Zweifel schlagen Beweise
Auf Alan Garcia folgt Ollanta Humala als Präsident und mit ihm die Hoffnung auf eine gerechtere und sozialere Politik
Noch vor Mitternacht des 5. Juni trat Ollanta Humala von der Wahlallianz Gana Perú auf dem Platz des 2. Mai in Lima vor seine AnhängerInnen und erklärte sich zum Sieger der Stichwahl um die Präsidentschaft: „Ihr habt mich gewählt und nur vor Euch werde ich Rechenschaft ablegen.“ rief er aus. Die Stimmen waren am Wahlabend und dem Folgetag rasch ausgezählt, die Tendenzen zugunsten Humalas schnell eindeutig. Anders als bei den Wahlen in Lima im vergangenen Oktober gab es zwischen den Parteien keine quälenden Scharmützel über große Mengen angefochtener Stimmzettel. Die WahlbeobachterInnen der EU-Delegation beschrieben den Prozess in der Mehrheit der von ihnen beobachteten Wahllokale mit ‚gut‘ und ‚befriedigend‘.
Am Ende waren es rund 450.000 Stimmen, die Humala vor der unterlegenen Keiko Fujimori (Fuerza 2011) lag. Diese schien ihren Rückstand aus der ersten Wahlrunde vom 10. April nach zahlreichen Wahlumfragen verschiedener – mehr oder weniger seriöser – Meinungsforschungsinstitute bereits in einen nicht mehr einholbaren Vorsprung umgewandelt zu haben. Letztlich gewann Fujimori zwar deutlich in Lima, bei den AuslandsperuanerInnen und in den Regionen der nördlichen Küstenzone. Die restlichen Regionen jedoch votierten mehrheitlich für Humala. Dessen Hochburgen liegen im Süden des Landes. In Cuzco und Puno entfielen nahezu 80 Prozent der Stimmen auf ihn. Die Wahlbeteiligung der rund 20 Millionen Stimmberechtigten lag bei rund 82 Prozent.
„Über Humala können wir Zeifel haben, über Keiko haben wir Beweise“. Dieser Satz wurde zum Leitspruch im Kampf um Stimmen für die Stichwahl als Ausdruck der Tatsache, man suche in Peru mal wieder das kleinere Übel. Auf der einen Seite Humala: ehemaliger Militär, dem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden (die peruanische Justiz schloß das Verfahren im Dezember 2009, da sie für die Vorwürfe keine Beweise fand), gescheiterter Putschist gegen Alberto Fujimori im Oktober 2000, Militärattaché während der Präsidentschaft von Alejandro Toledo in Seoul. 2006 dann unterlag er in der Stichwahl gegen Alan García: Sein Diskurs galt als zu radikal und die Nähe zum venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez als zu groß. Jetzt trat er mit einem gemäßigten Diskurs auf, gab als Orientierung die Politik an Brasiliens Ex-Präsident Lula vor. Viele aber fragten sich: Was bleibt davon übrig, wenn er erst einmal im Amt ist? Auf der anderen Seite die Kandidatin Keiko Fujimori. Die noch recht luxoriöse Gefängniszelle ihres Vaters, Ex-Präsident Alberto Fujimori, mutierte zum Wahlkampfbüro. Vor allem in – medial abgelegenen – ländlichen Regionen warb sie auf Plakaten mit dessen Konterfei, umgeben ist sie von Leuten, die schon für ihren Vater während dessen Präsidentschaft arbeiteten und die den Unterschied zu Humala in den Worten fassten: „Wir haben weniger Menschen umgebracht.“ Keiko Fujimori stand für die Kontinuität des bestehenden Wirtschaftsmodells, Humala bietet zumindest die Aussicht auf Wandel.
Ein wichtiger Faktor: Humalas öffentlich vorgetragenes Versprechen für die Verteidigung der Demokratie und gegen die Diktatur. Diesen Schwur, die rechte Hand auf der Bibel, gab Ollanta Humala Mitte Mai in Lima in Anwesenheit zahlreicher peruanischer KünstlerInnen und Persönlichkeiten ab. Keine Minute länger im Präsidentenamt als die von der Verfassung vorgesehenen fünf Jahre. Keine direkte Wiederwahl als Präsident. Respekt, Schutz und Förderung für die Pressefreiheit. Dies sind wesentliche Punkte des Versprechens, das Humala Wahlstimmen der politischen Mitte sichern sollte, die als mitentscheidend für einen Wahlsieg galten. Es war ein Schritt, der von vielen bekannten und meinungsbestimmenden Leuten des öffentlichen Lebens wie dem Journalisten Gustavo Gorriti – und nicht zuletzt von Mario Vargas Llosa gefordert wurde. Llosa, der Literaturnobelpreisträger von 2010, hatte die Entscheidung zwischen Keiko Fujimori und Ollanta Humala im April noch als Wahl zwischen „Aids im Endstadium und Krebs“ beschrieben. Er und sein Sohn Álvaro, letzterer ein in den USA lebender medial gewandter liberaler Publizist, wurden zu wichtigen öffentlichen Fürsprechern von Ollanta Humala.
Klar muss jedoch bleiben: Hätte es anstelle von Keiko Fujimori einer der drei Kandidaten aus dem bürgerlichen Mitte-Rechts Spektrum in die zweite Wahlrunde geschafft – Pedro Pablo Kuczynski, Alejandro Toledo oder Luis Castañeda – Vargas Llosa und viele andere hätten mit Sicherheit nicht für Humala votiert. Es war primär die Abneigung gegen den fujimorismo, die Angst vor dessen Wiederkehr mitsamt seinen Begleiterscheinungen wie massiver Korruption und Unterwanderung der vorhandenen demokratischen Institutionen, die viele für Humala stimmen ließ. Die Wahl Humalas zum Präsidenten ist auch ein Sieg über den noch amtierenden Präsidenten Alan García, der sich im Wahlkampf klar zugunsten Keiko Fujimoris positionierte und noch vor einem Jahr wörtlich sagte, „dass er als Präsident zwar keinen Präsidenten nach seinem Wollen machen kann, jedoch sehr wohl einen Präsidenten verhindern kann, den er nicht möchte.“
Der Wahlsieg von Ollanta Humala könnte das harte neoliberal-investitionsfreundliche Weiter-so der vergangenen Jahre brechen. Dieses sorgte zwar für makroökonomisch gute Zahlen und hohe Wachstumsraten, doch das vielbeschworene Durchsickern der Gewinne nach unten setzte kaum ein. Im ländlichen Raum erreicht die Armutsrate teils Werte über 60 Prozent, im landesweiten Durchschnitt sind es weiterhin rund 34 Prozent. Keine wesentlichen Veränderungen in der produktiven Wirtschaftsstruktur sind zu verzeichnen, auch die Exportgüter sind noch klassisch strukturiert: Der größte Teil der Deviseneinnahmen kommt aus unverarbeiteten Rohstoffexporten. Humala will die Wirtschaft Perus stabilisieren, die bisher Ausgegrenzten und in Armut Lebenden jedoch integrieren und in höherem Maße davon profitieren lassen, unter anderem durch die Erhöhung des Mindestlohnes.
Nicht nur García hätte lieber Keiko Fujimori als Präsidentin gesehen, sondern auch die Wirtschaftselite des Landes, nachdem die drei bürgerlichen Kandidaten bereits in der ersten Wahlrunde ausgeschieden waren. Auf das Wahlergebnis reagierte Perus mächtiger Unternehmerverband CONFIEP jedoch pragmatisch und klang nach Humalas Wahlsieg überraschenderweise eher wie der Wahlgewinner. „Er ist schon unser Präsident. Es ist eine pragmatische Frage, wir müssen ihn unterstützen, die Wahlkampagne ist nun vorbei.“ so Humberto Speziani, Präsident des CONFIEP in den peruanischen Medien. Vielleicht ist die Reaktion gar nicht so verwunderlich: Bereits vor den Wahlen gab es Sondierungsgespräche mit Humala – auch wenn für den CONFIEP weiterhin Zweifel blieben – und möglicherweise wird Humalas Wirtschaftskurs ein sehr pragmatischer sein, der sich an Brasilien orientiert. Dies hieße für Peru: Weitestgehend freie Fahrt für die Wirtschaft, die Investoren nicht verschrecken, mit etwas mehr staatlicher Regulierung und vor allem umverteilenden Maßnahmen.
Fordernder trat die Nationale Gesellschaft für Bergbau, Erdöl und Energie (SNMEP) auf. In einer Pressemitteilung vom 7. Juni wies sie vorsorglich auf die für den Zeitraum 2011 bis 2020 zurzeit geplanten 55 Milliarden US-Dollar an Investitionen im Energie- und Bergbausektor hin. Verbunden wurde dies mit der Forderung nach „stabilen juristischen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen im Land für die Unternehmen“. Pedro Martínez, Präsident der SNMPE merkte an: „Die privaten Investitionen sind unverzichtbare Alliierte, um weiterhin Arbeitsplätze zu schaffen, welche die einzige nachhaltige Möglichkeit bieten der Armut beizukommen.“
Angesichts der jüngsten Konflikte wie in der an Bolivien grenzenden Region Puno wird sich zeigen, wie weit der von Wirtschaftsseite geäußerte Pragmatismus trägt. Dort hatten protestierende Aymara mit Straßenblockaden in einem rund 45 Tage dauernden Streik gefordert, bereits ausgestellte Bergbaukonzessionen zurückzunehmen und keine weiteren zu vergeben. Immer wieder entzünden sich eskalierende Konflikte an den negativen Auswirkungen von Projekten des formalen Großbergbaus und des informellen Kleinbergbaus. Der letzte Bericht der nationalen Ombudsstelle für Menschenrechte listete insgesamt 227 soziale Konflikte im Land auf, von denen 51 Prozent Umweltkonflikte und dem Bergbausektor zuzuordnen sind.
Humalas Position zur Rohstoffförderung ist recht klar: Sie soll weiter vorangetrieben werden. Im Februar dieses Jahres äußerte er sich in peruanischen Medien mit den Worten, dass Peru „nur rund 14 Prozent seines bergbaulichen Potenzials ausbeute und daher für die verbleibenden 86 Prozent noch neue Verträge mit Unternehmen geschlossen werden können“. Angesichts der Konflikte droht ein ziemlicher Spagat. Eine Steuer auf erhöhte Rohstoffgewinne der Bergbauunternehmen soll auf jeden Fall kommen. Damit und mit weiteren Steuerreformen sollen soziale Programme und die geplante Pension ab 65 Jahren bezahlt werden.
Seit dem Tag nach dem Wahlsieg sind Humala und sein Team unter Druck rasche personelle Entscheidungen zu treffen. Dieser Druck beschleunige jedoch nicht seine Entscheidungen, so Humala in seinen Interviews. Bisher ist offiziell kein Ministerposten vergeben. Gegenüber Perú Posible, der Partei von Alejandro Toledo, die Humala im Wahlkampf schließlich unterstützte, hat Gana Perú mehrere Ministerposten angeboten. Von den Medien und aus der Wirtschaft geforderte Entscheidungen über die Besetzung von Wirtschaftsministerium, Präsident der Zentralbank oder Ministerpräsident sind noch nicht gefallen.
Dennoch laufen die Aktivitäten zur Regierungsvorbereitung auf Hochtouren. Bereits am Tag nach dem Wahlsieg wurde zu diesem Zweck ein 19köpfiges Team aufgestellt. Unter der Führung der gewählten esten Vize-Präsidentin Marizol Espinoza – der einzigen Frau in der Runde – wird alles daran gesetzt, ein Programm für die ersten 100 Tage Regierungszeit zu erarbeiten, um zeitnah Fakten zu gemachten Wahlversprechen im sozialen Bereich schaffen zu können.
Für Fernando Tuesta, Direktor des Meinungsforschungsinstitutes der PUCP, ist der Wahlerfolg von Gana Perú trotz der Vorschläge für eine neue Sozialpolitik nicht der einer gefestigten organisierten Linken in einer Partei, sondern eher ein persönlicher Triumph Humalas. „Mit dem Erfolg von Humala hat sich Peru nach links bewegt, […] aber dieses links ist weit davon entfernt den anderen linken Regierungen in Lateinamerika ähnlich zu sein“, so Tuesta in seinem Blog. Hinzu kommt: Ollanta Humala ist ein Präsident mit einer Minderheit im peruanischen Kongress. Zwar sind die Devisenkassen gut genug gefüllt, um eine neue Verteilungspolitik zu entwickeln. Um politisch erfolgreich zu sein und Wahlversprechen umzusetzen, wird Gana Perú jedoch das schwierige Spiel der politischen Koalitionen suchen müssen. Die zweitstärkste Kraft im Kongress sind im übrigen die Fujimoristas von Fuerza2011.