Zum Schweigen gebrachte Stimmen
Verschwundene Journalist*innen im mexikanischen Michoacán

Am 20. November 2006 rief José Antonio García Apac, Gründer der Wochenzeitung Eco de la Cuenca del Tepalcatepec, sein Kind an, während er durch die Region Tierra Caliente (Gebiet im Südwesten Mexikos, Anm. d. Red.) fuhr. Während des Gesprächs hörte seine Familie, wie er an einem Kontrollpunkt angehalten wurde. „Buenas noches, jefe“, sagte Apac – so pflegte er Militärs anzusprechen. Danach waren Schläge und Lärm zu hören, dann Stille. Von ihm und dem von ihm gefahrenen Wagen fehlt seither jede Spur.
García Apac hatte in seinen Veröffentlichungen die Verstrickungen zwischen Polizei, Militär und Kartellen angeprangert und in der Zeitschrift Proceso über die Verbindungen von Behörden zum Kartell der Zetas und den entstehenden Selbstverteidigungsgruppen berichtet. Sein Verschwinden führte zu einer Untersuchung, die jedoch rasch zwischen Inkompetenz, Aktenverschiebungen und jahrelanger Untätigkeit versandete. Zeugenaussagen über Drohungen im Zusammenhang mit seiner journalistischen Arbeit wurden ignoriert. Fast zwei Jahrzehnte später wird die offizielle Suche noch immer blockiert.
Der Fall von María Esther Aguilar Cansimbre weist Parallelen auf: Am 11. November 2009 verließ die Journalistin ihr Haus in Zamora, Michoacán, nachdem sie einen Anruf erhalten hatte und kehrte nie wieder zurück. Die 34 Jahre alte Mutter von zwei kleinen Töchtern hatte eine 17-jährige Laufbahn in lokalen Medien hinter sich. In ihren Artikeln deckte sie Polizeigewalt und Verbindungen lokaler Autoritäten zur organisierten Kriminalität auf. Unter ihren Unterlagen fand sich ein Dokument, das den damaligen Polizeichef von Zamora, Jorge Arturo Cambroni, belastete, weil er sich mit Leibwächtern umgab, die zu den Kartellen Familia Michoacana und zu den Zetas gehörten. Ein anonymer Faxhinweis beschrieb ihre Entführung auf direkte Anordnung von Cambroni. Keiner dieser Beweise wurde jedoch ernsthaft untersucht. Die Staatsanwaltschaft stufte den Fall zunächst als „illegale Freiheitsberaubung“ ein, ohne dringende Suchprotokolle zu aktivieren. Über ein Jahrzehnt lang wurden die Hinweise auf ihre journalistische Tätigkeit systematisch ignoriert.
Beide Fälle spielten sich im selben Klima ab: Michoacán als Epizentrum der Militarisierung der Sicherheitspolitik in Mexiko. Mit dem Beginn des sogenannten Drogenkriegs in Mexiko im Jahr 2006 wurden 4.200 Soldat*innen, 1.000 Marineangehörige und 1.400 Bundespolizist*innen entsandt – mit dem Versprechen an die Bevölkerung, die Kontrolle zurückzugewinnen. Was folgte, war jedoch eine Spirale der Gewalt, in der unter anderem die Presse der Kriminalität und den staatlichen Verstrickungen zum Opfer fiel.
Die institutionelle Antwort war stets dieselbe: Gleichgültigkeit, Verzögerungen, verschwundene Beweise und Ermittlungen, die nie zur Wahrheit führten. Auch die Schaffung von Institutionen wie der FEADLE (Sonderstaatsanwaltschaft für Verbrechen gegen die Meinungsfreiheit) im Jahr 2010 durchbrach die Logik struktureller Straflosigkeit nicht: Geschlossene Akten ohne ausgeschöpfte Ermittlungsansätze und lange Phasen der Untätigkeit ließen die Straflosigkeit andauern. Die extreme Bedrohung zwang vor allem die besonders gefährdeten Lokaljournalist*innen zu immer mehr Selbstzensur.
Die Fälle des gewaltsamen Verschwindenlassens von García Apac und Aguilar Cansimbe sind mehr als nur individuelle Geschichten. Sie sind Teil einer Gewalt- und Straflosigkeitsmaschinerie, die Mexiko durchzieht. Sie sind Spiegelbilder dafür, dass der Staat nicht nur unfähig ist, die Presse zu schützen, sondern in vielen Fällen durch aktives Handeln oder aber unterlassene Strafverfolgung selbst Komplize ist. Die Namen der beiden Journalist*innen fügen sich in eine schmerzhafte Liste ein: In den letzten 20 Jahren wurden mindestens 28 Journalist*innen in Mexiko aufgrund ihrer Arbeit verschwinden gelassen.
Angesichts der fehlenden innerstaatlichen Antworten haben die Familien von García Apac und Aguilar Cansimbe, unterstützt von der mexikanischen Organisation Propuesta Cívica und Reporter ohne Grenzen, eine Klage beim UN-Menschenrechtsausschuss eingereicht. Die Klage macht den mexikanischen Staat für das Verschwinden der Journalist*innen verantwortlich. Solche internationalen Schritte sind nicht nur der letzte Weg, um Gerechtigkeit einzufordern, sondern machen auch die systemischen Defizite des mexikanischen Justizsystems sichtbar.
„Die gewaltsamen Verschleppungen der Journalistin María Esther Cansimbe und von José Antonio Apac sind Beispiele für die extreme Gewalt gegen die Presse in Mexiko“, betont Sara Menidiola, Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation Propuesta Cívica. Weiter erklärt sie: „Sie zeugen von der tief verwurzelten Straflosigkeit, vom Fehlen einer öffentlichen Strafrechtspolitik zur sorgfältigen Untersuchung schwerer Menschenrechtsverletzungen und vom mangelnden Willen des mexikanischen Staates, diese Verbrechen zu bestrafen und ihre Wiederholung zu verhindern. Der Zugang zur Justiz bleibt für die Opfer ein einsamer und mühsamer Weg.“
Verschwundene Journalist*innen im mexikanischen Michoacán




