Zwei Tote für 9000 Hektar Land
Honduranische Indígenas bei Protesten erfolgreich
„Es ist nicht auszuschließen, daß die mexikanischen Zapatisten, ehemalige salvadorianische Guerillakämpfer und politische Gruppierungen aus Nicaragua die indigene Bewegung von Honduras infiltriert haben.“ Julio Chávez, Polizeikommandant aus Tegucigalpa, hat seiner Phantasie offensichtlich freien Lauf gelassen. Es ist nicht klar, warum er in seiner Spekulation nicht noch andere Widerstandsbewegungen erwähnt, etwa die peruanische oder die guatemaltekische oder auch Fidel Castro persönlich. Aber es ist klar, daß der Hüter der öffentlichen Sicherheit von der schlagkräftigen Organisation der Indianer beeindruckt ist. Er kann sich die Stärke und Vielfalt der politischen Aktivitäten der UreinwohnerInnen, die sich in der „Konföderation der autochthonen Völker von Honduras“ (CONPAH) gesammelt haben, nur durch äußere Unterstützung erklären.
Tatsächlich sind die „Ethnien“, wie in Honduras die indigenen Völker und die schwarzen Bevölkerungsgruppen zusammenfassend genannt werden, traditionell die stärkste der sozialen Bewegungen. In dieser „Tradition“ stehen auch die jüngsten Proteste der Chortí-Indianer in Tegucigalpa.
Die Chortí leben in den an Guatemala angrenzenden Departamentos Copán und Ocotepeque. Sie haben Anfang Mai einen Marsch auf Tegucigalpa organisiert und mit etwa 3000 Menschen die Residenz des honduranischen Präsidenten belagert. Ziel der Proteste war zum einen, die Aufklärung des Mordes an einem Chortí-Führer einzufordern. Cándido Amador Recinos, einer der Hauptaktivisten im Landkampf der Chortí gegen Großgrundbesitzer und Viehzüchter, wurde Mitte April erschossen. Zum anderen forderten die Chortí die umgehende Aushändigung der Besitztitel über 14.000 Hektar Land in ihrem traditionellen Siedlungsgebiet, das ihnen Viehzüchter streitig machen.
Am Tag, als die Demonstration vor dem Präsidentenpalast begann, setzte die Regierung eine Verhandlungskommission unter der Leitung des Ministers für Kultur, Kunst und Sport ein.
Leihgabe Land
Die sagte nach mehrstündigen Verhandlungen den Demonstrierenden lediglich die „vorübergehende Nutzung“ von Agrarland zu: 2000 Hektar als „Leihgabe“ für drei Monate. Die Chortí bezeichneten dies als „lächerlich und ignorant“ und brachen die Verhandlungen ab. Zweihundert von ihnen begannen einen Hungerstreik.
Ausdruck von Ignoranz und Rassismus gegenüber der Urbevölkerung sind auch öffentliche Stellungnahmen der Kommissionsmitglieder. Der staatliche Ethnien-Beauftragte Eduardo Villanueva versuchte, die Chortí mit der Behauptung zu diffamieren, diese hätten bei ihrem Marsch auf Tegucigalpa Frauen und Kinder geopfert.
So überrascht es nicht, daß auch das zweite Angebot, mit dem die Regierungskommission wenige Tage später auf den Verhandlungsabbruch reagierte, lediglich Absichtserklärungen und keine konkreten Zusagen enthielt. Zum Beispiel schlug die Kommission vor, die Großgrundbesitzer im Gebiet der Chortí „aus humanitären und sozialen Gründen zu bitten“, den Indígenas eine für die Subsistenzwirtschaft nötige Menge Land zu überlassen. Die Chortí antworteten ihrerseits mit einem konkreten Acht-Punkte-Katalog, in dem an erster Stelle die Forderung nach Übertragung von 14.000 Hektar Land wiederholt wird. Der Forderungskatalog wurde von CONPAH vorgelegt und hatte somit das Gewicht eines Dokumentes aller honduranischen Ethnien.
Am fünften Tag der Belagerung der Residenz unterbreitete die Regierung schließlich ein Angebot zur Überschreibung von 4000 Hektar Agrarland. Bevor die Chortí über Zustimmung oder Ablehnung entscheiden konnten, wurde die Belagerung völlig unerwartet und gewaltsam geräumt. Polizeibeamte und Soldaten vertrieben die 3000 DemonstrantInnen aus dem aus Kartons und Plastikplanen errichteten Lager. Frauen, Kinder und alte Menschen wurden dabei geschlagen. Der Dialog brach erneut zusammen. 400 Meter von der Residenz des Präsidenten entfernt ließen sich die Chortí erneut nieder.
Gewalt gegen die Belagerer
Die Verhandlungen wurden erst wieder aufgenommen, als eine Kernbedingung der Demonstranten für die Fortsetzung der Verhandlungen erfüllt wurde und der Kulturminister als Leiter der Regierungskommission ausschied. Schließlich konnte – neun Tage nach Beginn der Proteste – eine Übereinkunft mit der Regierung erzielt werden: Sie sicherte zu, den Chortí im Verlauf der nächsten sechs Monate Besitztitel für 9000 Hektar Land schrittweise zu überschreiben.
Der Vertrag zwischen den Chortí und der Regierung bedeutet keineswegs das Ende der Landkonflikte und sollte nicht voreilig als „historischer Erfolg nach Jahrhunderten“ gefeiert werden. Der Tag des Abkommens zwischen den Chortí und der Regierung wird durch den Mord an einem weiteren Indigena-Führer überschattet: Jorge Manueles, Aktivist bei der Verteidigung des Landbesitzes des Lenca-Volkes und engagiert im Kampf gegen die Abholzung der Wälder durch die großen Sägewerke, ist am selben Tag auf offener Straße erschossen worden. Gleichwohl ist das Ergebnis der neuntägigen Protestaktion ein wichtiger Schritt nach vorn: Es ist Zeichen davon, daß die Politisierung der Indígenas zunimmt, und es ist ein konkreter Erfolg im Kampf der Ethnien um ihre Landrechte.