Film | Nummer 450 - Dezember 2011

Zurück auf Null

Die Reportage Herz des Himmels – Herz der Erde berichtet über die Kosmovision der Maya aus Südmexiko und Guatemala

Der Reportage- und Interviewfilm Herz des Himmels – Herz der Erde zeigt die menschlichen Probleme am Beispiel verschiedener Akteur_innen und entwirft das Bild einer Maya-Spiritualität, die nichts mit Esoterik und dem Hype um das Jahr 2012 zu tun hat.

Harry Thomaß

Am Anfang war nur das Meer, es spiegelten sich die Wolken auf der gekräuselten Wasseroberfläche. Farben, Formen und Worte. Der Film Herz des Himmels – Herz der Erde beginnt mit den Worten aus dem Popol Vuj, dem Schöpfungsmythos der Maya. Bilder einer ursprünglichen Schönheit von Himmel und Wolken, Meer und Wellen, Erde und Bäumen zusammen mit dem aus dem Off gesprochenen Maya-Quiché Text machen den Beginn der Schöpfung zum Anfang des Films.
Anhand persönlicher Geschichten werden die alltäglichen Probleme der Menschen in der Region Südmexiko und Guatemala beschrieben. Vier der beschriebenen Personen sind schamanistische Priester, das gibt dem Film und den dargestellten Lebensgeschichten eine spirituelle Ebene. Diese verleiht dem Film aber keinen Eso-Touch, sondern vermittelt eine alltägliche Spiritualität, bei der zum Beispiel eine Maisernte zu einer religiösen Erfahrung werden kann.
Stellvertretend für die verschiedenen Maya-Ethnien zeigt der Film in Guatemala mit Floridalma eine Mam-Maya und mit Kajkan Felipe einen Cakchiquel-Maya und deren Erfahrungen aus dem Bürgerkrieg. Kajkan Felipe, selbst als junger Mann in den Bürgerkrieg verwickelt, veranstaltet heute als schamanistischer Priester Zeremonien, um das Leid, das aus dem Bürgerkrieg entstanden ist, auf seelischer Ebene zu bearbeiten. Floridalma besucht im Film ihr Heimatdorf, aus dem sie als kleines Mädchen mit ihrer Familie nach Mexiko geflüchtet ist. Im Film trifft sie auf alte Freunde und Verwandte, aber es wird kein kitschiges Bild der Begegnung entworfen, sondern ein Bild einer Frau gezeichnet, die mit ihrer jungen Tochter in das Dorf ihrer Kindheit zurückkehrt. Die Kamera zeigt eine Frau, die in ihr Heimatdorf zurückkommt, dort fremd bleibt und doch Anschluss findet.
In San Miguel, einem anderen Dorf in dem Departamento San Marcos unterstützt Floridalma die Aktivist_innen gegen die Mine Marlin (siehe LN 438). Die Hauterkrankungen der Neugeborenen haben deutlich zugenommen, seitdem die Tagebau-Mine Marlin ausgebeutet wird. „Diese Mine ist eine Fortführung der Eroberung durch den weißen Mann und es geht immer weiter, aber es muss endlich Schluss sein!“, sagt sie. „In der modernen Welt will man uns weismachen, dass die Dinge voneinander getrennt sind: Wirtschaft, Politik, die Natur, Bäume, die Flüsse, der Mais und das menschliche Leben sind voneinander getrennte Dinge. Aber es ist dumm, so zu denken. Alles ist miteinander verbunden und hängt zusammen“, so Floridalma.
Oder Josefa „Chepita“ aus Chiapas, Mexiko. Die Tsotzil-Maya bezeichnet sich als eine spirituelle Schwester von Floridalma. Man sieht sie als schamanistische Priesterin auf dem Friedhof Blumen und Baumharz opfern, aber auch bei der Alphabetisierung von anderen Frauen. In den Interviewsequenzen berichtet sie von ihrem Werdegang als Priesterin und ihren Problemen in der machistischen Gesellschaft von Chiapas.
Carlos Chan Kin, Schamane der Lakandonen, beschreibt ein düsteres Bild der Zukunft: Flüsse, Seen und Meere würden bald verschmutzt sein und es würden keine Heilpflanzen mehr im Urwald wachsen. In seiner lakonischen Art zeichnet Chan Kin eine Zukunft, in der die Menschen bald vom Angesicht der Erde verschwinden werden. „Ich selbst werde auch nicht alt werden, das weiß ich.“
Alonso, Archäologe aus Palenque, Mexiko, richtet den Blick auf das magische Datum 21.12.2012 und zieht eine Parallele zum Kollaps der klassischen Mayakultur im 10. nachchristlichen Jahrhundert. Damals hatte der Lebenswandel der absolutistischen Gottkönige der Maya zu einer ökologischen und sozialen Katastrophe geführt und zu einer einschneidenden Veränderung in der Kultur der Maya geführt. „An dieser Stelle stehen wir heute auch“, sagt Alonso. „Wie damals die Maya haben auch wir heute unsere Lebensgrundlage zerstört.“ Vom Beifahrersitz seines Jeeps wird der Archäologe mit einer wackligen Handkamera gefilmt, während er auf der Suche nach dem Ort Tortuguero ist, dort wo die einzige Inschrift der Maya gefunden wurde, die sich auf das Datum 21.12.2012 bezieht. Auf einer gewaltigen Baustelle, in einer apokalyptischen Szenerie, wo riesige Bagger und Trucks die Erde umgraben, sucht der Archäologe nach den Überresten der alten Mayastadt. Völlig teilnahmslos zeigt ihm dann ein Bauarbeiter, was noch an Ort und Stelle von dem vorspanischen Ort übrig geblieben ist: Nichts.
Der Film ist eine gelungene Mischung aus Reportage und Interview. Die verschiedenen Personen werden in alltäglichen Begegnungen gefilmt und in langen Sequenzen berichten sie von ihrem Leben und ihren Erfahrungen. So bekommen wir einen Einblick in eine Lebenswelt und Spiritualität, die uns doch sehr fremd ist. Das Datum 21.12.2012 taucht – wenn überhaupt – nur am Rande auf. Vielmehr geht es um die alltäglichen Begegnungen und Probleme der Menschen, wie Analphabetismus, Machismo, der Kampf gegen die fortschreitende Ausbeutung der Ressourcen auf Kosten der dort lebenden Menschen.

Herz des Himmels – Herz der Erde // Frauke Sandig und Eric Black // 98 Min. // Deutschland / USA 2011 // Kinostart: 1. Dezember 2011

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