Honduras | Nummer 277/278 - Juli/August 1997

Zwei Tote für 9000 Hektar Land

Honduranische Indígenas bei Protesten erfolgreich

3000 Chortí-Indígenas sind Anfang Mai in die honduranische Hauptstadt Tegu­cigalpa marschiert. Dort haben sie den Präsidentenpalast belagert, um Besitzurkun­den für ihr traditionelles Siedlungsgebiet zu fordern. Nach mehrfachem Abbruch der Verhandlun­gen konnte nach neun Tagen schließlich eine Einigung zwischen den Indígenas und der Regierung erreicht werden: Den Chortí werden nun 9000 Hektar Land überschrieben.

Bernd Kappes

“Es ist nicht auszu­schließen, daß die mexika­nischen Zapati­sten, ehema­lige sal­vadorianische Gueril­lakämpfer und poli­tische Gruppierungen aus Nicara­gua die indigene Be­wegung von Honduras in­filtriert ha­ben.” Julio Chá­vez, Polizei­kommandant aus Tegu­cigalpa, hat seiner Phanta­sie offensichtlich freien Lauf gelas­sen. Es ist nicht klar, warum er in sei­ner Spekulation nicht noch an­dere Widerstandsbewegun­gen erwähnt, etwa die pe­ruanische oder die gua­temaltekische oder auch Fidel Castro persönlich. Aber es ist klar, daß der Hüter der öffentlichen Si­cherheit von der schlag­kräftigen Organisation der Indianer beeindruckt ist. Er kann sich die Stärke und Vielfalt der politischen Ak­tivitäten der Ureinwohne­rInnen, die sich in der “Konföderation der au­tochthonen Völker von Hondu­ras” (CONPAH) gesammelt ha­ben, nur durch äußere Unterstüt­zung erklären.
Tatsächlich sind die “Eth­nien”, wie in Honduras die indi­ge­nen Völker und die schwarzen Be­völ­ke­rungsgruppen zusam­men­fassend genannt wer­den, tra­di­tionell die stärkste der sozialen Be­we­gungen. In dieser “Tra­di­tion” stehen auch die jüng­sten Pro­teste der Chortí-Indianer in Te­gu­cigalpa.
Die Chortí leben in den an Guatemala angrenzen­den De­partamentos Copán und Ocotepeque. Sie haben Anfang Mai einen Marsch auf Tegu­cigalpa organisiert und mit etwa 3000 Men­schen die Residenz des honduranischen Präsidenten be­lagert. Ziel der Proteste war zum einen, die Auf­klärung des Mor­des an ei­nem Chortí-Führer einzu­fordern. Cándido Amador Recinos, einer der Haupt­aktivisten im Landkampf der Chortí gegen Groß­grundbesitzer und Vieh­züchter, wurde Mitte April erschossen. Zum anderen forderten die Chortí die umge­hende Aushändigung der Besitz­titel über 14.000 Hektar Land in ihrem tra­ditionellen Siedlungs­gebiet, das ihnen Viehzüchter streitig machen.
Am Tag, als die Demon­stra­tion vor dem Präsiden­tenpalast be­gann, setzte die Re­gierung eine Verhand­lungskommission un­ter der Lei­tung des Ministers für Kultur, Kunst und Sport ein.

Leihgabe Land

Die sagte nach mehrstündigen Ver­handlun­gen den Demon­strie­ren­den le­diglich die “vor­über­ge­hen­de Nutzung” von Agrarland zu: 2000 Hektar als “Leihgabe” für drei Monate. Die Chortí be­zeich­neten dies als “lächerlich und ignorant” und brachen die Verhand­lungen ab. Zweihundert von ih­nen begannen einen Hun­ger­streik.
Ausdruck von Ignoranz und Rassismus gegenüber der Urbe­völkerung sind auch öffentliche Stellung­nahmen der Kommis­sions­mitglieder. Der staatliche Eth­nien-Beauftragte Eduardo Vi­lla­nueva ver­suchte, die Chortí mit der Behauptung zu dif­fa­mie­ren, diese hätten bei ihrem Marsch auf Tegucigalpa Frauen und Kinder geopfert.
So überrascht es nicht, daß auch das zweite Ange­bot, mit dem die Regie­rungskommission we­nige Tage später auf den Ver­hand­lungsabbruch reagierte, le­diglich Absichtserklärun­gen und keine konkreten Zusagen ent­hielt. Zum Beispiel schlug die Kom­mission vor, die Groß­grund­be­sitzer im Gebiet der Chortí “aus humanitären und so­zialen Grün­den zu bitten”, den In­dí­ge­nas eine für die Subsi­stenz­wirt­schaft nötige Menge Land zu über­lassen. Die Chortí ant­wor­te­ten ihrer­seits mit ei­nem kon­kre­ten Acht-Punkte-Kata­log, in dem an erster Stelle die Forde­rung nach Übertragung von 14.000 Hek­tar Land wie­derholt wird. Der Forde­rungskatalog wurde von CONPAH vorgelegt und hat­te somit das Gewicht ei­nes Do­ku­mentes aller hon­du­ra­ni­schen Ethnien.
Am fünften Tag der Be­la­ge­rung der Residenz un­terbreitete die Regie­rung schließlich ein An­gebot zur Überschrei­bung von 4000 Hektar Agrarland. Bevor die Chor­tí über Zustim­mung oder Ablehnung ent­scheiden konn­ten, wurde die Belagerung völ­lig uner­wartet und gewalt­sam ge­räumt. Polizei­beamte und Sol­da­ten vertrieben die 3000 De­mon­strantInnen aus dem aus Kar­tons und Plastikpla­nen er­rich­teten Lager. Frauen, Kinder und alte Menschen wur­den da­bei ge­schlagen. Der Dia­log brach er­neut zusammen. 400 Meter von der Resi­denz des Prä­sidenten ent­fernt ließen sich die Chortí erneut nieder.

Gewalt gegen die Belagerer

Die Verhandlungen wur­den erst wieder aufgenom­men, als eine Kernbedin­gung der Demon­stranten für die Fortsetzung der Verhandlungen erfüllt wurde und der Kulturmini­ster als Leiter der Regie­rungskommission aus­schied. Schließlich konnte – neun Tage nach Beginn der Proteste – eine Überein­kunft mit der Regie­rung erzielt werden: Sie sicherte zu, den Chortí im Verlauf der näch­sten sechs Mo­nate Besitz­ti­tel für 9000 Hektar Land schritt­wei­se zu über­schreiben.
Der Vertrag zwischen den Chor­tí und der Regie­rung be­deu­tet keineswegs das Ende der Land­konflikte und sollte nicht vor­eilig als “historischer Erfolg nach Jahrhunderten” gefeiert wer­den. Der Tag des Ab­kom­mens zwischen den Chortí und der Regierung wird durch den Mord an einem weiteren In­di­ge­na-Führer überschattet: Jorge Ma­nueles, Aktivist bei der Ver­tei­digung des Landbe­sitzes des Lenca-Volkes und engagiert im Kampf gegen die Abholzung der Wäl­der durch die großen Sä­ge­wer­ke, ist am selben Tag auf of­fener Straße er­schossen wor­den. Gleich­wohl ist das Ergebnis der neun­tägigen Protestaktion ein wich­tiger Schritt nach vorn: Es ist Zeichen da­von, daß die Poli­ti­sierung der Indígenas zunimmt, und es ist ein kon­kreter Erfolg im Kampf der Eth­nien um ihre Land­rechte.


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren