi-Analphabeten.

Du hast dich uns als „kämpferischer Karikaturist“ vorgestellt. Was impliziert dies für dich?

Meine Karikaturen sind bestimmten gesellschaftlichen Sektoren und bestimmten Dingen verpflichtet. Bereits seit den Sechzigern wurde darüber debattiert, ob die Karikatur einer politischen Sache verpflichtet oder lediglich ästhetisch wertvoll sein soll. Das Politische in der Kunst ist ebenso gültig wie jedes andere Thema. Im Grunde haben alle großen Künstler auch politische Werke geschaffen – und insofern ist es unmöglich, die Politik von der Kunst zu trennen.
Heute befinden wir uns meiner Meinung nach in einer sehr wichtigen Phase der Geschichte. Der Aufstieg der Rechten in der gesamten Welt ist ein äußerst unheilvolles Zeichen, es ähnelt zu sehr den Anfängen des Faschismus in den Dreißiger Jahren. Die neoliberale Politik produziert einen Genozid. Man schaue sich nur die Lage im Irak an. Wir können nicht einfach stillschweigend zuschauen. Es geht heute darum, eine breite antifaschistische Front zu bilden, wir müssen dem Neoliberalismus Einhalt gebieten. Diese Front wird wachsen, denn der Horror wird nicht einfach aufhören.

In Mexiko äußerte sich dieser Horror unter anderem in den Geschehnissen in Atenco und Oaxaca. Verlierst du angesichts dieser staatlichen Brutalität nicht den Humor?

Nein, der Humor bleibt aus einem einfachen Grund nicht auf der Strecke: Sein Ursprung sind immer die menschlichen Dramen. Es gibt keinen Witz, der nicht mit der Verzweiflung, der Verrückheit, dem Schmerz oder der Frustration zu tun hat. Dies ist die Quelle des Witzes, und auch deswegen funktioniert die Karikatur so gut als Genre der Anklage und als didaktisches Instrument.

Aber lauert da nicht die Gefahr der Banalisierung?

In Mexiko wurde viel darüber diskutiert, ob die Karikatur nicht auf Dauer das Böse banalisiert, ob sie die Politiker, die Monster sind, nicht ungewollt vermenschlicht. Ich denke nicht. Es ist die alte Idee der Karikatur, dass die Angst vor der Lächerlichkeit das Verhalten der PolitikerInnen ändert. Zudem sind die Politiker für gewöhnlich Zyniker, aber gleichzeitig stets sehr besorgt um ihr Image. Und wenn sie auf das Auslachen zynisch reagieren – und genau dies geschieht in Mexiko – dann wird in der öffentlichen Wahrnehmung ihr beabsichtigtes Image durch das der Karikatur ersetzt. Die Karikatur dient insofern dazu, das Bild, das die Politiker von sich selbst zeichnen möchten, zu untergraben.

Wie reagiert der Politapparat heutzutage auf eure Anstrengungen, ihn zu untergraben?

Zum Glück sehen wir uns nicht mehr wie früher einer totalitären Zensur ausgesetzt, vor allem wegen des Internets. All jene Karikaturen, die in Zeitungen verboten werden, werden umso häufiger im Internet nachgeschlagen. Ich kenne das aus eigener Erfahrung – wenn meine Karikaturen zensiert werden, stelle ich sie ins Internet und sie werden von wirklich vielen Leuten angeschaut – sie gewinnen an Wert, wenn ich drunter schreibe: „Diese hier hat man mir verboten”.

Welche Mechanismen werden denn heute eingesetzt, um bestimmte Meinungen zu unterbinden?

Die Zensur wird heute von den Chefs der Zeitungen und Fernsehanstalten ausgeübt sowie von den großen Anzeigenkunden. Carlos Slim schaltet heute die meisten Anzeigen in den mexikanischen Medien – weit mehr als die Regierung. Unter anderem deswegen wird eher eine Karikatur von Slim zensiert als eine von Calderón.
Beispielsweise gab es kaum Berichterstattung über den Wahlbetrug 2006. Nachdem die Wahlkampagne detailliert dokumentiert worden war, schwieg sich das Fernsehen nach den Wahlen einfach aus. Die Probleme nach den Wahlen wurden nicht erwähnt. Das bedeutet, dass sie für einen großen Teil der Bevölkerung einfach nicht existierten. Und wer übt die Zensur aus? In den Zeiten der PRI (Institutionelle Revolutionäre Partei) konntest du die Armee nicht antasten, weil sie gefährlich war. Und du konntest die Virgen de Guadalupe nicht antasten, weil sie heilig war. Und natürlich konnte man den Präsidenten nicht antasten, denn der war gefährlich und heilig zugleich. Das hat sich geändert – heutzutage sind Unternehmern tabu und immer stärker die Kirche. Und im Norden des Landes der Drogenhandel. Die Narcos üben eine sehr reelle und effektive Zensur aus.

Du engagierst dich verschiedentlich für López Obrador, wir trinken gerade Tee aus Tassen, auf denen ¡AMLO presidente! geschrieben steht – du hingegen trinkst aus einem Marcos-Becher. Wie verortest du dich denn nun im politischen Spektrum Mexikos?

Marcos hat sich bezüglich López Obrador in verschiedenen Punkten geirrt. Er sieht in ihm den Verbündeten des Großkapitals, während die Repräsentanten eben dieses Kapitals in López Obrador die größte Gefahr sehen und eine brutale Kampagne gegen ihn in Bewegung setzen. Ich kann kaum glauben, dass Marcos das nicht sieht. Viele Menschen in Mexiko haben Marcos den Rücken gekehrt, aus eben diesen und anderen Gründen. Wir unterstützen den Zapatismus natürlich weiterhin. Jedoch so, wie wir Marcos unterstützt haben, als wir meinten, er habe Recht – so kritisieren wir ihn nun, da wir denken, dass er sich irrt. Zudem sind wir Anhänger von López Obrador, nicht der PRD. López Obrador verkörperte in diesen Wahlen etwas sehr Wichtiges. Im Kern ging es in der öffentlichen Debatte darum, ob wir weiterhin der liberalen Orthodoxie folgen oder etwas anderes beginnen wollen. AMLO strebt bestimmt nicht den Sozialismus an. Er ist moderat, sehr viel moderater, als ich es mir wünschen würde. Und trotzdem: Meiner Meinung nach befindet Mexiko sich derzeit auf dem Weg Richtung Faschismus. Und dieser Entwicklung kann ohne die Vermittlung und Arbeit López Obradors nicht begegnet werden. Die Bewegung um ihn ist, denke ich, eine sehr neue soziale Bewegung – demokratisch, breit, pazifistisch und anti-neoliberal.

Aber musst du nicht als kritischer Karikaturist eine Distanz zur Macht zu halten?

Natürlich, und ich habe eine Distanz zu allen Gruppen. Doch López Obrador hat ja de facto keine Macht. In der Chamuco kritisieren wir die Linke und ganz speziell López Obrador. Meine Pflicht als Karikaturist sehe ich aber eher darin zu sagen, was ich denke. Eine Objektivität gibt es ohnehin nicht. Der Unterschied zwischen uns Karikaturisten und anderen Journalisten ist nicht die vermeintliche Objektivität, sondern dass sie Interessen vertreten und wir Prinzipien.

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